Wissenschaft gedeiht zwischen offenen Grenzen

Jedes Jahr kommen Tausende Ausländer mit dem Wunsch nach Deutschland, hier zu arbeiten. Glücklich können sich die schätzen, die PhD und Fachpublikation im Gepäck haben. unique sprach mit vier von ihnen.

von David und gouze

Als Fremder in einem unbekannten Land anzukommen, ist ein schwieriges Unterfangen: Das Erlernen der Landessprache, zahlreiche Behördengänge und die Kommunikation im Alltag lassen das Einwandern als hürdenreiche und komplizierte Unternehmung erscheinen. In Deutschland, das neuerdings auch von Politikern als Einwanderungsland bezeichnet wird, beobachtet man Immigration immer noch mit gemischten Gefühlen. Vielen kommen dabei Gedanken an die immer gleichen Diskussionen über schlecht integrierte Ausländer, die trotz 20-jähriger Anwesenheit nicht des Deutschen mächtig seien.
In der Wissenschaft ist das Überschreiten von Landesgrenzen und das zeitweilige Einwandern nicht nur eine Annehmlichkeit, sondern auch eine Notwendigkeit, die der Arbeitsalltag mit sich bringt. Dies war nicht immer so: Zu Zeiten des Kalten Krieges waren besonders jenseits des Eisernen Vorhangs Wissenschaftler in ihrer Forschungsfreiheit massiv eingeschränkt. Kongressreisen in den Westen hingen nicht primär von wissenschaftlichen Fähigkeiten, sondern von politischen Loyalitäten ab. Heutzutage ist der Austausch von Wissenschaftlern jenseits von Grenzen nahezu unbegrenzt möglich, birgt aber auch neue Risiken. Besonders Staaten mit einem höheren Aufkommen für Forschung ködern nun vermehrt die klugen Köpfe anderer Länder. Ralf Dahrendorf schrieb: „Eine Welt ohne Grenzen ist eine Wüste; eine Welt geschlossener Grenzen ist ein Gefängnis; die Freiheit gedeiht in einer Welt offener Grenzen.“
Mit der Wissenschaft scheint es wie mit der Freiheit zu sein: Ohne Grenzen entstehen in vielen Staaten regelrechte Forschungswüsten. Dies hat strukturelle Gründe und ist keine Folge des bösen Willens einzelner Forscher. Vielmehr stehen nebst der Perspektive besserer Forschungsinfrastrukturen und einer sichereren wirtschaftlichen Lebensgrundlage auch der Wunsch nach einem fruchtbaren fachlichen Dialog mit Wissenschaftskollegen im Vordergrund – und zwar unabhängig von der nationalen Herkunft.
Es sind scheinbar nicht die verschiedenen Weltanschauungen, die die Forschungslandschaften dieser Welt voneinander trennen, sondern der Wert, den Wissen(schaft) und Forschung in einer Gesellschaft darstellen.

„Für mich war klar, dass ich weg muss.“
Igor Kanovalow (Ukraine)
Prof. für Photovoltaik und Halbleitertechnologie, FH Jena

(Foto: privat)
(Foto: privat)

„Nach dem Ende des Kalten Krieges begann eine schwierige Zeit für die technischen Wissenschaften in der Ukraine. Ich wollte aber meine Forschung nicht aufgeben und kam darum zur Promotion nach Deutschland. Mich hat hier zuerst irritiert, dass ich als Doktorand nicht so selbstständig forschen konnte – in der Ukraine hatte ich machen können, was ich wollte (lacht). Ich hatte mehr Unabhängigkeit erwartet. Dass ich anfangs kein Deutsch konnte, war kein Problem für die Forschung. Hier in Deutschland ist alles immer geplant und vorhersehbar. Manchmal vermisse ich die Überraschungen – positive wie negative.“

„Die Deutschen sind sehr hilfsbereit.“
Hasan A. Ayed (Jordanien)
Dept. of  Media  & Strategic Studies, Al-Hussein Bin Talal University

(Foto: privat)
(Foto: privat)

„Ich kam mit meiner Frau und unseren drei Kindern als DFG-Gastwissenschaftler nach Deutschland. Den Alltag und die Lebensweise der westlichen Welt kannten wir bereits aus den Medien. Nie habe ich mich hier wie ein Fremder gefühlt; die Kooperationsbereitschaft meiner Kollegen war wunderbar. Die Unterschiede zwischen Jordanien und Deutschland liegen nicht in der Religion, sondern in der Ausstattung – hier sind die Forschungsbedingungen einfach besser.“

 

„Braindrain ist ein riesiges Problem.“
Juraj Majzlan (Slowakei)
Prof. für Allgemeine und Angewandte Mineralogie, FSU Jena

(Foto: privat)
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„Ich war bis zum Ende meines Studiums 1997 in der Slowakei. Nachdem ich meinen PhD in den USA gemacht habe, kam ich nach Deutschland. Hier genießt Wissenschaft ein höheres Ansehen; in der Slowakei wird zwar auch Forschung betrieben, es gibt allerdings nicht die nötige Infrastruktur, um sie im eigenen Land voranzutreiben oder wirtschaftlich zu nutzen. Viele meiner früheren Studienkollegen, die auch im Ausland waren, sind nicht in die Slowakei zurückgekehrt. Die Drittmittelprojekte, die vergeben werden, sind nicht sehr groß, wenn man ein paar tausend Euro bekommt, ist das schon ein Erfolg.“

„Es gibt nur wenige Hürden.“
Marco Guerzoni (Italien)
Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Mikroökonomik, FSU Jena

(Foto: privat)
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„Ich bin seit 2006 in Deutschland. Ich habe in Italien promoviert, war aber forschungsbedingt auch in Belgien, Frankreich und Großbritannien unterwegs. Die Forscher innerhalb Europas sind generell sehr mobil. Es ist einfacher für einen Forscher nach Deutschland zu kommen als für einen Pizzabäcker (lacht). Im Umfeld einer Universität oder einer Forschungseinrichtung ist der Integrationsdruck viel niedriger als im normalen Alltag; alle Kollegen sprechen Englisch. Viele italienische Akademiker zieht es ins Ausland. Das Einstiegsgehalt für eine Professur liegt bei 1.700 Euro netto im Monat und ein Doktortitel wird im Privatsektor nicht anerkannt. Der Doktortitel selbst ist auch relativ neu: Bis vor 25 Jahren gab es nicht die Möglichkeit, einen PhD in Italien zu erwerben.“

Die Gespräche führten gouze und Frank.


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