Die Grenzen der Stadt

Obwohl die Jenaer Verwaltung am umstrittenen Prinzip der Gemeinschaftsunterkunft für Asylsuchende festhält, ist sie nicht auf einer Linie mit der Flüchtlingspolitik des Bundes.

von Caro

Die Jenaer Wohnungsnot hätte das Potenzial, die Debatte um die Unterbringung Asylsuchender abzukürzen – zugunsten sogenannter Gemeinschaftsunterkünfte einerseits, der dezentralen Unterbringung außerhalb der Stadt andererseits. Leicht könnte sie der Stadtverwaltung zur Legitimation einer isolierenden Lagerpraxis dienen, wie sie inzwischen bundesweit angefochten wird.  Doch anders als eine Vielzahl von Asylbewerberunterkünften ist die Jenaer Wohnanlage zentrumsnah angesiedelt, in der Schulstraße in Wenigenjena. „Es ist eben nicht sinnvoll, Leute am Stadtrand oder noch weiter draußen unterzubringen“, bemerkt Barbara Wolf, Leiterin der Jenaer Sozialbehörde und damit zuständig für die Gemeinschaftsunterkunft in der Schulstraße. „Trotzdem wird es noch in vielen Gemeinden gemacht. Dann werden etwa die Industriegebiete nach möglichen Grundstücken abgesucht. Wir haben versucht, auch durch die Wahl des Wohnortes eine Integration voranzutreiben.“
Im April eröffnete die Unterkunft nahe dem Schillerhof-Kino als Wohnanlage für Asylsuchende neu. Früher hatte es um die Thüringer Asyl-Erstaufnahmestelle auf dem Forst, die in wesentlich schlechterem Zustand war, immer wieder Auseinandersetzungen mit den Anwohnern und feindliche Reaktionen gegenüber den dort lebenden Asylbewerbern gegeben; 2004 wurde sie geschlossen. Das sanierte Gebäude in der Schulstraße beheimatet derzeit über 60 Flüchtlinge, die meisten von ihnen aus Syrien, Afghanistan und Irak. Hinzu kommen sechs bereits anerkannte Flüchtlinge des Resettlement-Programms, dem sich die Stadt Jena im Zuge der save me-Kampagne angeschlossen hat.
Lediglich sechs Quadratmeter Wohnraum sieht die Thüringer Flüchtlingsverordnung für Asylsuchende vor. In Jena stehen den jetzigen Bewohnern einige Quadratmeter mehr zur Verfügung. Die große Gemeinschaftsküche hat separate Kochstellen für jede Wohneinheit; die Duschkabinen der gemeinschaftlich genutzten Sanitäranlagen sind getrennt und abschließbar. Es gibt ein Spielzimmer für die Kinder, einen Gemeinschaftsraum mit Billardtisch und TV sowie einen Garten mit Terrasse. Die Kinder der Unterkunft besuchen eine Kita – was in Thüringen leider nicht selbstverständlich ist; kürzlich wurden acht von ihnen eingeschult und in einem Programm der Kindersprachbrücke auf diesen neuen Lebensabschnitt vorbereitet. Im Haus finden Sprach- und Integrationskurse der AWO und von Amnesty International statt. Der Asyl e.V. bietet eine Nachmittags- und Hausaufgabenbetreuung für die Kinder an. Die Erwachsenensprachbildung wird vom Institut für Interkulturelle Kommunikation durch regelmäßige Kurse unterstützt. Frau Sabine Djimakong, Asylverfahrensberaterin der Diakonie, hält die Sprachbildung für Asylsuchende in Jena insgesamt für vorbildlich.

Als permanenter Ansprechpartner und Leiter der Wohnanlage ist Herr Samvel Babayan tätig, selbst anerkannter Flüchtling aus Armenien und seit 20 Jahren in Jena. Eine ähnlich intensive und kultursensible Betreuung sei laut Frau Wolf außerhalb einer Gemeinschaftsunterkunft nicht zu verwirklichen. Außerdem sei die Gemeinschaft, die durch die geteilte Nutzung bedingt wird, wichtig. Langfristig müsse es jedoch das Ziel sein, Familien in Wohnungen zu vermitteln. Mit Ausnahme von jenawohnen öffneten sich die Wohnungsgesellschaften hierfür aber nicht ausreichend: „Die haben auch so genug Nachfrage.“ Verschärfen wird sich diese Problematik im kommenden Jahr, da Jena etwa 70 weitere Flüchtlinge aufnehmen wird.
Die Bewohner der Schulstraße verfügen über eigene Briefkästen mit Namensschildern und eigene Schlüssel. Dass diese Umstände als vergleichsweise „human“ herausstechen, ist jedoch vor allem ein trauriges Zeugnis der Flüchtlingspolitik auf Bundesebene. Diese schränkt auch die Möglichkeiten einer kommunalen Verwaltung zur Verbesserung der Lage von Flüchtlingen ein. Manches ist in Jena gelungen: So wurden Sparkassen-Konten für Asylsuchende eingerichtet, entgegen der bundesweit gängigen Praxis der Gutscheinausgabe. Anfänglich hätte es diesbezüglich einige „böse Briefe“ von der Landesverwaltung gegeben, berichtet Frau Wolf. „In anderen Städten kämpfen die Bewohner noch dafür, dass sie in die Städte ziehen können und Geld zur eigenen Verfügung bekommen“, bestätigt auch Herr Babayan. Frau Wolf beklagt jedoch, dass Flüchtlinge in Deutschland noch immer nicht arbeiten dürfen.
In Jena werden Möglichkeiten ausgelotet und genutzt, die Lebensumstände von Flüchtlingen im Hinblick auf eine möglichst umfassende Integration zu verbessern. Dass der Stempel „Flüchtling“ trotzdem nicht zur Unsichtbarkeit verblasst, ist nicht pauschal der gemeinschaftlichen Unterbringung zuzuschreiben. Diese kann das Ankommen während der ersten Monate auch sinnvoll begleiten, sofern sie in ein eigenes Wohnverhältnis überleitet. Primär ist die Aussonderung einer bundesdeutschen Strategie geschuldet, die Flüchtlinge nach wie vor als Gruppe stigmatisiert – durch isolierende Strukturen wie Gutscheinpraxis und Arbeitsverbot. Stadtpolitische Konzepte oder ein Nachbarschaftsfest, wie es kürzlich im Rahmen der „Interkulturellen Woche“ in der Schulstraße stattfand, können diese Systematik allein nicht aufbrechen.

 

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