Rezension: „Die Rolle eines globalen Dolmetschers“

(Foto: World Economic Forum)
(Foto: World Economic Forum)

Kofi Annan, früherer Generalsekretär der Vereinten Nationen, hat seine Erinnerungen vorgelegt: ein enorm spannendes zeitgeschichtliches Zeugnis aus der Praxis internationaler Politik, nun in deutscher Sprache erschienen.

von Frank

Deep, low, messy – diese lautmalerische Umschreibung dessen, was internationale Diplomacy häufig kennzeichnet, stammt zwar nicht von Kofi Annan. Nach all seinen Erfahrungen aus jahrzehntelanger Arbeit in den internationalen Beziehungen würde er aber wohl auch nicht widersprechen. Seit Annan 1962 in den Dienst der Weltgesundheitsorganisation (WHO) eintrat, war er fast vier Jahrzehnte lang in verschiedenen Organisationen der UNO tätig, bis er 1997 siebenter Generalsekretär der Weltorganisation wurde.

Seine Autobiografie Ein Leben in Krieg und Frieden bietet somit mehr als „nur“ eine Rekapitulation seiner zwei Amtszeiten als Chefdiplomat (1997 bis 2006). Es beschreibt eine lange Reise, von der ehemaligen britischen Kolonie Goldküste (heute Ghana), wo Kofi Atta Annan 1938 als Sohn einer einflussreichen Familie zur Welt kam und als junger Mann den afrikanischen Kampf um die Unabhängigkeit miterlebte – eine Erfahrung, die in ihm die Überzeugung reifen ließ, dass Frieden in Selbstbestimmung möglich ist. Doch auf seinem Weg bis zum UNO-Hauptquartier am East River – und noch mehr in den Jahren seiner Tätigkeit beim UN-Sekretariat – erfährt Annan immer wieder auf erschreckende Weise, dass weder Frieden noch Selbstbestimmung, ja nicht einmal die bloße physische Existenz in dieser konfliktreichen Welt für alle gesichert ist. Er schildert Erfahrungen aus seiner Zeit als Beigeordneter Generalsekretär Ende der 1980er bis Mitte der 1990er Jahre, als er u.a. für die Friedenssicherungseinsätze der UN-Blauhelme zuständig war. Es ist die Zeit, in der die Weltorganisation durch eine ihrer tiefsten Krisen ging – Somalia, Srebrenica und Ruanda sind die dunklen Wegmarken dieser Jahre, in denen viele ihren Glauben an die Vereinten Nationen verloren.

Nur Worte, keine Armee
Somalia, Srebrenica, Ruanda: Das sind auch die prägenden Erfahrungen für seine spätere Zeit als erster schwarzafrikanischer UN-Generalsekretär, als der er zwar 2001 – gemeinsam mit der UNO – den Friedensnobelpreis erhält, aber doch über nichts weiter verfügt als die Macht der Worte. Die völlige Abhängigkeit vom Wohlwollen der Mitgliedsstaaten, gerade der mächtigen ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates, ist Annan dabei stets vor Augen – insbesondere in Gestalt der USA, die seine Amtszeit als Generalsekretär erst ermöglicht hatten, da sie eine Wiederwahl seines Vorgängers Boutros-Ghali blockierten. Er selbst sollte Jahre später schmerzlich erfahren, welche Gefahren eine zu selbstbewusste Weltmacht für den Frieden und für die Legitimation der Vereinten Nationen bedeuten kann.

Freilich ist es für einen so prominenten Verantwortungsträger auch in der Rückschau ein schmaler Grat zwischen Erklärung und Apologetik. Doch Annan malt kein idealisiertes Bild der UNO; er spart nicht an Kritik, auch an sich selbst. Die Tragödien von Bosnien und Ruanda prägten sein Denken, etwa im Falle der Kosovo-Intervention westlicher Staaten, die zwar ohne UN-Mandat durchgeführt, von Annan jedoch gutgeheißen wurde. Es war, so lässt er den Leser wissen, seine Überzeugung, dass humanitäre Interventionen moralisch geboten sind, wenn Völkermord oder eklatante Menschenrechtsverletzungen die Alternative sind – ein weiteres Srebrenica verhindern, nicht noch einmal wegsehen: „Mein Ziel war es, die Vereinten Nationen zu einer Organisation zu machen, die nicht zuschaut, sondern sich einmischt“. Es ist sicher kein Zufall, dass die „Responsibility to Protect“ (R2P) als Konzept in seiner Amtszeit zur Blüte kam.

Die persönliche Sicht als Bereicherung

Annan reflektiert zahlreiche Niederlagen auf dem Weg zu einer gerechteren, friedlicheren Welt – doch er reklamiert für sich und die Organisation auch, in vielen Fällen Schlimmeres verhindert zu haben – nicht zuletzt dadurch, dass er durch seine herausgehobene Stellung immer wieder die Rolle eines „globalen Dolmetschers“ übernahm, der zwischen verschiedenen Interessen und Konfliktparteien vermittelte. Er beschreibt die Herausforderungen, vor denen Weltgemeinschaft und Weltorganisation im 21. Jahrhundert stehen, allen voran diejenigen, denen mit den „Millennium-Entwicklungszielen“ begegnet werden sollte.

Als erster Generalsekretär, der „aus der Organisation selbst“ kam, verfügt Annan auch jenseits der Grenzen seiner Amtszeit über ein Insider-Wissen, das die Lektüre von Ein Leben in Krieg und Frieden zum Gewinn macht: Er vermittelt einen persönlichen Einblick in die Arbeit der Weltorganisation, das Neben- und Gegeneinander der großen Mächte – oder Verhandlungen mit skrupellosen Diktatoren. In Erinnerung bleibt auch seine Schilderung des Zusammentreffens mit einer Taliban-Delegation in Pakistan im Jahr 2000, bei dem es u.a. auch um den Aufenthaltsort eines Mann ging, dessen Name der Weltöffentlichkeit noch weitgehend unbekannt war und den man damals nur „UBL“ nannte: Osama bin Laden.

Annas persönliche Sicht auf Krisen und Personen macht das Buch so spannend und kurzweilig. Einzig die Übersetzung aus dem Englischen (besorgt durch Klaus-Dieter Schmidt) wirkt teils etwas hölzern, bisweilen sperrig. Dennoch: Kofi Annans Erinnerungen sind ein absolutes Must-Read für alle, die sich für internationale Politik interessieren – und für jene, die der Ansicht sind, dass einzelne Persönlichkeiten dabei manchmal einen Unterschied machen können.

Kofi Annan (mit Nader Mousavizadeh)
Ein Leben in Krieg und Frieden
Aus dem Englischen von Klaus-Dieter Schmidt
Deutsche Verlags-Anstalt 2013
464 Seiten
26,99 €

 

Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert