Widersprecht mir, widerlegt mich, aber verbietet mich nicht.

(Foto: © Lutz Knospe)
(Foto: © Lutz Knospe)

In Zeiten, in denen Parlamentsbeschlüsse gegen die Leugnung des Völkermords an den Armeniern die Türkei brüskieren, jährte sich die Ermordung des Journalisten Hrant Dink zum fünften Mal. Dem „Beleidiger des Türkentums“ wurde in Berlin ein Performance-Abend gewidmet.

von Frank

Der § 301 des deutschen Strafgesetzbuches sieht vor, dass die Strafverfolgung bei Bestechlichkeit und Bestechung nur auf Antrag erfolgt – außer, wenn „die Strafverfolgungsbehörde wegen des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung ein Einschreiten von Amts wegen für geboten hält“. Selbst in Wulff’schen Zeiten ein recht technischer Paragraph, der den Otto-Normal-Bürger kaum betrifft. Anders sein Pendant im türkischen Strafgesetzbuch: Der dortige § 301 stellt die „Beleidigung des Türkentums“ (seit 2008: „der türkischen Nation“) unter Strafe und bietet so den staatlichen Behörden die Möglichkeit, unliebsame Äußerungen zu ahnden – eine Regelung, die auch von Seiten der EU immer wieder als Angriff auf die freie Meinungsäußerung kritisiert wird.
Das wohl bekannteste Opfer dieser Regelung war der armenisch-türkische Schriftsteller und Journalist Hrant Dink, der u.a. Träger des Henri-Nannen-Preises für Journalismus war und den Völkermord an den Armeniern während des Ersten Weltkrieges öffentlich thematisierte. Ihm widmete das postmigrantische Theater „Ballhaus Naunynstraße“ in Berlin den Performance-Abend § 301 – Die Beleidigte Nation. Dink wurde 2005 als erster explizit wegen „Beleidigung des Türkentums“ zu einem halben Jahr Haft auf Bewährung verurteilt, nachdem er in einem Zeitungsartikel offen von einem Völkermord an den Armeniern gesprochen hatte. Im Januar 2007 ermordete ihn ein junger türkischer Nationalist auf offener Straße.

„Wer sich nur um Grabsteine kümmert, muss aufpassen, dass er nicht bald selber einen hat!“
Ausgangspunkt des Abends bildet die Performance Neden? (dt.: „Warum?“), eine Rekonstruktion der gleichnamigen Talkshow im türkischen Fernsehen, die sich im September 2006 – nach Dinks Verurteilung – mit dem § 301 und dessen Auswirkungen auf die Meinungsfreiheit befasst hatte. Dink wurde im Verlauf der Sendung von nationalistischer Seite massiv kritisiert und indirekt bedroht. Diese erste Performance (nach der Idee von Züli Aldag) schafft eine gemeinsame Basis für das Publikum, indem sie neben Ausschnitten aus der Talkshow auch den einschlägigen Gesetzestext und Szenen des Dokumentarfilms Aghet – Ein Völkermord (NDR 2010) sowie der Trauer- und Protestbekundungen nach Dinks Ermordung präsentiert. Bereits diese ersten Szenen im Ballhaus zeigen das Bild einer in sich zerrissenen Nation, in der die Gräuel gegen die Armenier ein Tabu-Thema darstellen.

http://www.youtube.com/watch?v=CzVLV2xwAg0

„Bin ich froh, dass ich jetzt Deutscher bin…“
Wenig später findet der Zuschauer sich, rücklings auf einem Orient-Teppich liegend, an die Decke starrend wieder – spätestens an diesem Punkt merkt man, dass hier kein „gewöhnlicher“ Theaterabend stattfindet. Die Videoperformance Deep Sea Fish (von Silvana Der-Meguerditchan) begleitet die Enkelin armenischer Überlebender des Völkermordes auf eine Spurensuche in das ehemals armenische Viertel Cihangir in Istanbul.
Weg von den Straßen und hinein ins Private wirft den Zuschauer The TV next door von Hans-Werner Kroesinger. Auch hier flimmert wieder die erwähnte Talkshow Neden? vom September 2006 über den Bildschirm. Das Fernsehen überträgt hier (im doppelten Wortsinne) die öffentliche Auseinandersetzung in die private Sphäre. Als teilnehmende Beobachter in der Wohnung eines türkisch-stämmigen Paares darf man schnell feststellen, dass sich die Eheleute uneins über das Gezeigte sind. Fast fühlt man sich wie ein Kind, das die Eltern streiten hört.

„Entweder du liebst dieses Land oder du kannst dich verpissen!“
Noch aufwühlender, noch intensiver zeigt sich Spiegelungen, eine Performance, in der Dink und sein Mörder, der zum Tatzeitpunkt erst 16 Jahre alte Orgün Samast, in einem verspiegelten Glaskasten aufeinandertreffen. Miraz Bezar inszeniert das fiktive Gespräch der beiden dabei aus einer Verwebung von Verhörprotokollen des jugendlichen Täters und Äußerungen Dinks, die aus Anhörungen im Verfahren gegen ihn wegen § 301 stammen. Das Aufeinanderprallen zweier Weltsichten auf engstem Raum entfaltet sich nicht einmal zwei Meter vor dem in Dunkelheit verharrenden Publikum.
Es sind solche Momente dieses Abends im Ballhaus, die haften bleiben. Verstörend, weil aggressiv, unversöhnt; fast machen sie die Spaltung der Gesellschaft (des „Türkentums“?) mit Händen greifbar. Geteilt wie die Zuschauergruppen, die getrennt durch das Haus zu den verschiedenen Performances geführt und erst am Ende, zur letzten Performance (Reaching the level of contemporary civilisations 2 von Hakan Savas Mikan) wieder zusammengebracht werden.

„Atatürk hat ozeanblaue Augen“
Mikan thematisiert, ganz ohne Darsteller, sondern nur mit Video- und Audio-Elementen, die Ursprünge des türkischen Nationalismus, des Selbstverständnisses der türkischen Nation, indem sich Größenphantasien des Republikgründers Atatürk mit Aussagen des heutigen Premierministers Erdogan abwechseln. Das bringt eine gewisse Aktualität, hatte Erdogan doch heftig auf den französischen Gesetzesbeschluss reagiert, der die Leugnung von Genoziden (u.a dem an den Armeniern) unter Strafe stellen sollte.
Anfeindungen von türkischer Seite wegen des Stückes, so erfährt man anschließend im Gespräch, habe man allerdings nicht erlebt – eher Zuspruch. Ohnehin sei Die Beleidigte Nation in erster Linie ein Projekt über und ein Appell für die Meinungsfreiheit. Hrant Dink hätte diese Lesart sicher begrüßt, war er doch entschieden dagegen gewesen, einen Völkermord per Gesetzesbeschluss anzuerkennen bzw. dessen Leugnung zu bestrafen.
Als Deutscher fragt man sich dabei irritiert, was dann Dinks Meinung zu § 130 des deutschen StGB gewesen sein mag, der enorm wichtig für den deutschen Umgang mit der Vergangenheit ist: der Volksverhetzungsparagraph, unter dessen Absatz 3 bekanntlich auch die Leugnung des Holocaust fällt.

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