„Mich gibt es gar nicht“ – Niemandsland in Weimar

(Foto: © Thomas Müller)
(Foto: © Thomas Müller)

Kaum wahrgenommen von der Bevölkerung, leben in der Tourismushochburg Weimar Asylbewerber in einem Wohnheim. Das Deutsche Nationaltheater hat sie und ihre Schicksale mit dem Theaterprojekt „Never Land“ auf die Bühne geholt.

von Jenny & Frank

„Die Weimarer arbeiten nicht, trinken immer Bier, essen Bratwurst und Döner. Weimar ist schön. Weimar ist mein Zuhause.“ Diese Sätze klingen wie eine Parodie auf den typischen Thüringer; der ern-ste Tonfall des Sprechers nimmt ihnen den Witz. Das Deutsche Nationaltheater (DNT) Weimar hat im November und Dezember 2011 ein besonderes Projekt auf die Bühne des „E-Werks“ gebracht. So ungewöhnlich wie die Location ist auch die Inszenierung. Die Darsteller, alle Asylbewerber – unter ihnen eine einzige Frau – erzählen hier ihre Geschichte. Auch wenn einige Szenen von „Never Land“ nicht bis ins Detail einen Zusammenhang bilden wollen, der Inhalt wird schnell klar: Junge Asylbewerber schildern ihr Leben in Deutschland. Emotionsgeladen und authentisch werden Sorgen, Wünsche und Ängste dargestellt.
Die Idee zum Projekt entstand 2010, als das Asylbewerberheim Weimar einen Tag der offenen Tür veranstaltete. Intendant und Dramaturgen des DNT waren bei ihrem Besuch überrascht, dass in Weimar überhaupt Asylbewerber in einem solchen Heim leben – ein Umstand, der wohl nicht nur ihnen zuvor unbekannt gewesen war. Mit dem Theaterprojekt wollte man das Schicksal der Bewohner bekannt machen.
Das theatrale Ergebnis ist so vielschichtig wie diese Schicksale – und fast ebenso schwer fassbar. Der aus Angola stammende Regisseur Carlos Manuel, der für „Never Land“ am Theater Weimar gastiert, inszeniert das Stück multimedial: Filmsequenzen, kleine Cartoons, erzählen zwischen den Sprechakten die Geschichte. Deutsche Heimatlieder, gesungen von den Asylbewerbern, ergreifen auf besondere Weise. Lieb Heimatland, adé.

(Foto: © Stephan Walzl)
(Foto: © Stephan Walzl)

Alltägliche Szenarien werden erzählt. Die Verwunderung über die Freiheit, mit der sich Frauen in der deutschen Gesellschaft bewegen, wird deutlich in der Gegenüberstellung von Rechten hier und Schlechterstellung im Heimatland – die junge Darstellerin trägt in dieser Szene Kopfhörer. Sie hört von den Missständen in diesem Fall nichts. Sie ist jetzt in Deutschland, wie viele Frauen, Kinder und Männer, scheinbar beschützt. Doch wirklich sicher ist man auch hier nicht: Der iranische Geheimdienst etwa operiert auch in Deutschland; über Menschen, die ermordet werden, spricht niemand. Dem Bundesamt für Verfassungsschutz ist bekannt, dass der iranische Nachrichtendienst in Deutschland tätig ist. Das Ministry of Information and Security (MOIS) beobachtet und bekämpft Oppositionelle im In- und Ausland. In Deutschland kann es das ganz bequem durch eine Vertretung in der iranischen Botschaft in Berlin. Auch wenn MOIS „nur“ mit der Beobachtung iranischer Flüchtlinge beauftragt ist, spricht die Angst vor ihm Bände. Die Flüchtlinge wissen um die Methoden, wissen, dass sie auch in Deutschland nicht zu 100 Prozent sicher sind. Nicht solange das Vorgehen des Geheimdienstes tabuisiert wird. „Warum redet keiner über die Toten?“ – man kann nicht verstehen, nicht nachempfinden. „Never Land“ will kein Mitleid. Aber es macht beklommen, die dargestellte Angst zu spüren.
Eine ganz andere Angst ist die vor den deutschen Beamten. Sie entscheiden über das Leben von Menschen, sind die Machtinhaber in diesem Spiel. Die deutsche Bürokratie verschreckt. Sie erniedrigt, entmündigt. „Was denken die Leute über mich?“, hallt es durch den Raum. Asylbewerber erhalten in Thüringen nur ein kleines Taschengeld in bar, mit Lebensmittelgutscheinen können sie in bestimmten Geschäften einkaufen. Stigmatisierend. „Was ich brauche ist nicht, was ich bekomme.“, aber „Asyl ist ein Recht – Ich muss mich dafür nicht bedanken“. Tatsächlich ist die Grundlage, Artikel 16a des Grundgesetzes, klar – ganz im Gegensatz zur Lage derer, die er betrifft: Jeden Tag, über Monate bis zu Jahrzehnten in Ungewissheit zu leben, weil man nicht weiß, wie lang man geduldet wird. Täglich kann das Ausreisegebot im Briefkasten liegen. Häufigster Grund für die Ablehnung des Asylverfahrens: „Fehlende Glaubwürdigkeit der Gründe“. Fassungslosigkeit. Dem Heimatland unter widrigsten Umständen den Rücken gekehrt, wer weiß was dort erlebt. Fürchterliche Erfahrungen auch auf der Reise nach Deutschland; immer wieder erreichen Berichte über gesunkene Flüchtlingsboote unsere Medien, in Wirklichkeit passiert viel mehr. Man muss den Glauben an alles verlieren, glaubt einer nicht an die Notwendigkeit der Beweggründe von Menschen, die keinen anderen Ausweg als die Flucht sehen. Und dann: „Abgelehnt wegen fehlender Glaubwürdigkeit der Gründe.“ 30 Tage bleiben dann. 30 Tage, um auszureisen. „Diese Leute waren anfangs psychisch gelähmt“, erinnert sich Carlos Manuel, „erst mit der Zeit gab sich das. Aber die Unsicherheit war permanent zu spüren.“ Diese Ungewissheit prägte auch wesentlich die Vorbereitungen zum Projekt – man konnte nie wissen, ob alle zur Probe erscheinen: „Wenn sie morgens den Abschiebungsbrief bekommen, müssen sie sich natürlich erst mal einen Anwalt besorgen – dann ist die Probe futsch“, erklärt Manuel.

(Foto: © Thomas Müller)
(Foto: © Thomas Müller)

Der Wille sich einzuleben, auch das wird deutlich, ist groß, auch wenn dies im Asylbewerberheim schwer ist: mit Zäunen und Ausgangskontrolle, mit einer Residenzpflicht, die gegen die Freizügigkeit verstößt. „Man fühlt sich nicht allein, es gibt viele Ausländer“. Mit Blick auf eine mögliche Berufschance oder allein um den Integrationswillen zu bedienen, wäre Kontakt zu Deutschen besser. „Mich gibt es nicht, ohne Sprache bin ich ein Toter“.
Carlos Manuel hat für „Never Land“ erstmals mit Asylbewerbern gearbeitet, aber bereits einige ähnliche Vorhaben realisiert, etwa das Projekt „Mehr Islam wagen“ in Berlin. Dennoch: „Eine Demo ist das hier nicht“, so der Regisseur. Das Theater habe weder die Aufgabe, Menschen ‚aufzuklären’ noch eine moralische Instanz zu sein. „Wer sich engagieren will, braucht kein Theater“, betont er nachdrücklich. Vielmehr habe das Theater bereits seit der griechischen Antike und den Dramen des Sophokles den Blick der Zuschauer auf die „Nicht-Bürger“ richten wollen, auf Teile der Gesellschaft, die sonst kaum Aufmerksamkeit bekommen. „Eigentlich also eine sehr traditionelle Veranstaltung hier“, schmunzelt Manuel zum Abschluss.

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