Von Weimar nach Jerusalem… über Iaşi

David-Afkham_web

unique war beim Auftakt des diesjähringen Weimarer Kunstfestes dabei. Ein Abend mit dem französischen Autor Stéphane Hessel („Empört euch!“) und dem Young Philharmonic Orchestra Jerusalem-Weimar unter der Leitung von David Afkham.

von David

Alle Notabeln waren anwesend. Die thüringische Ministerpräsidentin war da, und hat sogar einige Worte gesagt. Präsent waren auch Weimars Oberbürgermeister, der gegenwärtige wie auch sein Vorgänger. Der Direktor der Gedenkstätte Buchenwald und Mittelbau Dora beehrte das Konzert  ebenso mit seiner Anwesenheit wie die Bundestagsabgeordnete des hiesigen Wahlkreises und ein Vertreter der Opposition im Weimarer Stadtrat. Selbstverständlich war auch die Leiterin des Kunstfestes da. Der Abend wurde dennoch von zwei anderen Stars dominiert: einem französischen (Ex-)Résistant und einem hochbegabten rumänischen Violinisten.

Zunächst einmal zum ersten Star: Stéphane Hessel. In Deutschland geboren, aber in Frankreich aufgewachsen, hatte er sich beim Einmarsch der Nazis in Frankreich erst empört und dann engagiert: in der Résistance. Diesen Drang nach Empörung über Ungerechtigkeiten und Verbrechen, wie auch den Trieb, gegen diese etwas zu unternehmen, will er an die jüngere Generation weitergeben. Zuletzt tat er dies sehr erfolgreich mit der Veröffentlichung zweier international erfolgreicher kleiner Pamphlete mit den programmatischen Titeln „Empört Euch!“ und „Engagiert Euch!“. In seiner Rede nannte Hessel die KZ-Erfahrung in Buchenwald eine ideelle Geburt Europas, da an diesem Ort der Barbarei eine Zwangsgemeinschaft europäischer Häftlinge entstand. Zu dieser gehörte auch der kürzlich verstorbene spanische Schriftsteller Jorge Semprún, dem der Abend gewidmet wurde.

Ironie statt Pathos

Der überzeugte Europäer Hessel plädierte für ein starkes Europa und angesichts der permanenten Finanz- und Wirtschaftskrisen auch für Regierungen, die den Mut haben, gegen die Dominanz der internationalen Finanz zu regieren. Und wieder der Aufruf, sich zu empören und zu engagieren. Besonders neue oder originelle Worte mag Hessel für jene, die seine Texte gelesen haben, an diesem Abend nicht geäußert haben. Aber wie er es getan hat! Eine solche schiere Begeisterung und Dynamik kann man sicherlich nicht von jedem 93-jährigen Mann erwarten, besonders mit einem so ereignisreichen Leben. Die geradezu ironisch-schmunzelnde Note, die er in seiner Darbietung einflocht, ließ einen die etwas pathetisch-schweren Einführungen von Christine Lieberknecht und Nike Wagner, der Leiterin des Kunstfestes, im Flug vergessen. Ob seine Bemerkung, dass er sich über die so zahlreichen jungen Leute im Saal freue selbstironisch (Hessel ist ja etwa 40 Jahre älter als das Publikumsdurchschnittsalter) oder einfach nur ironisch war (ich habe den Eindruck, zur Senkung des Durchschnittsalter erheblich beigetragen zu haben), sei dahin gestellt. Für Hessel lag der Sinn von „Gedächtnis Buchenwald“ auf jeden Fall darin, das Leben zu feiern… und in der Völkerverständigung durch das gemeinschaftliche Hören guter Musik.

Und die gab es an diesem Abend zuhauf. Das in jeglichen Sinne junge Young Philharmonic Orchestra Jerusalem-Weimar unter der Leitung von David Afkham (Foto oben), einem Absolventen der Weimarer Hochschule für Musik Franz Liszt, gab jeweils ein Werk von Viktor Ullmann, Karl-Amadeus Hartmann und Johannes Brahms zum Besten. Die Aufführung begann mit einer vom israelischen Komponisten Michael Wolpe orchestrierten Fassung der siebten Klaviersonate Ullmanns. Ullmann hatte diese 1944 im Konzentrationslager Theresienstadt komponiert; kaum zwei Monate später wurde er von den Nazis ermordet. Trotz der widrigen Umstände ihrer Entstehung finden sich neben melancholischen Momenten auch viel Freude und Leichtigkeit.

Ausklang zum Schabbat

Hartmanns „Concerto funèbre“ für Orchester und Violine bildete den Höhepunkt des Abends. Hartmann komponierte es 1939 als Protest gegen den deutschen Einmarsch in die Tschechoslowakei. Das Werk vereinigt tschechische und ostjüdische Klänge mit Zitaten aus Liedern der deutschen Arbeiterbewegung. Es ist ein für den Zuhörer anspruchsvolles (aber sehr lohnendes) Werk, für Orchester und Solovioline eine tour de force. Der 23-jährige Dragos Mihail Mânza aus Iaşi wurde dieser Anforderung mehr als gerecht und strapazierte seine Violine bis an die Grenzen ihrer Möglichkeiten. Obwohl er der unerwartete Star des Abends wurde (der Programmflyer hatte seinen Namen nicht genannt), zeigte er keinerlei Star-Allüren. Peinlich gerührt, dass man ihm einen Blumenstrauß übergab, reichte er ihn an die bezaubernde zweite Violinistin des Young Philharmonic Orchestra weiter, ging linkerhand aus dem Saal und überließ dem Orchester den Rest des Konzerts mit Brahms‘ „Tragischer Ouvertüre“. Diese bildete einen angemessenen und klassischen Ausgang nach der extremen Emotionalität des Hartmann‘schen Concertos. Kurz vor 20 Uhr, dem ursprünglich geplanten Konzertbeginn, war es zu Ende. Denn um 20.24 Uhr begann der Schabbat!

(Foto: © Julian Luebb)

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