Der Mann zwischen den Sprachen

Ivanji (zweiter von rechts) mit Tito und Willy Brandt im Juni 1974 (Foto: Promedia-Verlag)
Ivanji (zweiter von rechts) mit Tito und Willy Brandt im Juni 1974 (Foto: Promedia-Verlag)

Vom Literaten zum Diplomaten und wieder zurück – Ivan Ivanji spricht mit der unique über seine Erfahrungen als Titos Dolmetscher und über Streifzüge durch die serbische, deutsche und ungarische Sprache.

unique: Wie kommt es, dass Sie Titos Dolmetscher wurden und wie nahe standen Sie dem jugoslawischen Staatschef, jenseits protokollarischer Regeln?
Ivanji: Zum ersten Mal dolmetschte ich für Tito, weil ich dem damaligen Außenminister Koča Popović positiv aufgefallen bin. Berufsdolmetscher hatten wir damals noch gar nicht. Das alles habe ich im Büchlein Titos Dolmetscher ziemlich präzise beschrieben. Natürlich gab es mit Tito einen normalen Kontakt. Er war privat ein sehr sympathischer und freundlicher Mensch, da könnte ich viele Anekdoten erzählen. Das Protokoll hat er manchmal für Nahestehende sichtlich gequält über sich ergehen lassen. Allerdings behauptet mein Sohn, ich hätte Tito als eine Art Vaterfigur verehrt.

Gab es internationale Treffen und Besprechungen, bei denen Sie besonders stolz sind, sie gedolmetscht zu haben? Wie ging es Ihnen hingegen, wenn Sie Sachverhalte dolmetschen mussten, die Ihren Überzeugungen widersprachen?
Oh, ja, auf der Gründungskonferenz der KSZE in Helsinki war ich sehr stolz, neben Tito zu stehen und meinerseits auf bescheidenste Weise das damalige Jugoslawien zu repräsentieren! Hinsichtlich des zweiten Teils der Frage kann ich nur sagen, dass ich stets „unsere“ – Titos, beziehungsweise die Standpunkte des damaligen Jugoslawiens – auf das Ufer der anderen Sprache „hinübergerudert“ habe. Demzufolge stand das in keinerlei Widerspruch zu meiner eigenen Meinung. Deshalb habe ich stets mit Erfolg darauf bestanden, „meine Seite“ zu übersetzen, weil ich, was die Kenntnisse der Sprache angeht, der Meinung war und bin, dass ein Dolmetscher auf dieser Ebene beide Sprachen gleichermaßen beherrschen müsse. Das steht im Gegensatz zur verbreiteten These, der Dolmetscher sollte aus der für ihn „fremden“ Sprache für seine Delegation übersetzen.

Welche Politiker, Diplomaten und andere berühmte Persönlichkeiten, die Sie gedolmetscht haben, waren für Sie besonders beeindruckend oder enttäuschend?
Positiv beeindruckend war ohne einen jeden Zweifel Willy Brandt! Das schönste Kompliment jedoch habe ich von Hans-Dietrich Genscher bekommen, der mir einmal sagte: „Ich weiß ja nicht, wie Sie dolmetschen, weil ich Ihre Sprache nicht kann, aber es klingt so überzeugend!“ Enttäuschend fand ich niemanden, denn von Persönlichkeiten wie etwa Walter Ulbricht habe ich nichts anderes erwartet, als das, was ich mit ihnen erlebt habe.

Wie hat Ihre Dolmetschertätigkeit Ihr Dasein als Literat beeinflusst?
Meine Dolmetschertätigkeit hat mir viele Ideen für die literarische Produktion gegeben. Zum Beispiel hätte ich in meinem Roman Barbarossas Jude den Kaiser Diokletian nicht beschreiben können, hätte ich Tito nicht gekannt, worauf er mich einmal direkt angesprochen hat.

Sie sind dreisprachig aufgewachsen in einer Region, in der dies absolute Normalität war. Ist diese Selbstverständlichkeit nach dem Zweiten Weltkrieg in Jugoslawien verloren gegangen – besonders vielleicht in Bezug auf die deutsche Sprache, also die „Sprache der Täter“?
Leider ist es so. Es ist jedoch nicht nur die deutsche Sprache auf den Straßen meiner Heimat verschwunden. Auch die Menschen, die sie gesprochen haben, also Deutsche und Juden, sind nicht mehr da. Heute spricht kaum ein junger Serbe Ungarisch, viele Ungarn sprechen kein Serbisch mehr. Die Minderheiten kapseln sich in ihren kleinen Zirkeln ab. Es ist schwer zu begreifen, warum es so ist, aber so ist es.

In Titos Dolmetscher schreiben Sie, dass Sie nicht genau wissen, welche Ihre Muttersprache ist. Gerade in Westeuropa würden viele Menschen daraus enorme Identitätsprobleme entwickeln. Wie haben Sie aus einer solchen „Not“ eine große Tugend gemacht?
So gesagt ist das eher der Scherz eines Schreibenden, der sich intensiver mit Sprache beschäftigt, als die meisten anderen. Wie viele Menschen, egal in welchem Land, sprechen die einzige Sprache, die sie können – mehr oder weniger kennen –, also ihre Muttersprache, wirklich gut? Wie viele Wörter benützen sie im Alltag? Mein Deutsch habe ich von meiner Gouvernante gelernt, einer Österreicherin, obwohl ich auch mit meinen Eltern Deutsch gesprochen habe. Miteinander sprachen sie auch vor uns Kindern Ungarisch, aber mit aller Welt sprachen wir Serbisch. Aus ihren wenigen erhaltenen Briefen sehe ich, dass meine Eltern, obwohl sie in Deutschland studiert haben, nicht wirklich gut Deutsch konnten. Ist Deutsch also meine „Kinderfräuleinsprache“?

Hat man mit einer trilingualen Erziehung ein besonderes Sprachtalent? Oder kostet gerade deswegen das Erlernen weiterer Sprachen besonders viel Mühe?
Ich glaube weder noch. Das Positive ist vielleicht nur, dass man keine Angst vor noch unbekannten Sprachen hat. Ich zum Beispiel spreche ein wenig Französisch; das bedeutet, ich kann mir das Essen im Restaurant bestellen, einkaufen und ein wenig politisch diskutieren, das Wichtigste in der Zeitung verstehen, aber keine Romane lesen und gar nicht schreiben. Und ich verstehe etwas Englisch.

Früher haben Sie Ihre Romane auf Serbisch verfasst, seit den 1990er Jahren sind Sie als Literat auf die deutsche Sprache „umgestiegen“. Welche Gründe gab es dafür bzw. wie entscheiden Sie, in welcher Sprache Sie schreiben?
„Umgestiegen“ ist nicht ganz richtig. Meine Romane Kaiser Diokletian und Kaiser Konstantin wurden ins Deutsche übersetzt – und ich war nicht ganz glücklich damit. Dann habe ich 1992 Schattenspringen übersetzt. Oder besser gesagt: Eigentlich habe ich diesen Roman nicht übersetzt, sondern neu geschrieben. Es war mir zu fad, genau zu übersetzen. Seither schreibe ich manchmal auf der einen, dann auf der anderen Sprache zuerst und später auf der anderen noch einmal, aber etwas anders. Eine nette, junge Italienerin hat in der Universität Turin sogar eine Dissertation geschrieben, in der sie unter anderem behandelt, was die Unterschiede in meinem Roman Das Kinderfräulein auf Deutsch und Serbisch sind. Sie hat Slawistik und Germanistik studiert – ich habe mich im Nachhinein selber gewundert was sie alles gefunden hat!

Zur ungarischen Sprache scheinen Sie ein distanzierteres Verhältnis als zum Serbischen oder Deutschen zu haben. Hat das praktisch-alltägliche Gründe? Vermissen Sie diese Sprache vielleicht sogar?
Distanzierter würde ich nicht sagen. Nur aus mangelnder Praxis bin ich im Ungarischen nicht so gut, wie im Deutschen und Serbischen. Ich verstehe wirklich alles, kann alles lesen, meine Aussprache ist in Ordnung, ich kann auch einen Vortrag auf Ungarisch halten und im Alltag sprechen fällt mir überhaupt nicht schwer. Aber schreiben könnte ich nicht gut, weil mein Geschriebenes zu blass wäre.

Herr Ivanji, wir danken Ihnen für das Gespräch!

Das Interview führten David & Frank.

Ivan Ivanji, Jahrgang 1929, wurde in Bečkerek (heute: Zrenjanin, Serbien) geboren. Der polyglotte Literat arbeitete als Diplomat und als Dolmetscher des jugoslawischen Präsidenten.
Seine Memoiren, „Titos Dolmetscher“, sind im Promedia-Verlag erschienen.

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