No Sleep, No Sex, No Rest

Ein unique-Redakteur über seinen 60-stündigen Filmdreh-Marathon beim Kino Dynamique Jena.

von Robert

Samstagmorgen 11:00 Uhr. Im Erdgeschoss eines Reihenhauses in der Nähe des Paradisbahnhofs quetschen sich die Menschen. Es ist Produktionsmeeting. Das heißt, die Regisseure präsentieren ihre Drehbücher, versuchen ihr Team zu werben. Viel Zeit für Überzeugungsarbeit haben sie nicht, denn in genau 60 Stunden muss ihr Film gedreht und geschnitten vorliegen, so ist der Deal. Das Kino Dynamique Jena ist kein traditionelles Filmfestival mit Sieger und Jury. Vielmehr ist es eine Art Plattform, die jedem die Chance bieten will, seine Ideen zu verwirklichen. Der einzige Konkurrent: die Uhr.

Auch ich bin an diesem Morgen mit von der Partie; zwar verpasse ich das morgendliche Meeting, allerdings kann ich mich noch beim Projekt eines Bekannten mit einschleichen. Auch wenn er noch nie eine Kamera in der Hand hatte, wird er spontan zum Kameramann ernannt und ich, fern von jeder schauspielerischen Erfahrung oder Talent, zum Hauptdarsteller. Und dann geht’s los.

Mit der Euphorie von Laborratten

Relativ verpeilt eilen wir durch die Stadt und versuchen, die Fragmente des Drehbuchs irgendwie umzusetzen. Als wir herausfinden, dass wir niemanden haben, der sich um den Ton kümmert, entschließen wir uns spontan aus dem Ganzen einen Stummfilm zu machen.

Wie verwackelt die Bilder sein werden und wie unverständlich für den Zuschauer, fällt uns zu diesem Zeitpunkt noch nicht auf, wir drehen einfach drauf los. Mit der Euphorie von Laborratten filmen wir uns in Kaffees und auf der Straße.

Gegen 22:00 ist dann Drehschluss. Zurück am Haus, setze ich mich noch ans Schneiden, wovon ich zu diesem Zeitpunkt keine Ahnung habe und was mir diese Nacht den Schlaf rauben sollte. Mühevoll arbeite ich mich in das Schnittprogramm ein und nerve den erfahrenen Nebenmann bei jeder Kleinigkeit, die ich nicht verstehe. Dieser bleibt aber gelassen, auch als ich gegen vier Uhr morgens im Müdigkeitswahn anfange, dieselben Fragen mehrfach zu stellen. Zwei Stunden später kann ich die Augen kaum noch offenhalten und haue mich hin.

Sonntagmorgen neun Uhr. Schritte wecken mich. Die Ersten machen sich schon wieder auf, um zu drehen. Ich bin ungeduscht, mies gelaunt und habe nur drei Stunden auf einem Sofa geschlafen. Der Tag könnte kaum besser sein. Die Begeisterung von gestern ist verflogen. Wir kommen nicht zu den gewünschten Drehorten und die Zeit läuft uns auch davon. Wir improvisieren was geht – und was sich nicht improvisieren lässt, schneiden wir raus. Ob man überhaupt verstehen wird, was da vor der Kamera passiert? Doch für solche Überlegungen ist nicht mehr viel Zeit. Nur schnell zurück zum Haus und das restliche Filmmaterial zusammenschneiden und mit Musik unterlegen.

Beim Schneiden fällt uns auf, dass hier und da Szenen fehlen – wir haben schlicht vergessen, sie aufzunehmen. Weglassen oder neu drehen? Unser Kameramann rettet die Situation und erklärt sich bereit, noch ein paar Landschaftsszenen als Lückenfüller zu drehen. Nicht die beste Idee, aber besser als nichts.

Als der Schnitt zu Ende ist, wird noch der Ton unter die Bilder gelegt, aber zu diesem Zeitpunkt schlafe ich schon, bette mich in himmlische Ruh‘ und hoffe, dass ich es heute um 22:00 Uhr zur Vorführung schaffe.

Der Große Moment

Montagabend 22:00 Schillerhof. Der Blaue Saal ist vollgestopft mit Menschen, die darauf brennen, die Filme anzusehen. Das Thema der Reihe sollte zwar „Endzeit“ sein, aber das war mehr als grobe Richtschnur denn als wirkliche Vorgabe zu verstehen. Und so sieht man Filme über Sozialarbeiter, das Ende der Welt, Krimis oder auch Bild-Klang-Experimente. Einige bestechen durch Ideen und Witz, andere durch die aufwendige Umsetzung, einige wenige durch beides.

An jenem Abend wurde auch unser Film gezeigt. Das Endergebnis hatte dann doch nicht mehr sehr viel vom Urgedanken und ich muss gestehen: Als der Film lief, tat ich so, als ob es nicht ich bin, der da wie ein Bekloppter vor der Kamera herum hopst und sich total zum Affen macht. Geklatscht wurde dann doch am Ende. Geklatscht wurde für alles. Denn hier kommt es nicht auf Gewinnen oder Verlieren an, sondern drauf, sich einfach auszuprobieren. Und als ich mich an diesem Abend schlafen legte, ein Gefühl aus Scham und Müdigkeit in der Magengrube, spielte ich mit dem Gedanken, nächstes Jahr vielleicht nochmal mitzumachen – dann allerdings unter anderem Namen und mit falschem Bart.


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