Sieben Vor- und Nebenentdecker

Machen Forschungserkenntnisse wurden von zwei Wissenschaftlern unabhängig voneinander gewonnen, andere existieren schon lange vor ihrer „Entdeckung“, wurden aber nicht in die Öffentlichkeit gebracht. Sie verhalfen den Briten mit zur Weltmacht (mit Zitronen), sie ließen Kugeln von Kirchtürmen fallen und entdeckten Chromosomen: manche Wissenschaftler haben großartige Entdeckungen gemacht. Und wurden dafür nie hinreichend gewürdigt. Höchste Zeit, dass wir ihre Geschichten erzählen.

von Ella, Miriam, Marie und Lara

Fallende Körper: Simon Stevin vs. Galileo Galilei
Der Niederländische Ingenieur, Mathematiker und Physiker demonstrierte, dass zwei unterschiedlich schwere Objekte mit derselben Geschwindigkeit zu Boden fallen. Obwohl dies klar den Lehren Aristoteles‘ widersprach, erhielt sein 1586 veröffentlichter Bericht kaum Aufmerksamkeit. Stattdessen wird die Entdeckung meist dem Universalgelehrten Galileo Galilei zugesprochen. Über Galilei steht nämlich geschrieben, dass er unterschiedlich große Kugeln aus verschiedenen Materialien vor einer Menge aus Interessierten und Schaulustigen vom Turm von Pisa warf, damit alle sehen konnten, dass sie gleichzeitig landen. Ob das allerdings wirklich passiert ist oder lediglich ein Gedankenexperiment war, ist umstritten. Aber selbst angenommen, es wäre historischer Fakt, hätte es erst einige Jahre nach Stevins Experiment stattgefunden. Stevin hatte zwei Bleikugeln, die eine zehnmal so schwer wie die andere, vom Turm der Neuen Kirche in Delft fallen lassen. Auch ging sein Bericht Galileis ersten (zu Lebzeiten unveröffentlichten) Abhandlungen zu fallenden Körpern drei Jahre voraus. Bekannt war Stevin trotzdem: Er etablierte die Nutzung von Dezimalbrüchen und übersetze unzählige wissenschaftliche Begriffe ins Niederländische. So prägte er auch die Worte für Mathematik –  wiskunde – und Physik – natuurkunde.

Sprachbarrieren: Wilhelm Weinberg vs. Godfrey H. Hardy
Was haben ein Gynäkologe und ein Mathematiker gemeinsam? Ganz klar: Das Hardy-Weinberg-Gleichgewicht. Es sagt aus, dass Häufigkeiten von Allelen und Genotypen in einer Population ab der 2. Tochtergeneration konstant bleiben, wenn keine evolutionären oder äußeren Einflüße wirken. Rezessive Allele würden also nicht mit der Zeit seltener werden oder gar aussterben. Die Häufigkeit eines Genotyps lässt sich anhand der relativen Häufigkeiten der Allele in der Population berechnen. Diese Regel sollte den Grundstein der Populationsgenetik legen. Wilhelm Weinberg, ein Stuttgarter Allgemeinarzt, Gynäkologe,  Vererbungsforscher und Verfasser von über 160 Arbeiten, präsentierte sie im Januar 1908 bei einem Vortrag. Der Vortrag wurde auch abgedruckt und veröffentlicht– auf Deutsch. Zeitgleich gelangte der englische Mathematiker Godfrey Harold Hardy zum gleichen Ergebnis. Hardy hatte nichts für angewandte Mathematik übrig, war aber von einem befreundeten Biologen auf eine Kontroverse aufmerksam gemacht worden: Breiten sich dominante Allele in einer Population automatisch aus? Kurzum schrieb er dem Herausgeber des Science-Magazines im Juli 1908 und löste das Problem mit wenigen Gleichungen. Das Gesetz wurde Hardy’s Law genannt. Weinbergs Arbeit blieb im englischen Sprachraum ganze 35 Jahre lang unbekannt. Schuld hatte allein die Sprachbarriere. 1943, sechs Jahre nach seinem Tod, wies ein emigrierter Genetiker auf Weinbergs Leistungen hin und das Gesetz wurde zu Ehren beider Männer umbenannt.

Plagiat in der Mathematik? Gottfried Wilhelm Leibniz vs. Isaac Newton
Während Leibniz als einer der prominenstesten deutschen Denker, als großer Vorreiter der Aufklärung, der Philosophie und Mathematik gilt, machte er sich bei den Unterstützern Isaac Newtons extrem unbeliebt. Der Vorwurf: Er habe Newtons Calculus plagiiert. Newton hatte in den 1660er Jahren eine Methode der Infinitesimalrechnung entwickelt. Darin beschrieb er die Konzepte der Fluente – einer von der Zeit abhängigen Funktion – und der Fluxion – die Veränderungsrate bzw. Ableitung der Funktion. Im Calculus wird also die Zeit unendlich klein, um die Veränderungsrate an einem Punkt zu erhalten. Leibniz‘ Zugang dagegen ist über die Geometrie. Die Kurve sei ein Unendlich-Eck, ließe sich also beschreiben durch unendlich viele Tangenten, und an jede Tangente kann man ein infinitesimales (d.h. unendlich kleines) Steigungsdreieck anlegen. Leibniz entwickelte seine Infinitesimalrechnung in den 1670ern. Zu dieser Zeit war in Newtons Kreisen bereits bekannt, dass dieser der Urheber des Calculus ist, aber er hatte nichts darüber publiziert. Leibniz erfuhr davon erst, nachdem er seine Arbeiten veröffentlicht hatte. Dies sollte über Jahrzehnte zu Konflikten ihrer Anhänger und zu wechselseitigen Plagiatsvorwürfen führen, was  1712 in einer Klage gipfelte. Die Royal Society of London erklärte Leibniz auf Grundlage von Newtons Notizen und Briefen und ohne ihn anzuhören für schuldig. Heute gilt als erwiesen, dass sich die Methoden unabhängig entwickelt haben.

Keine Anerkennung in Biologiebüchern: Rosalind Franklin vs. Francis Crick
Rosalind Franklin, eine britische Naturwissenschaftlerin, konnte beweisen, dass die DNA aus zwei Strängen und Phosphatbrücken besteht. Dies gelang ihr 1952 anhand eines Röntgenbeugungsbildes, des sogenannten Foto 51. Ohne ihr Wissen zeigte ihr Kollege Maurice Wilkins diese Ergebnisse und Röntgenbilder den Wissenschaftlern James Watson und Francis Crick. Diese arbeiteten zu dieser Zeit an einem DNA-Modell, das sie anhand von Franklins Ergebnissen vervollständigen und veröffentlichen konnten. Folglich erhielten sie die gesamte Anerkennung und da Franklins Befunde erst später veröffentlich wurden, wirkte ihre Arbeit mehr wie eine Bestätigung als wie eine eigene Entdeckung. 1962 erhielten Watson, Crick und Wilkins den Medizin-Nobelpreis für die Entdeckung der Molekularstruktur der DNA; Rosalind Franklin war zu diesem Zeitpunkt bereits verstorben. Da der Nobelpreis nicht posthum verliehen werden kann, ist nicht eindeutig, ob Franklin bei der Verleihung vernachlässigt wurde oder durch ihr Ableben einfach nicht in Frage kam. Fakt ist aber, dass in sämtlichen Biologiebüchern die Bilder Watsons und Cricks zu finden sind, während Rosalind Franklin nahezu keine Anerkennung erhielt.

Keine Gleichberechtigung in der Wissenschaft: Nettie Stevens vs. Edmund B. Wilson
Nettie Stevens, eine amerikanische Genetikerin, entdeckte am Beispiel der Fruchtfliegen, dass das Geschlecht von Chromosomen bestimmt wird. Edmund B. Wilson forschte zur gleichen Zeit wie seine Kollegin auf diesem Gebiet; er glaubte jedoch, dass Umwelteinflüsse eine Rolle bei der Geschlechtsdetermination spielten. Die Wichtigkeit des kleinen Chromosoms (Y) erkannte er erst nachdem er Stevens Bericht dazu gelesen hatte. Wilson veröffentlichte seine Ergebnisse jedoch vor ihr, weshalb er in der Literatur häufig als Entdecker der genetischen Geschlechtsdetermination bezeichnet wird. Neben ihm wird Thomas Hunt Morgan, ein Freund Wilsons und Lehrer von Nettie Stevens, die Entdeckung der Geschlechtschromosomen zugeschrieben, obwohl er zu Anfang gegen Wilsons und Stevens Interpretationen argumentiert hatte. Morgan baute später jedoch auf Stevens Ergebnissen auf und erforschte zusätzlich die Anordnung der Gene auf den Chromosomen. 1933 erhielt er für seine Erkenntnisse den Nobelpreis. Nettie Stevens verstarb bereits einige Jahre zuvor, erhielt jedoch auch zu Lebzeiten nie eine gebührende Anerkennung.

Zitronen helfen zur Weltmacht: James Lind vs. Gilbert Blane
Unter Skorbut litten früher auf hoher See viele Matrosen aufgrund von Mangelernährung und zu wenig Vitamin C. In einem der ersten kontrollierten, klinischen Experimente wurde die bekannten Seemannskrankheit das erste Mal 1747 von James Lind untersucht. Der britische Marinearzt startete eine Versuchsreihe mit zwölf an Skorbut erkrankten Männern, die er in Gruppen einteilte, um dann verschiedene Heilmittel zu testen. Neben Substanzen wie einer Paste aus Knoblauch und Senf oder Salzwasser erhielt eine Gruppe Orangen und Zitronen. Die Männer, die die Zitrusfrüchte zu sich genommen hatten, erholten sich schon kurz darauf. Das Krankheitsbild der anderen Versuchsteilnehmer verbesserte sich dagegen nicht. Die Ergebnisse veröffentlichte Lind 1753, diese wurden jedoch lange Zeit ignoriert. Erst 1795, also fast 50 Jahre nach James’ Experiment, wurde durch den Arzt Gilbert Blane der Konsum von Zitronensaft bei der britische Marine zur Pflicht. Diese kleine Änderung trug dazu bei, das Kolonialreich des British Empire zum größten der Geschichte auszuweiten.

Auch Genies brauchen Inspiration: Alberst Einstein vs. Henri Poincaré
Niemand hat das Bild des genialen Wissenschaftlers geprägt wie er: Der einfache Patentbeamte, der mit der Relativitätstheorie im Alleingang unser aller Weltbild revolutioniert hat. Albert Einsteins bahnbrechender Artikel „Zur Elektrodynamik bewegter Körper“, mit dem er 1905 die spezielle Relativitätstheorie begründete, beinhaltet nicht eine einzige Zitation. Lange Zeit galt Einstein als alleiniger Begründer der Relativitätstheorie. Doch Briefe belegen, dass er sich in einem Diskussionskreis wochenlang mit wissenschaftlichen Veröffentlichungen beschäftigt hatte – darunter Arbeiten von Henri Poincaré. Der französische Mathematiker, Physiker und Philosoph hatte bereits in den fünf Jahren vor Einsteins Veröffentlichung Korrekturen zu vorhergegangenen Theorien vorgelegt, die einen Großteil der formalen Aspekte der speziellen Relativitätstheorie beinhalteten. Eines ist jedoch weitestgehend unstrittig: Wo Einstein das Denken der Physik auf den Kopf gestellt hat, versuchte Poincaré, das alte Denken zu retten. Den Kern von Einsteins Relativitätstheorie, eine völlige Neuinterpretation von Raum, Zeit und Wissenschaftsbild, sah Poincaré nicht voraus.

 


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