„Wir wollen die ganze Torte“

Das Ensemble des Jungen Schauspielhauses Düsseldorf (Foto: Sebastian Hoppe)

„Ruhestörung“ in Rudolstadt: Vier Jugendliche und vier Senioren mit Theater über Jugend, Alter – und das, was dazwischen kommt.

von bexdeich

Alle sind im Alter von 27 Jahren gestorben: Jimmy Hendrix, Amy Winehouse und Kurt Cobain. Sie waren verrückt auf das Leben und gleichzeitig auf die Erlösung. Sie lebten das kurze und schillernde Leben einer Wunderkerze. Wie lebt es sich jenseits dieses magischen Lebensalters, die der Ottonormalbürger ganz selbstverständlich überschreitet?! Im Rahmen des Thüringer Theaterfestivals Ruhestörung in Rudolstadt hat sich das Stück 27/Siebenundzwanzig des Jungen Schauspielhaus Düsseldorf dieser und anderen Fragen gewidmet.

Vier Jugendliche und vier Senioren, einander fremd, finden sich zu einem gemeinsamen Abendessen zusammen. Im Laufe des Abends nähern sie sich zwischen Vorspeise, Verdauungsspaziergang und Dessert an. Die Runde, ihr Alter reicht von 16 bis 72 Jahren, tauscht sich über die tausend Dinge aus, die man getan haben muss, bevor es zu spät ist: Spagetti kochen, von Alkohol kotzen, einen Baum pflanzen, den Sonnenaufgang ansehen, das Bett selber machen, endlich die Fotos in die Alben kleben. „Das Leben zu füllen, ist ein unendlich schwieriger Prozess“, sagt einer der Beteiligten, der gerade pensioniert wurde. Zum ersten Mal merkt er, wer diese Frau eigentlich ist, die ihm am Küchentisch gegenüber sitzt. Die etwas korpulente ältere Dame blickt zurück und wünscht sich, sie wäre einmal in ihrem Leben richtig verliebt gewesen und hätte als Prima Ballerina auf der Bühne gestanden. Der Pensionär meint: „Das Problem am Leben ist, dass es immer nur so mittel ist. Wir müssen diese Mittelmäßigkeit erkennen, akzeptieren und uns schön reden.“ Die andere ältere Dame hält dagegen: „Nein, wir müssen die ganze Torte wollen“. Die bunte Gruppe stellt sich nicht nur der Vergangenheit, sondern auch den Fragen der Zukunft. „Habt ihr noch Visionen?“, werden die Jugendlichen gefragt. Die Alten haben den Eindruck, den Jungen fehle der Mut. Ein Mädchen erzählt: „Ich habe Angst, dass mein Leben eine völlig falsche Richtung eingenommen hat. Ich habe Angst, dass ich immer nur warte!“ Das Stück 27/Siebenundzwanzig zeigt mit einem Augenzwinkern, dass die Zweifel am Sinn des Lebens nicht vom Alter abhängig sind. Ob sich das Leben lohnt und wie es sich zu leben lohnt, fragen sich Menschen vor, in und nach dem magischen Lebensalter 27.

Das Theater Rudolstadt bot mit der nunmehr zweiten Auflage von Ruhestörung einen Ort, sich künstlerisch und kreativ mit dem Thema Altwerden und einer alternden Gesellschaft auseinander zu setzen. Vom 03. bis 06. Oktober drückten Produktionen aus Deutschland, Ungarn und Österreich über Tanz, Schau- und Puppenspiel sowie Varietétheater aus, was für sie „Anders altern!“ bedeutet. Das facettenreiche Theaterfestival hat es verdient, auch in studentischen Kreisen, den Alten von Übermorgen, mehr Gehör zu finden.

unique ist gespannt auf eine weitere Ausgabe von Ruhestörung!

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