Rezension: Friedhof der Träume

2012 kam die somalische Olympionikin Samia Yusuf Omar beim Versuch der illegalen Einreise nach Europa ums Leben. Reinhardt Kleist hat ihr mit der im Carlsen-Verlag erschienenen Graphic Novel Der Traum von Olympia ein Denkmal gesetzt.

von Robert

Peking 2008, die Olympischen Spiele erstrahlen in einem bis dahin nie dagewesenen Prunk. Es ist der Vorentscheid zum Zweihundertmeterlauf der Damen. Zum ersten Mal mit dabei: die 18-jährige Samia Yusuf Omar. Die  junge Frau aus Somalia verliert auf ganzer Linie, wird aber als Underdog zum Liebling der Zuschauer weltweit. Schnitt. Mogadischu, Monate später: Samia kehrt trotz des sportlichen Fehlschlags als gefeierte Heldin nach Hause zurück. Doch nicht jeder ist ihr wohlgesonnen. Die islamistische al-Shabaab-Miliz drangsaliert sie: Eine Frau habe keinen Sport zu treiben, vor allem nicht knapp bekleidet und vor laufenden Kameras. Sie sei eine Schande. Sie erhält Morddrohungen. Doch Samia bleibt entschlossen: Sie will 2012 in London wieder antreten – und dieses Mal gewinnen. Dafür ist sie bereit zu kämpfen und Grenzen zu überschreiten.
Reinhardt Kleist erzählt in seinem neuen Werk, wie schon in seinen Graphic Novels Castro oder 1914: Ein Maler zieht in den Krieg, nicht nur ein persönliches Schicksal, sondern entfaltet einen politischen Kosmos. Samia reist zuerst von Somalia nach Äthiopien, anschließend in den Sudan und nach Libyen. Ihr Weg wird zum Symbol einer ganzen Generation von afrikanischen Flüchtlingen, die täglich ihr Leben aufs Spiel setzen bei dem Versuch, die Küsten Europas zu erreichen. Um Elend und Hoffnungslosigkeit hervorzubringen, verzichtet Kleist auf Farbe. Trotz eines Szenarios, in dem Tod und Verzweiflung zum Alltag gehören, unterlässt es der Zeichner, diese in Nahaufnahme zu portraitieren. Die Stimmung ist präsent, wird jedoch vom groben Schwarz der Bilder verdeckt, ohne vergessen zu sein. Der Stil wird so zum Statement gegen gewaltpornografische Beileidsbekundungen und lässt zugleich den Betroffenen ihre Würde, ohne ihre Strapazen abzuschwächen.
Kleist versucht, die Geschichte so nah wie möglich an den realen Gegebenheiten zu halten. Dafür stand er in Kontakt mit Samias Familie und ehemaligen Freunden. Er baut Posts ihres Facebookprofils und SMS in die Bilder ein. Dass sich Samias Reise nicht eindeutig rekonstruieren lässt, gibt der Autor selbst zu. Szenen, für die es keinen Beleg gab, versuchte er anhand von Schilderungen anderer Flüchtlinge zu rekonstruieren. Ein Unterfangen, das Kleist durchaus gelungen ist. Der Realitätsbezug ergreift den Leser immer wieder. Lässt ihn hoffen, bangen – und nicht selten erschauern.

Reinhard Kleist:
Der Traum von Olympia
Carlsen-Verlag 2015
152 Seiten
17,90 €

 

 

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