Die „heilige“ Kamera

Szenenfoto aus „We Will Resist“ (Iran 2016, © Soureh Film Club)

In der iranischen Filmindustrie existiert ein Sektor für Propagandafilme, in dem islamische Werte, kitschiger Pathos und Feindbilder im Vordergrund stehen.

von Annegret & Ladyna

Ein kleines Mädchen mit Puppe in Nahaufnahme. Während sie in ein Flugzeug steigt, ertönt epische Musik. Szenenwechsel: Eine amerikanische Militärflotte in Küstennähe, die das Passagierflugzeug abschießt. Menschen aus dem nahegelegenen Ort laufen angesichts des Schreckens am Strand zusammen; Arbeiter schwenken iranische Fahnen und klopfen sie rhythmisch auf den Boden. Ein Ausdruck des unbeugsamen Widerstandes.
Es gehört zu den großen Stärken von Filmen, den Zuschauer emotional zu ergreifen. Genau dieser Aspekt macht dieses Medium auch für die Verbreitung politischer Botschaften interessant: Ob diese nun unterschwellig in fiktionale Inhalte eingestreut werden und erst langsam zu Überzeugungen heranreifen oder in einem pseudodokumentarischen Format die Meinung und das Verhalten des Betrachters unmittelbar beeinflussen sollen. Die Fähigkeit des Films, eine Illusion der Wirklichkeit zu erschaffen und neue, unbekannte Perspektiven auf die Welt zu eröffnen, vermittelt den Anschein der Unmittelbarkeit und Wahrhaftigkeit.
Das versucht auch der zu Beginn skizzierte iranische Kurzfilm We Will Resist von 2016: Basierend auf einer wahren Begebenheit, dem Abschuss des Iran-Air-Flugs 655 durch ein amerikanisches Kriegsschiff im Juli 1988, endet  der Film damit, dass die Männer nur mit ihrer Willenskraft und dem rhythmischen Klopfen eine Welle auslösen, die die US-Flotte im Persischen Golf unter sich begräbt. Man kann gar nicht anders als zu schmunzeln bei so viel Pathos. Im Iran, dessen politisches System unter anderem durch theokratische und autoritäre Elemente geprägt ist und in dem mithilfe von Zensur und Verboten versucht wird, bestimmte Sicht- und Lebensweisen zu vermitteln, stellen Propagandafilme ein verbreitetes Hilfs- und Machtmittel dar.
„Im Iran haben Literatur und Film immer eine wichtige Rolle gespielt“, so Anoush Masoudi, ein in Deutschland lebender iranischer Student der Filmwissenschaften und Kurator des Länderschwerpunkts Iran beim diesjährigen cellu l’art-Kurzfilmfestival in Jena, das dem Propagandafilm im 21. Jahrhundert einen eigenen Filmblock widmete. So wurde vor der Islamischen Revolution 1979 und unter dem Schah-Regime nicht nur der Film allgemein gefördert, sondern auch politische Propagandafilme zur Rechtfertigung der Herrschaft genutzt.

Szenenfoto aus „We Will Resist“ (Iran 2016, © Soureh Film Club)

Mit Kopftuch ins Bett
Nach der Revolution von 1979 empfanden deren Führer Kinos zunächst als amoralische Institutionen und brachten das Filmschaffen im Land zum Stillstand – bis sie das Potenzial des Propagandafilmes für sich entdeckten, etwa zur Verbreitung „islamischer Werte“ und zur Konstruktion von Feindbildern im Kontext des Irak-Iran-Krieges. Im iranischen Kriegsfilmgenre wurde der Krieg oft als glorreich und „heilig“ dargestellt, indem er das Gute in den Protagonisten hervorbringt und nationalistische Gefühle mit propagandistischer Botschaft unterlegt. Der Stil war an die Propagandafilme der Sowjetunion und DDR angelehnt. Daneben produzierte man Filme, die sich konkret gegen bestimmte Gruppen, wie Kommunisten, Liberale oder Reformisten, richteten.
Die Inhalte der Filme haben sich im Laufe der Zeit stark verändert, nach dem Iran-Irak-Krieg hat sich die Propaganda vermehrt auf Amerika und seine Kultur sowie Israel als Gegner fokussiert. Dabei ist die Ausrichtung dieser Anfeindungen laut Anoush eine rein politische: „Es gibt gar keine Filme gegen Juden, nur gegen die Regierung in Israel.“ Daneben existieren Propagandafilme, die spezifisch religiöse Themen aufgreifen. Besonders in der Darstellung der Frau wird religiöse Sittsamkeit durchexerziert. Dazu kommt die Zensur, die unabhängig von Genre und Intention des Films existiert und keine unverschleierte Darstellung von Frauen zulässt – selbst wenn dies fernab von der Lebenswirklichkeit ist: Während im häuslichen Umfeld keine Kopftücher getragen werden, gehen in der Filmwelt selbst nächtliche Gespräche von Ehepaaren im Bett mit der Darstellung verschleierter Frauen einher. Die beiden Partner werden voneinander abgewendet dargestellt, durch Kissen oder ähnliches werden Barrieren der Sittsamkeit stilisiert. Beinahe überflüssig zu erwähnen, dass Darstellungen von Nacktheit und Sexualität ganz fehlen.
Gleichzeitig trifft die Zensur alle, deren Filme nicht mit der Regierungslinie konform gehen, wie etwa Abbas Kiarostami, dessen Filme über zehn Jahre nicht in seinem Heimatland gezeigt werden durften. „Ich denke, sie verstehen meine Filme nicht, so dass sie verhindern, dass diese gezeigt werden, für den Fall, dass meine Filme eine Nachricht enthalten, die sie nicht verstehen“, so Kiarostami in einem Interview.
Für die Propagandafilme existieren dagegen verschiedene Förderungsinstitute, teilweise stehen hohe Budgets zur Verfügung – besonders verführerisch für junge Filmemacher, die so Ideen realisieren und sich ausprobieren können. „Die Propagandafilme des Iran heutzutage sind richtig professionell und teuer“, so Anoush. „Niemand schaut schlecht umgesetzte Propagandafilme“. Zum Teil werden sie sehr aufwändig produziert, die Botschaften subtiler verpackt und ein höherer Wert auf die ästhetische und dramaturgische Qualität gelegt. Sie haben sich an den amerikanischen Stil angepasst, weil dieser eher dem Geschmack der breiten Bevölkerung entspricht. Damit hat sich auch die Reichweite der Filme erhöht, trotzdem steht die Wirkung nicht im Verhältnis zu den eingesetzten Mitteln. Die Rezipienten sind meist jene, die bereits auf Regierungslinie liegen, denn am Ende wollen die Menschen unterhalten werden und nicht indoktriniert. „Die normalen Leute im Iran schauen eigentlich keine Propagandafilme, die wollen amerikanische Serien sehen“, fügt Anoush hinzu.

Neue Feindbilder
Machthaber oder angehende Machthaber, sind heute gezwungen, mit den technischen Neuerungen mitzugehen, obwohl diese an und für sich für eine progressive Gesellschaft stehen, die sie eigentlich ablehnen. So traf sich während des diesjährigen Präsidentschaftswahlkampfes der erzkonservative Kandidat Ebrahim Raeissi, der öffentliche Konzerte ablehnt, mit dem iranischen Musikstar und Rapper Amir Tataloo, in dessen Videos halbnackte Frauen zu sehen sind. „Religion und Moral sind lediglich vorgeschobene Phrasen, um die Macht des Regimes zu rechtfertigen“, erklärt Anoush. Aber Propaganda wird nicht nur von Seiten des Systems eingesetzt, auch die Gegner machen sich dieses Mittel zunutze. Einige Filmemacher im Iran und auch in Europa drehen Filme gegen die Regierung und landen damit auf westlichen Film-Festivals; ihr Erfolg lässt sich oft in Preisen messen.
Auch wenn sich die iranische Gesellschaft insgesamt langsam verändert und Propagandafilme keinen hohen Stellenwert im täglichen Medienkonsum einnehmen, wird dies gerade angesichts der aktuellen politischen Lage nicht ihr Ende sein. „Schon jetzt gibt es Konflikte zwischen Saudi-Arabien und Iran und ich sehe, dass die Regierung diese Situation ausnutzt und einige Filme und Video-Clips produziert, die nicht gegen Israel, sondern gegen Saudi-Arabien gerichtet sind“, so Anoush. Damit könnte es zu einer Verschiebung des ideologischen Feindbildes kommen, denn ein äußerer Gegner hat schon immer zur inneren Einigkeit und damit zur Stabilität des Systems beigetragen. „Propagandafilme gehen zukünftig vielleicht mehr in eine nationalistische Richtung, denn Iraner sind ein sehr nationalistisches Volk, das in manchen Aspekten auch ein wenig rassistisch ist, besonders gegenüber Arabern“, prognostiziert der Kurator. Selbst ein Rückgang der Produktion von Propagandafilmen zeugt noch nicht von Demokratisierung, sondern sagt vor allem aus, dass die Machthaber dieses Mittel nicht mehr als effektiv erachten. Dieser Meinung ist auch Anoush: „Ich glaube, in den nächsten zehn Jahren sehen wir nicht mehr so viele klassische Propagandafilme im Iran, aber das bedeutet auch nicht, dass alles besser wird.“


Beitrag veröffentlicht

in

, ,

von

Schlagwörter:

Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert