Im serbisch-deutschen Spiegelkabinett

Die Festung Petrovaradin (Foto: Cornelia Gass)
Die Festung Petrovaradin (Foto: Cornelia Gass)

„Peterwardeiner Festung, das ist in Holland, nicht?“
„Nein, das ist in der Voj­vodina, in Serbien! Möchten Sie ein Prospekt mitnehmen?“
„Serbien?! Nee, da ist ja Krieg, da fahren wir nicht hin!“

von Hela

Zunächst angelockt von Hochglanzprospekten mit idyllischen Landschaften schreckt die ältere Dame erst beim Wort „Serbien“ zurück und verlässt unseren Messestand fluchtartig in Richtung Ungarn. Schade. Dabei hätte ich ihr gern mehr erzählt, von den satten Farben der Fruška Gora, den fast schon zu kitschigen Sonnenuntergängen über der Donau, dem Novi Sader Flair …
März 2009: Am Ende meines Auslandssemesters in Novi Sad arbeite ich auf der Internationalen Tourismusbörse (ITB) in Berlin. Gemeinsam mit den serbischen Kolleginnen versuche ich, Messebesucher für Serbien als Reiseland zu gewinnen. Gar nicht so einfach. Aufgrund der Geschehnisse der letzten 20 Jahre in Ex-Jugoslawien und der Art der Berichterstattung darüber wurde ein Serbienbild geprägt, das negativer kaum sein könnte.

Das serbische Bayern

Oktober 2008: Als Gaststudentin der Serbistik sowie als Deutschlehrerin und Mitarbeiterin einer Tourismusagentur stehe ich am Anfang meiner sechs Monate in Novi Sad. Mit etwa 250.000 Einwohnern zählt die Unistadt an der Donau zu den vier wichtigsten Städten Serbiens, zudem ist sie die Hauptstadt der Autonomen Provinz Vojvodina. Das Verhältnis der Vojvodina zu Serbien kann man vielleicht mit dem Bayerns zum restlichen Deutschland vergleichen, nur dass die Vojvodina im Norden des Landes liegt, sechs Amtssprachen hat und als Paradebeispiel einer multi-ethnischen Region gilt. Schon landschaftlich unterscheidet sich die pannonische Provinz vom „balkanischen“ Serbien, von der Geschichte einmal ganz zu schweigen – erst mit dem Friedensvertrag von Trianon wurde sie 1920 offiziell Serbien zugeschlagen.
Zurück zum Bayern-Vergleich: Auch in der wirtschaftlich stärksten Region Serbiens gibt es Unabhängigkeitsbestrebungen, aber auch Verschwörungstheorien, nach denen gewisse Kreise (wahlweise „DIE“ oder „der Westen“) bestrebt seien, die Voj­vodina abzutrennen und sie anstelle von Serbien in die EU einzugliedern.
Immer wieder jedenfalls ist die Rede von „denen da unten in Serbien“; und aus einer vagen Ahnung wird die Feststellung, dass ich die falsche Stadt für eine „richtige“ Serbienerfahrung gewählt habe.

Begegnungen mit Schlangen

Der Mikrokosmos Uni funktioniert überall nach eigenen Regeln. Neben sehr viel Lernen heißt das hier immer wieder: Warten. Warten in verschiedenen Schlangen. Um sich für das Studienjahr einzuschreiben, um eine Mensakarte zu beantragen, um die umgerechnet 15 Euro Miete fürs Wohnheimzimmer an der Kasse des Studentenwerks einzuzahlen, um Formulare zur Prüfungsanmeldung zu kaufen, um ein Buch kopieren zu lassen … Vieles funk­tioniert manuell und braucht daher seine Zeit. Als positiver Nebenaspekt ergeben sich aus der Warterei lockere Gespräche und schnell geknüpfte Bekanntschaften – denn wer steht schon gern schweigend eine Stunde an? Die Tatsache, dass man in Deutschland Südslawistik studieren und Serbisch lernen kann, ruft bei vielen Menschen, auf die ich treffe, eine Mischung aus Überraschung, Erstaunen, Freude und Misstrauen hervor. Warum ich das tue? Ich frage mich, ob sich wohl jemand darüber wundert, dass andernorts Deutsch gelernt und Germanistik studiert wird.

Die Zensur macht’s!

Ausländische Studenten werden im besten Wohnheim der Stadt untergebracht. So teile ich mir ein 10-Quadratmeter-Zimmer samt Bad mit Suzana, die eigentlich keine Ausländerin in ihrem Zimmer haben wollte. Die einheimischen Bewohner sind nicht immer gut auf Gaststudenten zu sprechen. Lernt man ein paar Vertreter dieser noch seltenen Spezies kennen, versteht man auch warum: Nicht wenige kommen wohl v.a. wegen des niedrigen Bierpreises nach Serbien. So landet internationales Partyvolk mit serbischen Strebern auf einem Flur, richtet sich die Wohnheimplatzvergabe für einheimische Studenten doch nach deren Noten. Eine privat gemietete Unterkunft kostet mindestens das Vierfache eines Wohnheimzimmers. Noten sind es auch, die jedes Jahr darüber entscheiden, wer „ins Budget“ kommt, also keine Studiengebühren zahlen muss und damit je nach Studienfach 500–1000 Euro im Jahr weniger aufbringen muss. Ein serbisches Durchschnittseinkommen liegt bei etwa 350 Euro monatlich.
Suzana nimmt mich dann doch herzlich auf. Sie hatte befürchtet, Englisch sprechen zu müssen. Auf Serbisch verstehen wir uns sehr gut. Es sei das erste Mal, so sagt sie später, dass sie jemanden kennengelernt habe, der nicht aus einer der früheren Teilrepubliken Jugoslawiens stammt.

Bombenstimmung im Spiegelkabinett

Aufgrund der Tatsache, dass ich aus Deutschland komme, verliere ich bei vereinzelten neuen Bekannten die Pluspunkte gleich wieder, die ich zuvor durch passable Serbischkenntnisse sammeln konnte: Je später der Abend, umso mehr Vorurteile kommen neben leeren Gläsern auf den Tisch. Als stolperten wir in derartigen Gesprächen durch ein Spiegelkabinett, tauchen verzerrte Bilder vor uns auf, in denen ich weder Serbien noch Deutschland wiedererkenne – und schon gar nicht die am Tisch sitzenden Menschen. Einmal mehr zeigt sich, wie überholt ein Denken in Kategorien wie „die Deutschen“ und „die Serben“ ist. Neben diesen Zerrbildern taucht immer wieder eine andere, ernst zu nehmendere Problematik auf, die zwischen uns steht: Die Beteiligung der Bundeswehr am NATO-Bombardement auf Serbien im Frühjahr 1999.

Eine Schlange weniger

Seit Beginn der Jugoslawienkriege lagen verschiedene Sanktionen wie ein dunkler Schatten über dem Land. Erst seit Dezember 2009 genießen serbische Staatsbürger wieder die volle Reisefreiheit im Schengen-Raum. Bis dahin wurde jede Reise ins Ausland durch so kostspielige wie aufwendige (und bisweilen erniedrigende) Antragsverfahren erschwert.
Zu jugoslawischen Zeiten, so hört man immer wieder, sei alles anders gewesen. Mit dem jugoslawischen Pass habe man überall hinreisen können – „der war Gold wert“. Über die Hälfte der heutigen Jugend Serbiens war noch nie im Ausland. Duško, ein Freund, den ich in Rumänien kennengelernt habe, bildet da eine Ausnahme. Ich war im Sommer 2007 nicht die Erste, die auf seine Einladung hin nach Novi Sad kam. Die meisten seien erstaunt, so sagt er, dass dieses Serbien ja eigentlich irgendwie normal ist, dass nicht permanent lauter Spinner mit Waffen durch die Straßen ziehen. „Traurig, dass die Leute etwas anderes erwarten.“

Und wie ist Serbien nun so?

Nach fünf Tagen Menschengewühl und vier Stapeln gesammelter Visitenkarten scheint das Resümee der Berliner Messe besser als zunächst gedacht. Und wie Serbien nun so ist? Anders jedenfalls, als man denken könnte.

Unterwegs in Novi Sad
Unterwegs in Novi Sad

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