Ein Italiener namens Igor
Die Wahrheit über deutschen Humor

von Christoph

Den Namen „Igor“ werden die meisten Menschen hierzulande sicher mit Russland oder anderen ehemaligen Staaten der Sowjetunion in Verbindung bringen. Da ist unter anderem der berühmte russische Komponist Igor Fjodorowitsch Strawinski zu nennen, einer der bedeutendsten Vertreter der „Neuen Musik“ und Schöpfer großer Ballette. Aber Kenner auf dem Gebiet der Namensforschung werden schon an dieser Stelle einwenden, dass der Name ursprünglich gar nicht slawischen, sondern skandinavischen Ursprungs ist. Als Namensvariante von „Ingvar“ kam er im 9. Jahrhundert durch die Waräger nach Ruthenien, in die Karpato-Ukraine. Dennoch dürfte es noch immer verwundern, dass der hier vorgestellte junge Mann weder aus Russland noch aus Skandinavien, sondern aus Norditalien kommt. Die Gründe der ungewöhnlichen Namensgebung sind einfach und doch faszinierend: Igors Mutter besitzt eine Vorliebe für kurze Vornamen und als ihr Sohn vor 25 Jahren das Licht der Welt erblickte, erlebte die Welt gerade, wie sich der „Eiserne Vorhang“ und Russland gen Westen zu öffnen begannen. Immer häufiger tauchten die Namen russischer Politiker in den Nachrichten auf. Einer davon muss Frau Surian zur Namensgebung für den kleinen Igor inspiriert haben.
Wir sitzen in der ersten Etage des „Bohème“. Für einen Vormittag ist es gut gefüllt. Obwohl ich meinen Gesprächspartner, der inzwischen seit gut drei Monaten in Deutschland ist, schon ein paar Wochen kennenlernen durfte, freue ich mich, bei einigen Fragen über ihn ein wenig mehr ins Detail gehen zu können. Vor ihm liegt ein nagelneues und ziemlich dickes Wörterbuch „Italienisch-Deutsch / Deutsch-Italienisch“. Es ist nicht das erste, das er sich in Deutschland gekauft hat. Die vorherigen waren einfach nicht umfangreich genug.

Offenheit, Wissbegierde und Faszination für Autoklassiker
Fast sinnbildlich steht die Dicke dieses Wörterbuchs für Igors enorme Wissbegierde und Offenheit gegenüber Neuem. Nicht oft begegnet man derart unvoreingenommenen Menschen. Bei Igor war dies bei mir sofort der Fall. Die Brille, das Hemd, der Gürtel an der Jeans und die Turnschuhe lassen ihn fast ein wenig deutsch wirken. Nicht umsonst bezeichnet er sich selbst als „untypischen Italiener“.
Igor ist aufgewachsen in Udine im Friaul, einer Region im äußersten Nordosten Italiens, die direkt an Slowenien grenzt. Dort studiert er auch Public Relations und besucht in Jena die Seminare der fachverwandten Kommunikationswissenschaft. Die leichte Unterkühltheit Udines im Vergleich zu anderen italienischen Städten, der aber sehr hohe Studentenanteil, ließen die Unterschiede zwischen Igors Heimat und Jena vergleichsweise gering ausfallen. Seine große Leidenschaft in der Freizeit gehört Autoklassikern – sowohl in Modellform wie auch in Originalgröße. Igor ist stolzer Eigentümer eines „Lancia Ardea“ aus dem Jahr 1949. Mit anderen Autofans aus seiner Region unternimmt er alljährlich Rundfahrten durch verschiedene Länder in Europa. Sportlich interessiert sich Igor nicht, wie so viele Italiener, für „Calcio“, also Fußball, sondern für Kampfsport. Dass er den braunen Gürtel in Judo hat, sagt er fast schon ein wenig beiläufig.
Als liebstes Hobby aber gibt Igor das Kennenlernen neuer Leute an. Wer ihn auch nur ein wenig kennt, glaubt ihm das sofort.

„Man muss in der richtigen Zeit die richtige Person wählen.“
Als wirklich politisch möchte sich Igor nicht bezeichnen, denn eine klare Parteipräferenz hindere die Menschen eher daran, die richtigen Entscheidungen zu treffen. „Man muss in der richtigen Zeit die richtige Person wählen“. Dies bezieht er neben Barack Obama übrigens auch auf Angela Merkel.
Anfang November war der Erasmus-Student aus dem Friaul als einer der Hauptdarsteller in der Pseudo-Doku „Transeurope“ im italienischen Musikfernsehen zu sehen. Darin werden quasi „im Austausch“ italienische Studenten im Ausland und ausländische Studenten in Italien vorgestellt. Auch wenn Igor von einer wertvollen TV-Erfahrung spricht, ist ihm der Ärger über die stereotype Darstellung Deutschlands in seiner Heimat deutlich anzumerken.
Bei unserer recht hitzigen Diskussion über deutschen Humor, der sich für Igor elementar vom italienischen unterscheidet, blickt uns ein älteres Paar am Nebentisch einigermaßen entgeistert an. Während Italiener die sehr direkten, bisweilen persönlichen Scherze der Deutschen (Stichwort: „Deine Mutter…!“) teilweise als beleidigend auffassten, verstünden Deutsche italienischen Humor in der Regel nicht einmal. Dieser sei „figuraler“ und beziehe sich auf die Alltagssprache in Italien.
Am Ende unseres Gesprächs, als Igor noch ein wenig mit der Kellnerin flirtet, stellen wir fest, dass deutscher und italienischer Humor vielleicht doch nicht so verschieden sind und lachen herzlich.
Igor ist ein Typ, den man irgendwie einfach gern haben muss. Egal, ob er aus Russland oder Italien kommt.


Beitrag veröffentlicht

in

von

Schlagwörter:

Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert