Die dunkelste Stunde

Der Film Darkest Hour erzählt eine emotionale Geschichte, die Winston Churchill auch als Privatperson zeigt – zulasten der Historizität.

von Jacky

Die Filmplattform IMDb verzeichnet solide 7,4 Sterne, den Golden Globe für den besten Hauptdarsteller hat der Protagonist bereits in der Tasche, diverse Internetportale prognostizieren ihm darüber hinaus einen sicheren Oscar 2018 – glaubt man den Kritiken, so ist Gary Oldman in der Rolle des Winston Churchill ein scheinender Star und der dazugehörige Kinofilm Darkest Hour die Formvollendung eines historischen Politthrillers.

Der seit 18. Januar im Kino laufende Film zeigt den ehemaligen englischen Premierminister, wie er das Amt zu einer Zeit antritt, in der es niemand ausüben möchte: Es ist 1940 und nahezu die gesamte britische Armee befindet sich von den Deutschen eingekesselt im französischen Dünkirchen. Winston Churchill, ein wegen seines zügellosen Lebensstils oft als aussichtsloser Fall belächelter Mann, soll die offenbar ebenso aussichtslose Situation zum Guten wenden. Nach radikaler Abkehr von der milden Beschwichtigungspolitik seines Vorgängers Neville Chamberlain (Ronald Pickup) sieht Churchill von Friedensverhandlungen mit Hitler ab, da sie seiner Meinung nach den sicheren Niedergang Großbritanniens nur verzögern, aber keineswegs verhindern würden. Und so beginnt ein riskanter Rettungsfeldzug seines Landes, um die über 300.000 eingekesselten Soldaten zu befreien und das Blatt zu wenden.

Die breit gestreuten Lobhymnen, mit denen der Film im Netz bedacht wird, haben definitiv gute Gründe: Regisseur Joe Wright verwandelt die innerparlamentarischen Machtkämpfe Großbritanniens in einer todernsten Kriegssituation zu einem lebhaften Filmspektakel, das sehr persönliche Einblicke gewährt. Die detaillierte, betont englische Kulisse (die Kamera fokussiert unter anderem gelegentlich Churchills English Breakfast) des politischen Treibens erlauben dem Zuschauer, sich sofort in die Zeit und die Hauptcharaktere hineinversetzt zu fühlen.

Das Privatleben des Winston Churchill steht dabei genauso im Vordergrund wie sein politisches Agieren. Hierbei ist der Wiederaufstieg des wegen eines verschuldeten militärischen Fehlschlags verschmähten Politikers begleitet von Selbstzweifeln, die der Premier sich nur im eigenen Haus anmerken lässt. Kristin Scott Thomas brilliert in der Rolle seiner Ehefrau, die ihm Rückhalt und Zuversicht gibt. Durch ihre ausdrucksvolle Mimik ist es ihr möglich, eine charakterstarke und bodenständige Frau zu repräsentieren, der oft wenige Worte genügen, um ihrem Ehegatten Rückhalt zu geben. Diesen braucht Winston Churchill, um in politisch auch noch so hitzigen Debatten mit Humor („Unterstehen Sie sich, mich zu unterbrechen, während ich Sie unterbreche!“) und enormer Durchsetzungskraft gegen die Widersacher seiner Maßnahmen zu brillieren. Betrachtet man also die persönliche und emotionale Ebene des Films, so kann man diesen als gelungenes und unterhaltsames Meisterwerk mit einer passend dosierten Spitzzüngigkeit betrachten.

Allerdings muss die vorherrschende Euphorie etwas gedämpft werden, erwartet man einen faktenorientierteren Film, der das Kriegsgeschehen ohne den Leinwandfilter darlegt und neue geschichtliche Einblicke über die Grenzen Großbritanniens hinaus liefert. Dies ist ganz klar nicht das Hauptanliegen des Regisseurs, der die Emotionalität der Storyline gerne durch Szenen hervorhebt, die tatsächlich eher im Drehbuch- als im Geschichtsbucheinband daherkommen: So hält Winston Churchill in der Londoner Metro eine Abstimmung zur Kampfbereitschaft seines Volkes im kleinen Kreis ab. Als er nach nur einer Station, aber selbstverständlich tiefgehenden und sehr persönlichen Konversationen mit den Mitfahrern aussteigt, hinterlässt er verblüffte und gleichzeitig begeistert gestimmte Bürger.

Insgesamt durchzieht den Film also der Fokus auf den zwischenmenschlichen Aspekt der Politik und weniger der rein prozessgeprägten Perspektive, was ihn durchaus spannend und sehenswert macht – sehnt man sich aber nach der Anhäufung neuer geschichtlicher Kenntnisse, die über die Persönlichkeit Churchills hinausgehen, so sollte man doch eher Videotheken und allseits bekannte Internetportale nach einer Dokumentation durchsuchen.


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