Das tanzende Deutschland

von Roman Gherman

Feiern ist schön, egal wo, egal mit wem. Tanzen macht Spaß, klappt bei Deutschen aber erst, nachdem sie vorgeglüht haben.

Meine Schwester tanzt. Sie könnte wahrscheinlich tanzend zur Schule laufen, wenn die Menschen von Reaktionen á la „Was ist das für eine Außerdeutsche?“ abse­hen würden. Ab und an hat sie Auftritte, denn wenn man Turniertanz betreibt, wird man gern eingeladen. Neulich trat sie auf einem Ball in einer kleinen Stadt irgendwo in Thüringen auf, die Band spielte ein langsames Lied. Ein Mann vom Nachbartisch entschied sich, holte tief Luft. Mit kleinen, unsicheren Schritten sowie breitem Grinsen trat er an die Auserwählte heran und gebar einen Satz: „Dürfte ich Sie zum Tanz einladen?“

Die Frau schloss kurz und charmant die Augen, gab ihm die Hand, die beiden verschwanden auf der Tanzfläche. Sie tanzten Rumba, einen Liebestanz zu wunderbar langsamer Musik. Man hatte das Gefühl, dass alle Pärchen gleiche Bewegungen ausführten und sich nur ihre Unterkörper bewegten. Zwischen den Tanzpartnern hätten jeweils noch zwei weitere Menschen Platz gefunden. Alle waren so unglaublich konzentriert wie bei einem Bewerbungsgespräch. Als der Tanz vorbei war, kehrten die Paare zu ihren Tischen zurück. Die Frauen sahen glücklich aus, ihre Begleiter schauten sie hoffnungsvoll an. Ihr Auftreten vermittelte das Gefühl, dass sie etwas Heldenhaftes und Unmögliches vollbracht hatten.

Auf einer großen Studentenparty lernte ich zwei interessante Frauen kennen. Ich mache gern Witze und bin – jedenfalls aus deutscher Sicht – öfters etwas aufgedreht. Manche meiner Freunde loben meine Tanzkünste, andere sagen, ich tanze seltsam. Die zwei Frauen kamen mit auf die Tanzfläche. Auf der nächsten Party erzählte mir ein Freund, zwei Kommilitoninnen hätten ihm berich­tet, dass sie einen „witzigen Mann“ kennenge­lernt hätten und er „total betrunken“ mit ihnen getanzt hätte. Für mich war es eine neue Erkenntnis, dass eine Flasche Bier und eine Cola betrunken machen, mehr hatte ich an diesem Abend nämlich nicht getrunken. So klein sind aber die Studentenstädte, jeder kennt jeden. Und wenn nicht, dann gibt es immer Leute, die dich doch angeblich kennen, weil ihnen jemand erzählt hat, dass ihnen erzählt wurde usw. Im Zweifelsfalle kann man die „Verbindungshilfe“ von StudiVZ im Internet aufrufen.

Diesmal bin ich bei einer reinen Tanzparty. Es sind viele Austauschstudenten da. Die Musik ist toll, der Rhythmus stimmt – aber keiner kennt den Titel. Also bleiben erstmal fast alle stehen. Die Partymäuse kleben an den Wänden und schauen die wenigen Tanzenden an. Die Männer unterhalten sich und schauen die Frauen „unauffällig“ an. Andere holen sich ein Bier von der Bar und kleben sich dazu. Irgendwie erinnern sie mich alle an Pinguine, die kerzengerade und dennoch wackelig durch den Raum irrlichtern, um nach Weibchen Ausschau zu halten. Dabei halten sie ihre Bierflaschen mit beiden Händen so fest, als bestehe Diebstahlgefahr. Danach nehmen alle dieselbe Position an den Wänden ein: ein Bein angewinkelt nach hinten, das andere als Standbein, die Bierflasche als Haltegriff, in den Gesichtern unisono ein Ausdruck der Gleichgültigkeit und ultimativen Coolness.

Ich versuche eine Frau zum Tanz einzuladen, aber sie schaut mich nur komisch an und versteht nicht ganz, was ich von ihr möchte. Sicher glaubt sie, dass ich sie anbaggern möchte. Ich lächle nur, drehe mich um und sehe am Rand eine Frau stehen, die vermutlich aus Spanien oder Italien kommt. Unsere Blicke treffen sich, ich muss gar nichts sagen. Sie lächelt, unsere Körper berühren sich zum Tanz. Die Musik aus den Lautsprechern zerschneidet die Luft: „Aurélie, so klappt das nie, du erwartest viel zu viel, die Deutschen flirten sehr subtil …“

[Roman Gherman (23) studiert Südosteuropastudien und Politikwissenschaft an der FSU, ist Mitglied der Melton Foundation und Int.Ro­-Vorstand. Mit 17 Jahren kam er aus Moldawien nach Deutschland und betrachtet die deutsche Gesellschaft in der UNIQUE gern aus seiner eigenen Perspektive.]


Beitrag veröffentlicht

in

von

Schlagwörter:

Kommentare

Eine Antwort zu „Das tanzende Deutschland“

  1. Avatar von deine deutschlehrerin
    deine deutschlehrerin

    hey unique, ich surf derzeit viel bei euch rum und das einzige, was ich grad so richtig dolle falsch und verkehrt finde, ist dieser rechtschreibfehler – alter, es heißt sei nett und nicht seih nett! also bei sowas kringeln sich MIR dann mal die fußnägel 😉

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert