(Un)typisch chinesisch

Panel aus Li Yous Comic Running Girl (2016)

Die Zeichnerin Yi Luo spricht über ihren Comic Running Girl, das Erlernen der deutschen Sprache und euro-asiatische Küche.

von Frank

Das Auto rast vorbei, ein gegröltes „Ausländer!“, ein Lachen – dann verschwindet der Wagen in der Dunkelheit, die chinesische Studentin schaut ihm erschrocken nach. „Ausländer!“ zieht sich quer über das Comic-Panel, die Situation hat Zeichnerin Yi Luo selbst erlebt, eines Nachts auf dem Heimweg von der Arbeit in einem Sushi-Restaurant. Mit der Protagonistin ihres Comics Running Girl teilt sie nicht nur dieses Erlebnis und den Kellnerjob im Sushi-Restaurant. Wie ihre Protagonistin Li kam Yi Luo 2007 aus China nach Deutschland, ging in Augsburg zur Uni – und hatte am Anfang große Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache, fühlte sich oft alleine. Auch vor Running Girl hatte sie dieses Gefühl schon durch das Zeichnen von Comics verarbeitet:

unique: Hast du dich bewusst dazu entschlossen, Themen wie Fremdsein oder Integration in deinen Comics zu nutzen?
Yi: Fremdsein und Alleinsein sind schon ein Thema in meinen Comics, denn es ist ein Problem, mit dem ich mich selbst sehr lange beschäftigen musste. Es ist nicht so, dass ich dieses Thema unbedingt besprechen oder irgendwie ‚engagiert’ sein wollte – aber es ist eben Teil meines Lebens, darum thematisiere ich es.

Ihr Comic Running Girl spielt 2009. Mittlerweile komme sie wesentlich besser zurecht und versuche darum auch, anderen zu helfen, die ähnliche Probleme haben, wenn sie an einem fremden Ort neu ankommen, „ihnen zeigen, dass sie nicht alleine sind mit solchen Startschwierigkeiten“. Yi selbst begann, Deutsch zu lernen, indem sie Comics auf Deutsch las – als Medium, bei dem vieles über Bilder transportiert wird, wesentlich einfacher zu verstehen als etwa ein Roman. „Für mich war es einfacher, denn ich denke schon ziemlich viel in Bildern“, erinnert sie sich. Das Erfolgserlebnis, etwas verstehen zu können, motivierte sie, sich mit der Zeit mehr zuzutrauen. „Ich denke auch mittlerweile viel auf Deutsch“, erzählt sie. Auch ihren Blog verfasst „Yinfinity“, so ihr Pseudonym, meist auf Deutsch, teilweise Englisch. Ihre dort veröffentlichten Comics zeichnet sie mittlerweile fast ausschließlich auf Deutsch und übersetzt sie nur selten im Nachhinein ins Chinesische.

In China selbst würden sich weniger Leute für meinen Zeichenstil interessieren, denn dort ist eben der Manga-Stil viel größer und beliebter.

Hast du deinen Stil denn auf dein „europäisches Publikum“ angepasst?
Ich habe in China selbst viele Manga gelesen, auch ein bisschen mit diesem Stil zu zeichnen angefangen, aber ich wollte irgendwann von den stereotypen Mangafiguren weg kommen. Das hatte nichts damit zu tun, was den Lesern hier besser gefällt – es ist einfach der Zeichenstil, den ich selbst gerne mag.

Die deutschen und asiatischen Figuren in Running Girl sind sich sehr ähnlich; die Gesichtszüge etwa unterscheiden sich nur marginal voneinander…
Ja, ich habe absichtlich nicht so ‚typisch asiatische’ Figuren gezeichnet. Ihr habt ja typische Bilder davon im Kopf, wie Europäer fast immer Asiaten zeichnen: kleine Augen, langgezogenes Gesicht. Ich möchte Menschen zeichnen, die gar nicht unbedingt Asiaten bzw. Chinesen sein müssen, denn die Geschichte in Running Girl könnte überall passieren. Die Probleme, die der Hauptfigur begegnen, könnte auch ein Amerikaner in Deutschland erleben – oder vielleicht ein Norddeutscher in Bayern (lacht). Deswegen wollte ich nicht zu sehr das ‚Chinesische’ thematisieren…

Die Frage, was für Deutsche „typisch chinesisch“ ist, thematisiert Yi in Running Girl auch anhand ihrer eigenen Erfahrungen im Sushi-Restaurant: „Die Köche geben sich viel Mühe, etwas zuzubereiten, das weder japanisch noch chinesisch ist“, stellt ihre Protagonistin dort an einer Stelle fest. Yi muss kurz lachen, als ich sie auf diese Stelle anspreche:
Ich weiß nicht, wer damit angefangen hat – irgendwer hat die asiatische Küche mal für die Deutschen angepasst und andere Restaurants haben das dann wohl nachgemacht. Es gibt Leute, die wirklich japanisches Sushi essen möchten – aber sie haben keine Ahnung, wie authentisches Sushi schmecken muss. Dann suchen sie sich eben ein asiatisches Restaurant, das auch Sushi anbietet. Und solange sie danach glücklich sind, weil es ihnen geschmeckt hat, ist das doch toll (lacht).

Ob sich Yi durch ihren nun fast zehnjährigen Aufenthalt in Deutschland ebenso verändert hat wie die fernöstlichen Rezepte? Die Zeichnerin überlegt lange.
Bestimmt habe ich mich verändert. Das hat aber vielleicht nicht so sehr was mit Deutschland an sich zu tun, sondern eher mit den Menschen in meiner Umgebung – nicht, weil sie deutsch sind oder chinesisch sind, sondern einfach interessante Leute, mit denen ich mich gerne unterhalte.

In ihrem ersten Jahr in Deutschland, als sie noch in Karlsruhe lebte, umgab sich Yi weitgehend mit anderen chinesischen Studierenden, doch das wurde ihr bald zu einseitig – außerdem wollte sie ja ihr Deutsch verbessern. „Für viele chinesische Studenten ist es eben auch ein Kommunikationsproblem; es fällt eben einfach leichter, untereinander zu quatschen.“ Das gleiche habe sie allerdings auch in China erlebt: Dass Deutsche dort auch viel mehr unter sich sind, als dass sie mit den Chinesen kommunizieren. „Vielleicht ist das ganz normal“, sagt Yi.
Auch nach ihrem Studium würde sie gerne in Deutschland bleiben, wo sie die Menschen als sehr offen und tolerant erlebt hat. Aber natürlich hat sie noch ihre Familie daheim in China – Yi ist Einzelkind, und sie kann und will ihre Verantwortung gegenüber ihren Eltern nicht ignorieren. „Darum werde ich versuchen, unabhängig von einem bestimmten Ort zu bleiben, als Freelancerin.“ Sie möchte als Zeichnerin oder Illustratorin, vielleicht auch im Bereich Animation in der Filmbranche arbeiten, denn sie studiert mittlerweile Animation an der Filmakademie Baden-Würtemberg in Ludwigsburg. Außerdem plant sie weitere Comic-Bücher – unter anderem einen zweiten Teil von Running Girl.
Den ersten Band hat Yi kürzlich einer Kommilitonin aus dem Iran geschenkt, die selbst noch Probleme damit hat, Deutsch zu sprechen. Sie hatte ja schließlich selbst ihre Anfänge damit gemacht, zunächst Comics in einer Sprache zu lesen, die man zu lernen versucht:
Ich sagte ihr: Ich kenne diese Situation, ich kenne das Gefühl, aber es geht vorbei. Und ich habe versucht, ihr Mut zu machen mit dem Comic, der zeigt, was ich selber erlebt habe.

Yi Luo (Yinfinity)
zeichnet Comics und hat in Augsburg Kommunikationsdesign mit Schwerpunkt Illustration studiert. Mittlerweile studiert sie Animation in Ludwigsburg. Ihr Comic Running Girl ist bei Reprodukt erschienen. Ihren Blog findet ihr unter www.the-yinfinity.com


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