„Man sollte diese Frauen nicht unterschätzen“

© Arila Feurich

Begegnung durch Sport bei der Welcome Initiative Jena: Kann Teilhabe im sportlichen Kontext Menschen mit Fluchterfahrungen auch bei einer Eingliederung in den Alltag, in die Berufswelt und das Bildungssystem helfen? Die Trainerin eines gemischten Sportkurses in Jena für geflüchtete und deutsche Frauen berichtet über ihre Erfahrungen, Kommunikation und die Integrationskraft von Sport.

von Ladyna

Eine junge Frau rennt einer anderen hinterher, versucht, ihr das Band abzujagen, das sie in ihren Hosenbund gesteckt hat. Einige Frauen haben sich ihr Band bereits nehmen lassen und machen nun Kniebeugen am Rand, bis alle gefangen wurden. An der Seite der Halle hängt eine Reihe Sandsäcke, der Boden ist mit Kampfsportmatten bedeckt. Drei Teilnehmerinnen in der Mitte des Raumes sind bereits sichtlich außer Atem, trotzdem sprinten sie los, als sich die Fängerin in ihre Richtung bewegt. Einige der Frauen, die am Dienstagnachmittag zum Sportkurs von Anne Greule gekommen sind und sich nun spielerisch warm machen, sind Studentinnen, andere haben Kinder, viele sind geflüchtet, manche tragen Kopftuch, einige machen barfuß mit.

Die Welcome Initiative des Unisports Jena, bei der Anne aktiv ist, besteht seit Oktober 2015 und möchte durch ihre Angebote den Kontakt zwischen Geflüchteten und der Jenaer Bevölkerung ermöglichen, um etwaige Ängste und Vorurteile abzubauen. Seit 2016 werden Sportkurse nur für Frauen organisiert. Inzwischen werden zwei Kurse pro Woche angeboten, dieses Semester haben sich 35 geflüchtete und 16 deutsche Frauen hierfür angemeldet. Die Stimmung ist deutlich weniger anonym, als dies bei den meisten anderen Sportkursen der Fall ist: Vor und nach dem Training wird lautstark geplaudert, die Atmosphäre ist entspannt und fröhlich. Genau das macht die Kurse auch attraktiv für viele deutsche Teilnehmerinnen. „Der Kurs füllt eine Art Marktlücke, weil viele Frauen mit ein paar Kilos zu viel sich nicht trauen, in Sportkurse zu gehen. Bei meinem Kurs wissen sie, dass hier andere Dinge im Vordergrund stehen“, so Anne. Die geflüchteten Frauen, die die Sportkurse besuchen, kommen oft zuerst aus Neugier, da sie in ihren Heimatländern zum Teil noch nie Sport getrieben haben. Außerdem suchen sie aktiv nach Möglichkeiten, mit Deutschen in Kontakt zu kommen. Genauso wie für viele Deutsche ist auch für sie abnehmen ein wichtiges Thema. Im Kurs sollen auch ganz alltägliche Dinge vermittelt werden, wie eine gesündere Lebensführung, wie schwere Einkäufe gehoben werden können oder was man bei einem verspannten Nacken tun kann.

© Arila Feurich

Im Gegensatz zu vielen anderen Freizeitaktivitäten zeichnet sich Sport durch spielerische Element aus und kann komplexe Gruppendynamiken und damit die Bindung zwischen Menschen fördern. Hat Sport damit auch eine höhere Integrationskraft als andere Freizeitaktivitäten? Kann die Teilhabe im sportlichen Kontext Menschen mit Migrationshintergrund auch bei einer Eingliederung in den Alltag, in die Berufswelt und das Bildungssystem helfen? Schon in den 90ern, als spezielle Programme zur Eingliederung von Aussiedlern durch Sport geschaffen wurden, haben Studien herausgefunden, dass die Integrationsbereitschaft der deutschen Sportvereinsmitglieder signifikant höher ist als die der übrigen deutschen Bevölkerung. Integration durch Sport findet vor allem dann Ansatzpunkte, wenn in der Kultur des Herkunftslandes bereits ein positiv besetzter Sportbegriff gegeben ist. Erfolgreiche Programme zeichnen sich dabei vor allem dadurch aus, dass mit der Teilnahme auch Anerkennung verknüpft ist und die Angebote kulturelle Unterschiede berücksichtigen. „Man muss bedenken, dass es zwar kulturelle Unterschiede gibt, dass sollte einem aber nicht zu sehr behindern, man sollte sich deswegen nicht dauernd in seinen Reaktionen zurück halten, weil das sehr schnell unauthentisch wirkt. Manchmal hilft es, bei seiner eigenen Position, den eigenen Werten zu bleiben, weil man damit auch ernst genommen wird.““, so Anne über ihre Sportkurse für geflüchtete und deutsche Frauen in Jena.

Neben diesen bietet die Welcome Initiative weitere sportliche Aktivitäten an: Schwimmkurse wurden für erwachsene Nichtschwimmer angeboten; Es gibt eine Fußballmannschaft der Uni-Liga mit Geflüchteten und Deutschen, eine afghanische Fußballmannschaft und einen offenen Fußballtreff. Wichtig sind auch drei geflüchtete Iraker, die selbst im Zuge des Bundesfreiwilligendiensts für den Unisport gearbeitet haben und durch ihre eigenen Kontakte viele Geflüchtete auf die Angebote aufmerksam machen konnte. Einer von ihnen hat inzwischen selbst den C-Trainerschein gemacht.

Neben den Kursen gibt es mehrmals im Jahr Sporttage für die ganze Familie. Hier stehen vor allem der Kontakt und der Spaß im Vordergrund, egal, ob Wassersportarten ausprobiert, Kampfsportschnuppertrainings angeboten oder man gemeinsam Drachen steigen lässt. Gemischte Sportangebote bieten einen Raum für Begegnungen, der im Alltagsleben vieler Deutscher sonst nicht besteht. Zwar ist Sport nur eine Plattform von vielen – aber eine besonders niedrigschwellige, da sehr viel nonverbale Kommunikation möglich ist, sich langsam ein Vertrauensverhältnis etabliert und eine gewisse Nähe geschaffen wird. Ein Buddy-Programm, bei dem je ein deutscher Studierender und ein Geflüchteter zusammen zu einem Sportkurs gehen, um sich gegenseitig zu motivieren und zu unterstützen, soll ebenfalls dazu beitragen. Im Tandem zum Training zu gehen erfordert natürlich Engagement, Verbindlichkeit und Rücksicht – auf beiden Seiten. Durch Partnerübungen entsteht allerdings auch Teamwork, es gibt Gemeinschaftserlebnisse, die zusammenschweißen.

© Arila Feurich

Auch wenn unterschiedliche Sprachen gesprochen werden, ist durch den Sport ein verbindendes Element da. Anne erlebt in ihren Sportkursen, dass mit Mimik und Gestik sehr gut dargestellt werden kann, wie Übungen richtig ausgeführt werden und wie falsch. Darüber hinaus gibt es immer zwei bis drei Teilnehmerinnen, die gut übersetzen können. Umgekehrt ermöglicht Sport aber auch, Sprachkenntnisse zu verbessern. „Ich glaube, viele Frauen verlieren in meinem Sportkurs die Angst vorm Deutsch sprechen. Es ist immer etwas anderes, sich im geschützten Raum des Deutschkurses auszudrücken oder wirklich mit einer Alltagssituation konfrontiert zu sein. Bei mir müssen sie sich ans spontane sprechen gewöhnen.“

Während Sportprogramme, in denen Geflüchtete aus einem Kulturraum für sich sind, einen vertrauten Erfahrungsraum bieten können – was im Kontrast zum sonstigen Anpassungs- und Lerndruck sehr entlastend sein kann – können nur gemischte Gruppen signifikant zum Integrationserfolg beitragen, wie Studien schon 2000 gezeigt haben. „Integration funktioniert nur über „positive“ Reibungen. In dem Moment in dem man merkt: Hier macht ihr etwas anders als wir es normalerweise tun, hier haben wir unterschiedliche Vorstellungen von normal, kann man miteinander ins Gespräch kommen und sich gegenseitig erklären. Das legt den Grundstein für ein interkulturelles Verständnis“, so die Trainerin. Besonders wirkungsvoll ist dabei, dass die Teilnehmerinnen auch in ihrem privaten Umfeld über ihre positiven Erlebnisse sprechen. „Das hat einen Multiplikatoreffekt, der auch in die deutsche Gesellschaft hinein wirkt. Ich gehe aus jeder Stunde mit einem Grinsen.“

Hinter Nachrichtenschlagzeilen stehen dann auf einmal Einzelschicksale; die vielen Konzepte, die man im Bezug zu geflüchteten Frauen im Kopf hat, müssen auf einmal hinterfragt werden, findet Anne: „Ich bin immer wieder überrascht von der Kraft dieser Frauen. Viele verbreitete Vorstellungen, besonders beim Thema Emanzipation, werden der Tatsache nicht gerecht, wie sehr diese Frauen im Leben stehen.“ Jede Familie ist anders, die Frauen sprechen nicht unbedingt dieselbe Sprache, kommen aus unterschiedlichen Kulturen. „Man muss sehr vorsichtig sein mit vorschnellen Einschätzungen der Rollenbilder, da man die Frauen zu leicht nur über ihre Beziehung zum Mann definiert. In dieser Hinsicht haben die Kurse auch bei mir einen interessanten Denkprozess angestoßen. Man sollte diese Frauen nicht unterschätzen.“

 

Wer sich weiter über sportliche Angebote in Jena für Geflüchtete und Einheimische informieren will, kann dies direkt bei der Welcome Initiative des Unisports Jena tun:

Hompage der Welcome Initiative

Facebookseite der Welcome Initiative


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