„Das war die Provokation eines 17-Jährigen“

Anton Sterbling (1978): „Der Beginn unserer Tätigkeit waren die 68er Jahre.“ (Foto: privat)

Die Aktionsgruppe Banat war ein deutschsprachiger, oppositioneller Literaturkreis in den 1970er Jahren im rumänischen Timișoara. Mitbegründer Anton Sterbling, heute Professor für Soziologie, berichtet über das Intellektuellendasein im Schatten der Securitate.

von Robert & Szaffi

Rumänien, Anfang der 70er Jahre: Nicolae Ceaușescu, der diktatorisch regierende Präsident des Landes, verschärfte die politische Repression und Kontrolle – auch der Kultur. In seinen berühmt-berüchtigten „Juli-Thesen“ von 1971 formulierte er die Aufgabe der Intellektuellen eindeutig: Sie stehen im Dienste des Staates. Die Securitate, der rumänische Geheimdienst, wachte über die kommunistische Ordnung und ging gegen jeden einzelnen Staatsfeind ‚akkurat’ vor. In diese Ära des nationalistischen Sozialismus fällt die aufrührerische Zeit der literarischen Moderne in Rumänien.

unique: Herr Sterbling, die Mitglieder der Aktionsgruppe Banat werden heutzutage teils als Dissidenten bezeichnet. Wie bewerten Sie selbst Ihr Handeln und Wirken rückblickend?
Sterbling: Im Nachhinein kann man natürlich viel deutlicher feststellen, dass die Aktionsgruppe eine regimekritische Funktion hatte – was man rückblickend vor allem an der damaligen Reaktion der Herrschenden erkennt. Programmatisch war sicherlich eine kritische Haltung gegenüber dem politischen System, seinen Phrasen und den ideologischen Selbstbildern, die es in die Gesellschaft brachte. Diese waren ja – selbst von einem marxistischen Standpunkt aus betrachtet – doch sehr fragwürdig.

Wie war damals Ihr Selbstverständnis? Gab es ein konkretes Ziel neben der Kritik an sich?
Sie müssen sich vorstellen: Der Beginn unserer Tätigkeit waren die 68er Jahre und es war ein Versuch, sich dieser weltweiten Bewegung anzuschließen – vor allem der modernen Literatur. In diese Richtung haben wir uns geneigt. Gleichzeitig wollten wir uns abgrenzen: Wir lehnten das politische Regime, das damals schon deutliche nationalistische Züge erkennen ließ, ab – als Angehöriger einer Minderheit ist man ja sensibel für solche ideologischen Nuancen. Natürlich wollten wir uns auch vom traditionellen schwäbischen Milieu unserer Eltern abgrenzen. Dieses fortbestehende Milieu der schwäbischen Dörfer im Banat: Das war nicht unsere Welt, im intellektuellen Sinne; aber es war natürlich unsere Lebenswelt, mit der wir uns täglich auseinander setzen mussten – auch kritisch.

Das Banat war ein historisches Gebiet in den heutigen Staaten Rumänien, Serbien und Ungarn. Bis 1944 lebten Rumänen, Ungarn, Deutsche – die sogenannten Donauschwaben –, Serben, Juden und Roma in der Region zusammen. Am Ende des Zweiten Weltkrieges flohen die meisten Deutschsprachigen nach Deutschland, andere wurden in die Sowjetunion verschleppt. Trotz der kommunistischen Wende in Rumänien blieb jedoch die systematische Vertreibung der Deutschstämmigen aus. Trotzdem kam es ab den 1970ern zu einer großen Aussiedlungswelle der deutschen Bevölkerung.

Sie sprachen gerade von Ihrer Position als Angehöriger einer Minderheit. Wie sahen Sie sich damals als Deutscher in Rumänien?
Damals lebte man in zwei verschiedenen Welten. Einmal in der Realität der kleinen, schwäbischen Städte und Dörfer im Banat, aus denen wir stammten. Aber natürlich auch in einem sozialistischen Staat, der im Umbruch war, der auch gesamtgesellschaftlich eine interessante Phase erkennen ließ. Es war ja die Zeit der Industrialisierung, die zu einer starken Landflucht führte, zu einer Bildungsexpansion – an all dem hat man sich selbstverständlich beteiligt, mit all den Problemen, die dieser gesellschaftliche Wandel mit sich brachte. Ende der 1960er, Anfang der 70er Jahre herrschte Wohlstand, verglichen mit der Zeit davor und danach. Man erwartete damals tendenziell einen Aufschwung. Diese beiden Welten waren damals der Horizont unserer literarischen Tätigkeit und unseres Denkens. Aus der damaligen Perspektive waren wir optimistisch und motiviert – aber wir haben uns leider schrecklich geirrt.

Wie sehen Sie rückblickend die Auswirkung Ihrer Literatur auf die Öffentlichkeit?
Wir hatten die Chance, relativ früh in Literaturzeitschriften zu veröffentlichen, auch über die Grenzen Rumäniens hinaus, etwa in der DDR oder in der Bundesrepublik. Aber das wäre nicht so bedeutend gewesen, wenn nicht aus der repressiven Reaktion der Herrschenden auf unsere Tätigkeit eine darüber hinausgreifende Kenntnis der Zustände in Rumänien erwachsen wäre: durch die Vermittlung über westliche Medien und die Art, wie sie auf uns und die Lage der deutschen Minderheit einging. Es war die Zeit, wo es auch zu einer intensiven Aussiedlung der deutschen Bevölkerung in Rumänien kam, gegen Zahlungen der Bundesrepublik. Diese Situation hat das Ganze mehr ins Blickfeld einer europäischen Öffentlichkeit gerückt, als die Literatur das hätte leisten können. Insofern hat die politische Reaktion die Bedeutung dieser literarischen Gruppe aufgewertet.

Anton Sterbling schrieb Gedichte und absurde Dramen. Da er in Rumänien nicht Germanistik studieren durfte, studierte er Elektrotechnik. 1975 siedelte er in die Bundesrepublik um. Dort erschien ihm Soziologie als „Modewissenschaft der Zeit“ jedoch attraktiver als Germanistik. Nach Abschluss seines Studiums 1981 schlug er eine wissenschaftliche Karriere ein. Er lehrt bis heute als Professor für Soziologie und Pädagogik an verschiedenen deutschen Hochschulen.
Auch schreibt er bis heute noch literarische Texte. Er arbeitet zur Zeit an einem Prosatext mit dem Titel Die serbische Katze, die nie nach Horka kam.

Worüber diskutierten die Mitglieder der Aktionsgruppe?
Es waren zugleich politische wie auch gesellschaftliche Diskussionen, wir beschäftigten uns mit Adorno, Enzensberger oder Walter Benjamin – Autoren, die in der westlichen Linken entscheidenden Einfluss hatten. Das Ganze mit dem Hintergrund des Vietnamkriegs und Prager Frühlings, der Studentenrevolte von 1968 in Paris, aber auch der Musik, wie Joplin und Hendrix: Das drang alles über den Rundfunk sehr schnell zu uns.

Hatten Sie nicht Angst vor den Repressionen des Regimes?
Unsere Vorstellung blieb hinter der Realität zurück. Hätten wir gewusst, was wirklich vorging, vielleicht wären wir dann gar nicht so mutig gewesen. Beispielsweise wurde ich mal drei Tage beschattet, aber zeitgleich wurde schon ein Haftbefehl gegen mich ausgestellt, der dann aber doch nicht ausgeführt wurde. Aber dass man mich dann einfach hätte festnehmen können, damit habe ich nicht gerechnet. Ein Großteil der Aktenbestände ist jedoch noch nicht freigegeben und die entsprechenden Unterlagen aus Deutschland stehen auch noch 30 Jahre unter Verschluss. Also wird man sich noch etwas gedulden müssen, bis man an die Informationen herankommt; dann ist das Interesse daran natürlich nicht mehr so groß.

Wie war die Einreise nach Deutschland für Sie?
Ich hatte bereits mit 17 versucht, die rumänische Grenze zu passieren – zu Fuß. Na ja, überquert habe ich die Grenze nicht, denn ich wurde festgenommen. Das war die Provokation eines 17-Jährigen, für die ich dann drei Monate ins Gefängnis kam. Als ich dann Rumänien wirklich verließ und in Deutschland ankam, folgte für mich eine relativ intensive Phase des Lernens und zwar nicht nur im universitären Sinne. Ich musste ein neues Leben lernen, eine neue Lebenssituation.

Sterbling besuchte erst nach der Wende zum ersten Mal seit Anfang der 1980er Jahre seine Heimat. Eine richtige Rückkehr stand jedoch nie zur Debatte, erzählt er uns: „Vor allem“, erklärt der 61-Jährige, „hat mich niemand gerufen“.

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