„Hello Mister …“

Florian lernt in Indien Neel kennen und lieben. Doch bevor die beiden glücklich werden können, stellen sich Bürokratie und Vorurteile in den Weg.

von bexdeich

Als Florian* ein sechsmonatiges Praktikum in Indien absolvierte, packte ihn die Neugierde. Würde seine App, die dazu diente, andere Homosexuelle kennen zu lernen, auch hier funktionieren? Gleich in den ersten Minuten erhielt er unzählige ein- bis zweideutige Anfragen, wie “Hot sexy boy!”, „Do you want to have sex?“ oder „Marry me!“. Eine Nachricht unterschied sich jedoch von den übrigen und weckte Florians Interesse. Sie lautete schlicht: „Hello Mister!“
Zwei Wochen und viele Nachrichten später hatten Florian und Neel* ihr erstes Date im Restaurant „Prems“ (dt.: ‚Liebe‘): leckeres Chicken Adraki, kühles Bier, gute Unterhaltungen, viel Lachen, keine peinlichen Momente der Stille. Einige Stunden zuvor hatte Florian noch mit sich gehadert: Er war von enthaltsamen sechs Monaten ausgegangen. Er wollte weder eine feste Beziehung in Indien beginnen, noch war er auf One-Night-Stands oder Ähnliches aus; also warum überhaupt ein Date?! Nun fuhr Neel ihn nach einem perfekten Abend nach Hause und Florian dachte, dass es vielleicht einfach in einer einzigen Nacht enden würde. Doch es blieb bei einem Kuss im Auto.
Danach trafen sich die beiden regelmäßig und wurden mit der Zeit ein festes Paar. Freunden und Florians Familie erzählten sie von ihrer Beziehung. Während Neels Schwester von der Partnerschaft wusste, ließ er seine Eltern in dem Glauben, Florian sei lediglich ein guter Freund. Sie mochten ihn und er war an vielen Wochenenden zu Besuch im Haus der Familie. In einem Land, in dem eines der gängigsten Schimpfwörter „Gandu“ (dt.: ‚in den Arsch ficken‘) ist, langjährige Haftstrafen auf „geschlechtliche Aktivitäten gegen die Natur“ stehen und Homophobie sehr weit verbreitet ist, hielten die beiden ihre junge Liebe weitestgehend geheim. Aufgrund der Verfolgung von Homosexuellen in Indien organisiert sich die Szene allgemein über das Internet und trifft sich im Verborgenen. Es gibt zwar Organisationen, die sich für die Gleichberechtigung von Homosexuellen einsetzen, aber sie erhalten wenig Gehör: Homosexualität ist in weiten Teilen ein Tabu auf dem Subkontinent.

Ein Antrag zwischen Putzeimern
Nach Beendigung des Praktikums und einem mehrwöchigen Aufenthalt in Deutschland kehrte Florian nach Indien zurück – für Neel und einen Job. Ein langer Putz- und Aufräumtag in seiner neuer Bleibe lag hinter den beiden, als Florian völlig erschöpft auf dem Bett lag und Neel noch die Muße hatte, Florians Sachen aus dem Koffer in den Kleiderschrank zu sortieren. Er fand eine kleine Schachtel – ein spontaner Heiratsantrag zwischen Putzeimern, Tränen und ein freudiges „Ja“ von Neel folgten. Sie hatten bereits ausgiebig darüber gesprochen, dass ein gemeinsames Leben in Indien oder eine Fernbeziehung über zwei Kontinente keine langfristige Option darstellten. Neels Eltern wurden zunehmend misstrauischer. Neel lebte bei ihnen am anderen Ende der Stadt. Das junge Paar sah sich am Wochenende oftmals bei Florian. Nur dort hatten sie ihre Privatsphäre. Das war Neels Eltern nicht recht; er geriet mehr und mehr unter Druck. Schließlich war er, insbesondere als einziger Sohn, Erwartungen ausgesetzt: Sei es, seine Familie finanziell abzusichern oder eine für ihn ausgesuchte Frau zu heiraten und für Familiennachwuchs zu sorgen.
Die Liebenden entschlossen schnell: Sie wollten ein gemeinsames Leben in Deutschland. Die einzige sichere Option für Neel, einen unbefristeten Aufenthalt in Deutschland zu erlangen, war eine Eingetragene Lebenspartnerschaft. Diese ist hierzulande immer noch vergleichsweise selten, die Kombination eines Deutschen mit einem Nicht-EU-Bürger außergewöhnlich. Es bedurfte einer aufwändigen Recherche, um die nötigen Informationen zu bekommen. Mit dem Wissen um die schwerfällige Bürokratie in Deutschland und eine noch viel langsamere in Indien, kamen den beiden allein beim Blick auf den zeitlichen Ablauf erste Zweifel: Zuallererst muss mit dem Standesamt ein Hochzeitstermin vereinbart werden, der nicht länger als sechs Monate in der Zukunft liegen darf. Dieser wird bestätigt, sobald alle nötigen Unterlagen beim Standesamt eingegangen sind und verifiziert wurden – erst dann kann das notwendige Heiratsvisum beantragt werden. Unter anderem benötigen die Standesämter in der Regel einen Ledigkeits- bzw. Familienstandsnachweis. Wenn es diesen, wie in Indien, nicht gibt, ist eine eidesstattliche Erklärung der Eltern über den Singlestatus notwendig. Doch wie sollte Neel den Nachweis von seinen Eltern erhalten, ohne in Erklärungsnöte zu kommen oder seine Homosexualität zu offenbaren? Sie hatten Glück: Florian fand einen Job in einer deutschen Stadt, deren Standesamt auch einen Ledigkeitsnachweis als Selbsterklärung von Neel akzeptierte, sobald er beim Amt persönlich vorstellig würde. Neel besuchte Florian ohnehin in Deutschland und so konnte der Hochzeitstermin bestätigt werden.
Zurück in Indien beantragte Neel ein Heiratsvisum, für das eine Reihe weiterer Dokumente vonnöten war, wie beispielsweise Nachweise über ausreichende Deutschkenntnisse und die Verpflichtungserklärung über die finanzielle Absicherung von Neels Aufenthalt durch Florian. Als Neel sein persönliches Interview in einer deutschen Botschaft in Indien hatte, war der zuständige Beamte sehr überrascht und misstrauisch, dass kein Familienstandsnachweis nötig sei. Auch wollte er nochmals die Geburtsurkunde durch einen Vertrauensanwalt verifizieren lassen. Obwohl Neel seine schwierige Situation erklärte und da-rauf hinwies, dass das Standesamt diese Verifizierung nicht benötige, blieb der Beamte hart: „Entweder ist der Visaprozess hiermit beendet oder es werden 415 Euro für den Nachweis über Ihre Existenz gezahlt.“ Die Willkür und Intransparenz ließ die beiden schier verzweifeln. Obwohl Neels Geburtsurkunde sogar online auf der Seite der zuständigen indischen Behörde eingesehen werden konnte, stießen sie auf taube Ohren. Insgesamt zahlten sie allein für die Visaangelegenheiten in Deutschland und Indien rund 700 Euro.

Unfreiwilliges Coming-out
Neel war gerade bei der Arbeit, als er einen Anruf seiner Eltern erhielt. Er wusste sofort, dass etwas passiert war. Zuhause angekommen traf er auf den indischen Vertrauensanwalt. Anstatt zu der lokalen Behörde zu gehen, war dieser unangemeldet bei Neels Eltern aufgetaucht. Er prüfte nicht nur wie angekündigt Neels Identität sondern auch seinen Familienstand – und ob die Eltern mit der Heirat zwischen Neel und Florian einverstanden seien. Auch von den Nachbarn holte er eine Erklärung über Neels Singlestatus ein. Alle Parteien mussten unterschreiben und eine Kopie ihres Ausweises aushändigen. Außerdem stellte er Neel private Fragen zu seinem Ausbildungshintergrund und Charakter. Der Anwalt ging zwar davon aus, dass es sich bei Florian um eine Frau handle, doch eigentlich hätte er den Grund für das Visum gar nicht wissen dürfen. Man hatte Neel das Recht genommen, seine Homosexualität zu einem frei gewählten Zeitpunkt zu offenbaren.
Seine Eltern hatten es geahnt, aber jetzt konnten sie es nicht länger verdrängen. Das unfreiwillige Coming-out überforderte alle. Die Situation war schrecklich, die vorwurfsvollen und schockierten Blicke der Eltern schwer auszuhalten. Nach dem Besuch des Anwalts drohte der Vater, Neel umzubringen und die Mutter, sich selbst etwas anzutun. 7.000 Kilometer entfernt hatte Florian Angst um das Leben seines Verlobten und war gleichzeitig machtlos. Er beklagte sich beim Auswärtigen Amt über das Vorgehen der Botschaft. Er könne Beschwerde einreichen, doch das sei ein zähes schriftliches Prozedere, war die Antwort. Unter falschen Angaben schaffte er es, sich zum zuständigen Beamten in der deutschen Botschaft in Indien durchstellen zu lassen. Dieser ließ lediglich knapp und trocken verlauten: „Beweisen Sie mir, dass die Botschaft etwas falsch gemacht hat. Ich kann nichts dafür, wenn die Inder sich gegenseitig umbringen.“

Fragen nach dem Warum
Zum Glück wurde das Visum innerhalb von drei Wochen bewilligt. Florian hatte das zuständige Ausländeramt über die bedrohliche Situation seines Verlobten informiert und man zeigte sofort Verständnis für den Ernst der Lage. Das Amt musste den Visumsantrag ebenfalls begutachten und bat nach der Überprüfung die Botschaft in Indien, die Nachforschungen umgehend einzustellen und das Visum zügig zu erteilen. De facto überstieg diese Empfehlung bereits den Kompetenzbereich der Ausländerbehörde. Insbesondere Neel setzte die Zeit bis zur Ausreise noch mehr unter Druck, denn er war den Fragen nach dem Warum und den Drohungen seiner Eltern und Familie kontinuierlich ausgesetzt. Einerseits wusste Neel sehr genau, dass die Heirat mit Florian in Deutschland das einzig Richtige war, andererseits plagten ihn Selbstzweifel und -vorwürfe. Hätte er seine Eltern in dem Glauben lassen können, für ein Jobangebot nach Deutschland zu ziehen, wäre ihm das Drama erspart geblieben. Er hätte seine Eltern nach und nach behutsam an die Wahrheit heranführen können.
Neels Eltern verabschiedeten ihn am Tag der Abreise am Bahnhof – ein seltsamer Moment. Mit Freunden zusammen fuhr er nach Chennai und nahm von dort aus den Flieger. Nach Monaten der Unsicherheit und Sorgen lagen sich die beiden am Hamburger Flughafen endlich wieder in den Armen. „Hello Mister“, flüsterte Neel Florian ins Ohr.

* Namen wurden geändert

Kommentare

Eine Antwort zu „„Hello Mister …““

  1. Avatar von Lotta
    Lotta

    Hallo bexdeich,

    ungefähr genau das Gleiche ist mir auch mit meiner Verlobten passiert!

    Im Vorhinein hatte mir die Botschaft (in Nepal jedoch) versichert, der Anwalt würde nicht über den Grund der Urkundenprüfung informiert. Am Ende versicherte der Anwalt vor Ort allen Verwandten und Nachbarn, dass sie plane in Deutschland zu heiraten!

    Jetzt versucht die Familie sie zu zwingen so schnell wie möglich einen Nepalesen zu heiraten, um unsere Pläne zu verhindern.

    Kannst du mir vielleicht ein paar Tipps geben, wie man die Ausländerbehörde für sich gewinnen kann und so den Visumsprozess so kurz wie möglich zu gestalten?

    Gerne auch per E-Mail!

    Viele Dank,
    Lotta

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