Die unsichtbare Grenze

pressefreiheit

Artikel 5 des Grundgesetzes garantiert freie Meinungsäußerung und untersagt Zensur. Um die Pressefreiheit in Deutschland ist es in der Realität jedoch schlechter bestellt.

von Lutz Granert

Ein 17. Platz im internationalen Vergleich hört sich für Deutschland nicht schlecht an. Bedenklich nur, wenn es sich dabei um das jährlich vom Reporter ohne Grenzen e.V. (ROG) durchgeführte Ranking zum Stand der Pressefreiheit handelt. Der zugehörige Fragebogen setzt sich dabei mit der Verletzung der Medienfreiheit und direkten Auswirkungen auf Journalisten (Verhaftungen oder Strafen) ebenso auseinander wie mit freiem Informationsfluss und rechtlichen Rahmenbedingungen, in denen Medien agieren können. Während jedes skandinavische Land mit einem Index von 0,0 ganz oben und Nordkorea mit 104,75 ganz unten auf der Liste zu finden ist, rangiert Deutschland bei einem Wert von 4,25 – und damit im Vergleich zu anderen EU-Staaten weit hinten.

Gesetz vs. Realität

Dabei sind die Zustände in Deutschland weit entfernt von denen in Ungarn, wo der Schutz von Informationsquellen nicht gewährleistet ist. Oder Russland, wo regierungskritische Journalisten plötzlich „verschwinden“ können. Doch werden bestehende Gesetze zum Schutz der Pressefreiheit nach Meinung vieler Journalisten nicht weit genug angewendet. Anfragen zu Auskünften werden trotz des in Deutschland seit 2006 bestehenden Informationsfreiheitsgesetzes und des Zugangsrechts zu Informationen von Bundesbehörden häufig verweigert. Die Beantwortung von Anfragen wird oftmals hinausgezögert oder zurückgewiesen. „Zu hoher Verwaltungsaufwand“ sei dafür eine gängige Begründung, wie Anja Viohl von ROG zu verstehen gibt. Ein Fall ging dabei vor Gericht: Die Deutsche Presseagentur dpa forderte im Februar 2009 unter Berufung auf das Informationsfreiheitsgesetz (IFG) detaillierte Daten zum Zustand, zur Lage und zur Konstruktion von Straßen, Brücken und Tunneln beim Bundesverkehrsministerium an. Die Anfrage wurde mit der Begründung abgelehnt, diese Informationen können zur Gefährdung der inneren und äußeren Sicherheit beitragen. Daraufhin wurde das Ministerium verklagt. Dr. Carsten Wieland von der dpa mutmaßte, dass auch ein „Mangel an geeigneter Software“ zur Erstellung dieser Daten zum Zeitpunkt der Anfrage die Verweigerung verursacht haben könnte. Oder besteht tatsächlich die Gefahr, dass Terroristen Daten zu 40.000 Bauwerken benutzen könnten, um sich die marodesten für Anschläge herauszusuchen? Das Verwaltungsgericht Berlin hat im Februar 2011 die Klage der dpa abgewiesen. Die Begründung erfolgte mit dem Verweis auf die in der „Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum materiellen und organisatorischen Schutz von Verschlusssachen geregelte Geheimhaltungs- oder Vertraulichkeitspflicht“ nach dem IFG. Allerdings sei die „Frist zur Einlegung der wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassenen Berufung“, wie es vom Pressereferat des Bundesministeriums hieß, noch nicht abgelaufen. [Nachtrag: Mit dem 07. April 2011 lief die Frist aus. Die dpa ging nach eigenen Angaben nicht in Berufung gegen das Urteil.]

Öffentlicher Auftrag vs. Staatsmacht

Auch wenn die Staatsmacht infrage gestellt wird, werden der Presse Riegel vorgeschoben. So fanden sich Thomas Datt und Arndt Ginzel,  Rechercheure in der „Sachsensumpf-Affäre“, gar auf der Anklagebank wieder. Sie hatten über die Verstrickung hoher Justizbeamter ins Leipziger Rotlichtmilieu in den Neunziger Jahren berichtet. Dabei soll es auch Fälle von Korruption und Befangenheit gegeben haben, als wegen anderer Delikte angeklagte Zeugen der Sexeskapaden von Richtern mit Minderjährigen gegen Schweigen mildere Strafen versprochen worden. Später wurden alle Ermittlungen eingestellt. Datt und Ginzel wurden für einen 2008 bei ZEITonline veröffentlichten Artikel wegen übler Nachrede von Polizisten zur Zahlung einer Geldstrafe verurteilt, nachdem sie im Verfahren ihre Quellen preisgeben mussten. Schon merkwürdig, bedenkt man, dass das Urteil von einem Gericht verhängt wurde, dessen Präsident in die damaligen Vorwürfe verwickelt war. Warum dabei kein presserechtliches, sondern strafrechtliches Verfahren angesetzt wurde, bleibt ungeklärt. Die fraglichen Artikel sind aus diesem Grund jedenfalls weiterhin im Internet verfügbar (siehe unten).

Vielfalt vs. Wirtschaftlichkeit

Der freie Journalist Dr. Michael Plote sieht die Gefahren für die Pressefreiheit in Deutschland ganz woanders. Besonders bei den Printmedien komme es aufgrund von Einsparungen dazu, dass verschiedene Druckerzeugnisse dieselben Inhalte bereitstellen würden. Dies ist durch die Zusammenlegung der Redaktionen auch bei OTZ und TLZ der Fall. Ob der nur schwammig definierte „öffentliche Auftrag“ der Presse in Form von Meinungsvielfalt zu relevanten Themen unter diesen Voraussetzungen noch gewährleistet ist, darf bezweifelt werden. „Wirtschaftliche Interessen diktieren immer mehr, wie viel journalistische Qualität noch möglich ist“, so Plote, der dabei auch das stets steigende Arbeitspensum für immer weniger Journalisten im Blick hat. Dies ist nur ein Spannungsfeld für die vielen widersprüchlichen politischen, rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen unterworfene Pressefreiheit in Deutschland.

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Die „bösen“ Artikel, wegen derer die beiden Journalisten verklagt wurden:
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-55508009.html – Autorenschaft nicht festgestellt (nur mitrecherchiert)
http://www.zeit.de/online/2008/27/sachsensumpf-jasmin – die „böse“ Unterstellung

Einordnung des Artikels mit der „bösen“ Unterstellung:
http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2010-08/sachsensumpf-urteil?page=1

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