Umweltschutz per App

Schweinswale im Delfinarium: Hoffnung dank Smartphone-App?
Schweinswale im Delfinarium: Hoffnung dank Smartphone-App?

Die Umweltschäden, die China auf dem Weg zur Industrienation erlitten hat, sind enorm und das gesellschaftliche Bewusstsein für diese eher gering. Ein Projekt der Universität Wuhan möchte das ändern und die Bevölkerung am Umweltschutz beteiligen.

von Anne

Der Changjiang 长江 („langer Fluss“), hierzulande bekannt als der Jangtzekiang, ist der längste Fluss Asiens. Er entspringt im tibetischen Hochland und schlängelt sich von West nach Ost, bis er an der Weltmetropole Shanghai in den Indischen Ozean mündet. Dabei teilt er das Land in Nord- und Südchina und ist sowohl historisch als auch gegenwärtig von großer Bedeutung. In westlichen Ländern hat er seine Bekanntheit vor allem durch den Drei-Schluchten-Staudamm erlangt. Viele betrachten diesen Damm mit gemischten Gefühlen: Auf der einen Seite wurden für die Errichtung des Dammes tausende Menschen zwangsumgesiedelt und der Bau selbst hat die Leben vieler Arbeiter gefordert. Auf der anderen Seite ist er ein architektonisches Wunder, das dem Jangtzekiang hilft, wieder in sein ökologisches Gleichgewicht zurückzukehren. Fährt man heute auf einem der vielen Kreuzfahrtschiffe von Yichang nach Chongqing durch die drei Schluchten, staunt man nicht schlecht über die Kulisse, die sich einem bietet: ein Zusammenspiel von grüner Berglandschaft, kurios geschichteten Gesteinswänden und dem grün-blauen Wasser, auf dem man ab und zu ein kleines Fischerboot entdeckt – nur Fische sieht man nicht.

Abwasserkanal ohne Delfine
Für Wuhan, Hauptstadt der Provinz Hubei inmitten der Großen Chinesischen Ebene, war und ist der Jangtzekiang eine Lebensader. Deshalb erschreckt es, dass der Fluss hier in seiner Farbe eher einem überdimensionierten Abwasserkanal ähnelt. Wuhan liegt von der Quelle aus gesehen hinter dem Drei-Schluchten-Staudamm und somit nicht mehr in dem Gebiet, das durch den Bau des Dammes eine wesentliche Verbesserung der Wasserqualität erfahren hat. Im Gegenteil, in Wuhan hört das Denken an die Natur auf und die Macht der Industrie wird offensichtlich.
Nicht nur für Städte wie Wuhan ist der Jangtzekiang von immenser Bedeutung. Der Fluss ist auch die Heimat vieler Tiere, die unter den Belastungen der industriellen Verschmutzung und den veralteten und zum Teil grausamen Fischfangmethoden stark leiden. Der Baji-Delfin beispielsweise wurde bis 2006 förmlich ausgerottet. Bisher überlebt haben die Indischen Schweinswale, aber auch ihre Zahl geht stark zurück. So wie der Baji-Delfin zählen die Indischen Schweinswale zu den wenigen Meeressäugetieren, die sich an das Leben in Süßwassergewässern angepasst haben.Sie sind deshalb ein besonderer Teil des Fluss-Ökosystems. Preston Chang, der das Paarungsverhalten der Wale studiert, macht sich Gedanken darum, welche fatalen Folgen ungebremstes wirtschaftliches Wachstum für die Umwelt haben kann. „Die Gründe für das Leiden der Schweinswale sind dieselben, die zum Aussterben des Baji-Delfins geführt haben: Durch die Wasserverschmutzung und den illegalen Fischfang sind Nahrungsquellen knapp. Außerdem trägt die Wasserverschmutzung zu einer hohen Infektionsrate der Jungtiere bei“, schildert der angehende Meeresbiologe und äußert auch seine Sorge über die langfristigen gesundheitlichen Folgen für den Menschen.
Bis in die 1950er Jahre war China, und insbesondere die Region des Jangtzekiang, vorwiegend von einfacher landwirtschaftlicher Nutzung geprägt. Auf dem Fluss fuhren hauptsächlich kleinere Fischerboote und die Gefahr, die vom Fluss für die Menschen ausging, lag im Anstieg des Wasserpegels während der Monsunzeit und nicht im Grad der Verschmutzung. Mit dem „großen Sprung nach vorne“, einer Kampagne des – heute in Teilen der Bevölkerung immer noch verehrten – Staatspräsidenten Mao, wollte dieser China mit aller Macht industrialisieren. Das Land sollte radikal umstrukturiert und der Rückstand zu großen Industrienationen der westlichen Welt praktisch über Nacht aufgeholt werden. Die Kampagne endete in einer katastrophalen Hungersnot, die von 1960 bis 1962 das ganze Land erfasste. Darüber hinaus starben tausende Arbeiter beim Bau oder beim Einsturz von beinahe fertiggestellten Staudämmen. So forderte wirtschaftliches Wachstum Millionen Opfer.

Blick auf den Drei-Schluchten-Staudamm
Blick auf den Drei-Schluchten-Staudamm

Unter Deng Xiaoping und den folgenden Staatspräsidenten wird seit 1979 die wirtschaftliche Liberalisierung vorangetrieben und China erlebt einen einzigartig stetigen wirtschaftlichen Aufschwung, der langsam bei der Bevölkerung ankommt – allerdings keinesfalls gleichmäßig. In- und ausländische Unternehmen profitierten lange Zeit von niedrigen Rahmenkosten und nachlässigen Umweltbestimmungen. Letztere führten zu einem laxen Umgang mit dem Ökosystem. Es scheint, als hätte der wirtschaftliche Erfolg einen signifikanten Teil der chinesischen Bevölkerung blind gemacht für ihre eigene Tradition des Lebens im Einklang mit der Umwelt.
Chinas Regierung will, schenkt man den Erklärungen vom April 2014 Glauben, dass sich in puncto Umweltschutz etwas bewegt. Im Zuge des Besuchs von Deutschlands Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel wurden im Frühjahr viele Verträge hinsichtlich besserer Umwelttechnik in die Wege geleitet. In Shanghai hört man, dass die abendliche Beleuchtung des Businessviertels Pudong zu Zwecken des Umweltschutzes stark heruntergefahren wurde. Geht man jedoch durch Wuhans Straßen, Parks und am Flussufer entlang, klingen die Bemühungen fast wie leere Versprechungen. Abgesehen von ein paar Schildern, die mit poetischen Sprüchen, inklusive teilweise amüsanter englischer Übersetzung, etwa dazu auffordern, Grünflächen sauber zu halten, scheint hier noch nichts vom ökologischen Denken angekommen zu sein. Überraschend ist die Begegnung mit einem Amerikaner, der seit drei Jahren in Wuhan an der Universität arbeitet; er vermag die eher pessimistische Sicht auf die Umweltschutzbemühungen in China etwas zu erhellen: Steve McClure berichtet von einem Pilotprojekt, das, wenn es funktioniert, vielleicht mehr Bewusstsein und Verantwortungsgefühl in der Bevölkerung schaffen kann.

Datensammlung statt Selfie
Im Rahmen des Watershed Rehabilitation Project sollen Bürger in die Aufdeckung von Umweltproblemen und von Fällen mutwilliger Verschmutzung mit einbezogen werden – ganz einfach per Smartphone. Das erfolgt durch ein GIS (Geo Information System), wie es zum Beispiel Google Maps und andere Online-Kartenapplikationen nutzen. Das ist allerdings nur ein Bruchteil dessen, was mit GIS eigentlich möglich ist: Die Daten, die mithilfe des Systems gesammelt werden können, fließen in Informationsnetzwerke, die nicht nur in China, sondern auch in weiten Teilen der Erde genutzt werden, um unterschiedliche geologische Phänomene zu beobachten und zu analysieren. Die Universität Wuhan und das ihr zugehörige Unternehmen GeoStar will die Zivilbevölkerung in die Informationssammlung mit einbeziehen und hat deshalb in Kooperation mit Wuhan Changyuan Co. Ltd. ein participatory GIS (PGIS), also ein teilnehmendes GIS, geschaffen. Der Schwerpunkt des 2006 gestarteten Pilotprojekts liegt auf der Beobachtung von Bodenerosionen, die am Jangtzekiang und dem Pearl-River-Becken in Guangxi Folgen der starken Abholzung für die Industrie sind. Geografische Karten mit allen das Thema betreffende Informationen sind über eine Web-GIS-Plattform sowohl für Projektmanager und offizielle Beamte als auch für Landwirte und interessierte Privatpersonen zugänglich – auch mobil. Die Nutzer können damit die aktuellsten Daten für die betreffende Region einsehen und darüber hinaus Veränderungen, etwa zur Bodenbeschaffenheit, melden. Die Meldungen werden dann von Spezialisten ausgewertet, überprüft und die neuen Daten eingepflegt, alles im Zeichen der Transparenz – soweit die Theorie. Ob es in der Praxis, losgelöst von Einzelprojekten, funktionieren wird, bleibt abzuwarten. Steve McClure berichtet, das Pilotprojekt sei bereits ein Erfolg und er sei fest davon überzeugt, dass es sich, wenn langfristig angelegt, auch auf weitere Bereiche übertragen ließe.
Erfolgspotenzial ist vorhanden, da mindestens zwei Grundvoraussetzungen gegeben sind: Erstens besitzt so gut wie jede junge Person ein Smartphone, hat dieses immer griffbereit, und an Begeisterung, Bilder zu posten, fehlt es auch nicht. Zweitens wird das PGIS von der Regierung finanziell und inhaltlich unterstützt. Diese Unterstützung ist entscheidend, denn anders als in Europa können solche Projekte in China nur marginal von Nichtregierungsorganisationen vorangetrieben werden. NGOs haben in China, wenn überhaupt, nur einen sehr geringen Einfluss auf das politische und öffentliche Geschehen; außerdem ist es für sie schwierig, die Zivilbevölkerung davon zu überzeugen, dass wirtschaftlicher Erfolg nicht zu Lasten der Umwelt gehen darf. „Die Mehrheit der chinesischen Bevölkerung ist nicht reich genug, um sich für gesellschaftliche Dinge einzusetzen oder sie denken einfach, es wäre nicht ihre Angelegenheit“, sagt Preston Chang mit Blick auf die Schweinswale, die im Delfinarium durch das Becken flitzen. „Working hard for a better future“ ist ein Satz, den Chinesen von ihren Eltern mit auf den Weg bekommen. Für viele bedeutet das vor allem, mehr Geld zu verdienen, um die eigenen Kinder auf gute Schulen schicken zu können oder ein teures Auto als Statussymbol zu fahren. Für Preston Chang bedeutet eine bessere Zukunft als Einzelner und als Gesellschaft wieder den Weg zum Leben im Einklang mit der Natur zu finden.

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