Sterben mit den Haaren im Wind

Jörg Diehl, Thomas Heise und Claas Meyer-Heuer entzaubern den Mythos der ‚Höllenengel‘ mit einem beunruhigenden, aber spannenden Panorama der Motorrad-Gangs in Deutschland.

von Robert

Lederkutte, Harley, Outlaw: Vielleicht hat sie noch nicht jeder im wirklichen Leben gesehen, doch kaum einem sind die Gerüchte und Klischees über die selbst ernannten „Onepercenter“ unbekannt­. Hells Angels, Bandidos, Satudarah sind nur einige der vielen Motorcycle Clubs weltweit. Sie selbst sehen sich als letzte Bastion der ungezügelten Freiheit. Für die Polizei sind sie schlicht eines: Kriminelle. Drei Spiegel-Redakteure versuchen in Rockerkrieg – Warum Hells Angels und Bandidos immer gefährlicher werden, das Panorama der Motorcycle Outlaw-Gangs in Deutschland zu erfassen.
Gezückte Waffen, Autobomben, Straßenschlachten – auf den 320 Seiten reiht sich Gewalttat an Gewalttat. Die motorisierten Schlägertrupps von Hells Angels und Bandidos streifen wie marodierende Massen durchs Land und verbreiten Angst und Schrecken. Die ermittelnde Polizei scheint viel zu oft einen Schritt hinterher zu hinken. Kommt es doch mal zum Verfahren, werden die Zeugen eingeschüchtert, Beweismittel entfernt, ermittelnde Beamte bestochen oder die Kontakte in die Politik genutzt. Die Handlung des Buches erinnert eher an einen Krimi als an ein Sachbuch und stellenweise liest es sich auch so; nur spielt die Geschichte nicht in New York oder Chicago, sondern in Hannover, Hamburg – oder auch mittelgroßen Städten wie Weimar!
Detailgenau und faktenorientiert zeichnen die Autoren das Bild von gut strukturierten Verbrecherorganisationen, deren Köpfe wie etwa Frank Hanebuth bei den Hells Angels oder Brahim Zayani bei den Bandidos ihnen nur zu gern das Image eines ganz normalen Motorradclubs geben.  Die langhaarigen ‚Easy Rider’ haben sich mittlerweile in glatzköpfige Schlägertrupps verwandelt, deren erstes und einziges Interesse der Profit ist.
Wie jede anständige Verbrecherorganisation haben auch die Motorradclubs ihre eigenen Normen und Werteordnung: Sie sind hierarchisch aufgebaut, und wer dazugehören will, muss zuerst mehrere Jahre als so genannter Prospect durchhalten. Während dieser Zeit ist der Bewerber praktisch Leibeigener der Vollmitglieder. Er muss diese bewirten, für sie Wache stehen und wenn es hart auf hart kommt, auch vor Gericht für sie lügen und dafür ins Gefängnis. Führt man sich den Kodex der einzelnen Clubs vor Augen, fragt man sich unweigerlich, wie diese nach wie vor mit dem Schlagwort ‚Freiheit’ für sich werben können.
Das Buch sticht durch seinen flüssigen Stil hervor, der abgesehen von einzelnen Momenten der Polemik den Boden der Sachlichkeit nicht verlässt. Ein Manko jedoch liegt möglicherweise in der dreifachen Autorenschaft: Häufig kommt es zu informellen Wiederholungen; zum Beispiel wird fünf Mal ohne ersichtlichen Grund vom Wechsel des Bandidos-Chapters Southside zu den Hells Angels berichtet. Trotz dieses Makels ist Rockerkrieg – Warum Hells Angels und Bandidos immer gefährlicher werden ein gut recherchiertes und zugleich sehr spannendes Sachbuch – besser also, als sein plakativer „Warum“ -Titel vermuten lässt.

Jörg Diehl, Thomas Heise, Claas Meyer-Heuer:
Rockerkrieg – Warum Hell’s Angels und Bandidos immer gefährlicher werden
Goldmann/
Spiegel-Buchverlag 2014
320 S.
19,99 €

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