Der vergessene Konflikt: Und sie sterben immer noch

BhopalProteste

Am 3. Dezember 1984 ereignete sich der indischen Stadt Bhopal eine der schlimmsten Chemiekatastrophen aller Zeiten – weil skrupellose Unternehmer ein paar Dollar Betriebskosten sparen wollten.

von Nicole Dittrich

Auch Mitte der 1980er-Jahre war Indien schon ein beliebtes Niedrigsteuer- und Billiglohnland, sodass der US-Konzern „Union Carbide“ in Bhopal überaus günstig das Insektenschutzmittel Sevin produzieren ließ. Niedrige Löhne und überlange Wartungsintervalle reichten dem Unternehmen schon bald nicht mehr aus, sodass auch andere Möglichkeiten der Kosteneinsparung umgesetzt wurden: Zum Einsatz kamen aus billigem und daher minderwertigem Stahl bestehende Rohre und Überdruckventile. Diese versagten in der Nacht des 3. Dezember 1984 ihren Dienst, wodurch mehr als 45 Tonnen des schwer giftigen Methylisocyanat (MIC) in die Atmosphäre gelangen konnten.

70 Dollar gespart
Das Sicherheitssytem, welches genau das verhindern sollte, war damals abgeschaltet – was ganze 70 Dollar Ersparnis pro Tag brachte. Daher waren eine halbe Million Menschen der tödlichen Gaswolke stundenlang schutzlos ausgeliefert. Ein Zeitzeuge erinnert sich: „Es fühlte sich an, als hätte jemand unseren Körper mit rotem Chili gefüllt. Aus unseren Augen und Nasen lief Wasser und wir hatten Schaum vor dem Mund. Alle liefen durcheinander, viele schrien vor Schmerz, andere brachen tot zusammen.“

Die Region kommt nicht zur Ruhe
Doch damit nicht genug. Bis heute wurde der Boden, auf dem die Chemiefabrik stand, nicht dekontaminiert. Weiterhin strömt die Chemikalie MIC ins Grund- und Trinkwasser, noch immer spielen Kinder auf dem verseuchten Gelände, auf dem nach wie vor auch Kühe weiden. Ein ewiger Kreislauf wird so in Gang gehalten, der die Chemikalie kontinuierlich weiterüberträgt. Vor allem Krebs, Blindheit, fehlende Gliedmaßen bei Neugeborenen, Gehirnschäden und Unfruchtbarkeit zählen zu den bis heute nachweisbaren Folgen des Industrieunglücks. Insgesamt starben seit dem 3.Dezember 1984 in der Region Bhopal mehrere hundertausend Menschen an dessen Folgen, wobei genaue Zahlen von offizieller Seite nie ermittelt wurden.

Warten auf Gerechtigkeit
Der heute weltweit zweitgrößte Chemiekonzern „Dow Chemicals“, zu dem „Union Carbide“ inzwischen gehört, wurde nie erwähnenswert zur Verantwortung gezogen. Vom ursprünglich auf drei Milliarden US-Dollar angesetzten Schadensersatz musste der Chemiegigant nach zähen Verhandlungen und der Zusicherung, von einer weiteren Strafverfolgung abzusehen, nur 470 Millionen Dollar an den indischen Staat bezahlen – der Jahresumsatz der Firma beträgt ca. 10 Milliarden US-Dollar, die Kosten für eine Entseuchung des Bodens beziffert Greenpeace auf ca. 30 Millionen US-Dollar. Leider kam von den Entschädigungszahlungen nie etwas bei den Betroffenen an, vielmehr kaufte der indische Bundesstaat dem Unternehmen das verseuchte Gelände auch noch ab.

Wirtschaftliche Interessen vs. Achtung der Menschenrechte
Der Fall Bhopal zeigt einmal mehr den Konflikt zwischen rigoroser Verfolgung wirtschaftlicher Interessen einerseits, d.h. Kosteneinsparungen um jeden Preis, und der Achtung der Menschenrechte andererseits – zu denen das Recht auf Leben und Unversehrtheit gehört. Deshalb stellt sich die Frage, ob in der Wirtschaft ein verantwortungsvoller Umgang mit elementaren Menschenrechten überhaupt möglich ist.

Siehe dazu auch die Bildergalerie auf UNIQUE Online.

______________________________________________________________________________________

Nicole Dittrich (23) ist Mitglied bei Amnesty International und studiert BWL/Interkulturelles Management. Ihr ist es wichtig, anderen Menschen zu helfen, da jeder einzelne ein Recht auf ein menschenwürdiges Leben habe.

Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert