Kolumne: Sprachwandel einmal anders

Logo der Firma "Pelikan" im Wandel: von 1878 bis in die 1930er (© Pelikan.com)
Logo der Firma "Pelikan" im Wandel: von 1878 bis in die 1930er (© Pelikan.com)

Thomas Honegger, Professor für Anglistische Mediävistik an der FSU Jena, über die Interpretation von Zeichensprache und Tierdarstellungen.

Dass unsere Sprache einem fortlaufenden Wandlungsprozess unterworfen ist, wissen und erleben wir alle. Es gibt jedoch noch eine andere Sprache, die zwar nicht aus Lauten, Worten und Phrasen besteht, aber auch ihre eigenen Regeln und ‚Vokabeln’ hat: die der Zeichen und Symbole. Leider ist diese Sprache heutzutage oftmals nicht mehr allgemein verständlich. Im Mittelalter und der Frühen Neuzeit war diese Zeichensprache jedoch von großer Bedeutung, denn durch sie sprach Gott zu den Menschen. Die Botschaft war mittels des (Zeichen-)Codes in der Schöpfung eingeschrieben und konnte durch diejenigen, die das notwendige Wissen hatten, entschlüsselt werden. So wurde beispielsweise die Schlange, die sich häutet, als der Sünder interpretiert, der sich durch die Beichte und Buße spirituell reinigt und verjüngt.
Oftmals basiert das für eine Interpretation notwendige Faktenwissen auf überlieferten Berichten, die einer modernen naturwissenschaftlichen Überprüfung nicht standhalten: Wir verstehen zwar noch, was mit ‚Wie der Phönix aus der Asche auferstehen’ gemeint ist, glauben jedoch nicht mehr an die Existenz dieses fabelhaften Vogels. Oftmals ist die symbolisch-allegorische Bedeutung aber beinahe völlig in Vergessenheit geraten, gerade im Fall von Tieren, mit denen wir alltäglichen Kontakt haben. Wir schreiben Hunden immer noch die Charaktereigenschaft der Treue zu, würden einen Hund aber nicht mehr als Symbol der Treue verwenden – und zum Beispiel einen Ehering mit einem Hundemotiv schmücken. Deshalb sind wir auch kaum mehr in der Lage, die symbolische Darstellung von Hunden im Mittelalter richtig zu entschlüsseln. Im letzten Sommer kam ich auf einer Wanderung durch das kleine Dorf Sparsholt (Oxfordshire), in dessen Kirche sich die Grabbildnisse von Sir Robert Achard († 1353) und seinen beiden Gattinnen Agnes († 1356) und Joanna († 1337) befinden. Agnes’ Füße ruhen auf zwei miteinander spielenden Hunden, die von Joanna und von Sir Robert auf je einem Löwen. Ein Lokalhistoriker verfasste zu den Grabbildnissen ein Informationsblatt und geht im Detail auf Agnes’ Hunde ein. Zu Recht verweist er auf die weit verbreitete Angewohnheit von adligen Damen, Schoßhunde zu halten – und interpretiert die Darstellung auf dem Grab als Ausdruck von Agnes’ großer Zuneigung zu ihren Tieren. Was er jedoch leider nicht berücksichtigte, ist die in einem solchen Kontext primäre Bedeutung der Hunde als Symbol der Treue – so wie die Löwen auf den anderen beiden Grabbildnissen als Symbole der Auferstehung und nicht als ‚Schoßkatzen’ der Verstorbenen zu deuten sind.
Es sind aber nicht allein mittelalterliche Grabbildnisse, die sich der Sprache der (Tier-)Symbolik bedienen und von einem zeitgenössischen Publikum nicht mehr verstanden werden. Oft finden wir die Nachfahren mittelalterlicher Allegorien in den Logos moderner Produkte – wie zum Beispiel den Pelikan der gleichnamigen Füllermarke: Das Logo stellt einen Mutter-Pelikan und ein Küken dar. Ein Blick auf die bildliche Entwicklung zeigt, dass es sich ursprünglich um die allegorische Darstellung Christi als Pelikan handelt, der sich mit dem Schnabel eine Wunde zufügt, um mit seinem Blut das Küken wieder zum Leben zu erwecken.
Ein mittelalterlicher Autor hätte die Verwendung des Vogels für eine Füllfeder-Marke allegorisch ausgelegt: Die Feder stünde pars pro toto für den Pelikan, die Tinte als das Lebensblut des Vogels, und die Gedanken, die durch die fließende Tinte konkrete Form annehmen und ‚zum Leben’ erweckt werden, sind die Küken. Stattdessen gibt die Homepage des Unternehmens folgenden unbeholfenen Interpretationsversuch: „Die Marke Pelikan erzählt komprimiert in einem einzigen Zeichen eine ganze Geschichte. Sie handelt von der Zuneigung des Elterntiers zu seinem Küken, von dem man weiß, dass es eines Tages fliegen wird.” Als Nächstes werden Reiseführer wohl beginnen, all die zahlreichen Pelikane auf mittelalterlichen Grabmälern als ‚Lieblingsvögel’ der Verstorbenen zu bezeichnen.


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