Irische Tagebücher
Einmal Dublin und Retour, bitte!

„Im Grunde bin ich mit völlig falschen Vorstellungen nach Irland gekommen. Es war naiv zu glauben, dass die Iren Riverdance-like durch die Straßen tanzen, der Regen Gemütlichkeit statt Depressionen schafft, mich Feen abends in den Schlaf singen …
Der nachfolgende Bericht erzählt von den Verrücktheiten einer Großstadt, der irischen Seele, dem Beginn eines Erasmus-Austauschsemesters. Und doch geht es eigentlich nur um mich.“

von Christin

“… jetzt aber erstmal mutig in den Flieger steigen und sich auf die vielen neuen Dinge freuen.“ So endet die Abschiedsnachricht einer Freundin. Also in den Flieger bin ich mehr oder weniger mutig gestiegen. Aber freuen? Das Gefühl beim Auschecken in dem Land, in dem ich die nächsten Monate verbringen soll, lässt sich eher mit nackter Angst als mit Freude beschreiben. Schon am Flughafen frage ich mich, was ich eigentlich in diesem Land ohne Sonnenschein suche. Ich bin Kleinstadtdeutsche, auch wenn ich das ungern zugebe. Und Familienmensch bin ich auch, was ich noch weniger gern zugebe. Das sind nämlich alles Attribute, die in unserer kosmopolitischen Welt nicht gefragt sind. Heimatverbundenheit ist etwas für Schwächlinge, mitleidiges Lächeln von allen Seiten, Auslandserfahrung der Heilige Gral. Na bitte, dann mach ich eben ein halbes Jahr Dublin. Wie schwierig kann das schon sein? Und eine Gelegenheit wie Erasmus bietet sich nach dem Studium ja auch nicht noch mal. Ich glaub dran. Das wird mein Leben verändern. Ich komme als neuer Mensch wieder, als gereifte Persönlichkeit, als welterfahren, offen, mich wird nichts mehr schrecken. Also nehme ich meinen Koffer vom Band und widerstehe dem Drang, in die nächste Maschine zurück zu Mami zu steigen. Ich spüre es. Die Freude kann nicht mehr weit sein.
Ich bin Ire und ich bin betrunken.
Also gut, wir leben in Jena, wir sind tolerant. Klischees sind etwas für den Rest der Welt. Ich persönlich bin ja ein Freund von Klischees, die uns helfen, Dinge oder Situation oder … am allerbesten … Menschen in eine Schublade zu stecken. So funktioniert die Welt eben und mal ehrlich, wer hat schon genug Zeit und Energie alles immer wieder auf´s Neue zu beurteilen?
Der gemeine Ire gilt ja eher als trinkfreudig und lustig, wobei die zweite Eigenschaft in direktem Zusammenhang mit der ersten steht. Dies ist kein Vorurteil, wie ich schnell feststellen musste, sondern Realität. Und eine traurige noch dazu. Der exzessive Alkoholgenuss resultiert nämlich nicht aus einer Leidenschaft rauschaffiner Inselbewohner, sondern ist einfach notwendig.

Warum ein ganzes Volk den Seelenfrieden auf dem Boden eines Pint of Beer sucht.
Erster Grund: Das Wetter ist, sagen wir mal, suboptimal. Es regnet ständig und wenn es mal nicht regnet, dann wartet man eigentlich nur darauf, dass es gleich wieder anfängt. In den ersten Tagen war ich noch blutiger Anfänger und bin von Sonnenschein und Unerfahrenheit geblendet, mit Shirt und Sandalen auf Erkundungstour gegangen. Das habe ich mir schnell abgewöhnt, denn das Wetter kann innerhalb von einem Tag den gesamten Zyklus der Jahreszeiten durchschreiten, und das im Minutentakt. Nach einer Woche konnte ich schnell Touristen von zwiebelprinzippraktizierenden Einheimischen, zu denen ich mich nun auch zählte, unterscheiden und bedachte die frierenden Unwissenden mit einem mitleidigen Blick.
Zweiter Grund: Die Preise. Dublin ist eine der teuersten Städte Europas und das bei einem sehr niedrigen Lebensstandard. Mit anderen Worten: Man bezahlt viel für beschissene Qualität. Das führt dazu, dass die meisten Menschen, die hier leben, drei Jobs gleichzeitig zum Überleben benötigen, nur um dann nach einem harten Arbeitstag in eine Wohnung zurückzukommen, in der der Regen von der Decke tropft. Hier ist ein Pub eine weitaus gemütlichere Alternative.

Dritter Grund: Der Weltschmerz. Es gibt wohl kein Volk Europas, das so inbrünstig leidet wie die Iren. Englische Unterdrückung, Verlust von Identität und eigener Sprache, Hungersnot und Massenemigration … Iren glauben nicht daran, dass sich Sorgen nicht ertränken lassen. Das Ganze erinnert dann allerdings mehr an Verzweiflung als an Spaß, besonders wenn zu vorgerückter Stunde besonders traurige Volkslieder angestimmt werden und dem ein oder anderen harten Kerl die Tränen den Blick verschwimmen lassen.
Man geht also gleich nach der Arbeit in den Pub, um 8 p.m. sind dann die meisten auch schon schön angeheitert, sonntags schon eher. Da wird nämlich direkt nach der Kirche eingekehrt und ich habe schon Menschen um drei Uhr nachmittags betrunken auf Tischen tanzen sehen.

Öffentliche Verkehrsmittel – One O Five, please.
Den meisten Spaß hatte ich mit irischen Verkehrsmitteln – irischen Bussen, um genauer zu sein. „Als Gott die Zeit schuf, machte er genug davon.“ Dieses irische Sprichwort trifft auf alle Lebenssituationen im Allgemeinen, auf das irische Bussystem im Besonderen zu. Die Fahrpläne sind nur zur Dekoration an den Haltestellen angebracht. Man stellt sich einfach hin und wartet. Warten ist einfach der Schlüssel zu allem auf dieser Insel. Wenn man Glück hat kommt der Bus nach zehn Minuten warten, bei weniger Glück nach zwei Stunden. Man sollte dann auf keinen Fall vergessen dem Busfahrer freundlich zu winken, sonst hält das Vehikel nicht. Die Eindeutigkeit der Situation (die Anwesenheit einer Person an einer BusHALTEstelle) reicht nämlich offenbar nicht aus, den Busfahrer zu veranlassen, mich einsteigen zu lassen. Also winke ich. Und dann beschreibe ich dem freundlichen Wagenlenker, wo ich hin will. Denn die ohnehin sinnentleerten Haltestellen haben zudem auch keine Namen. Also hofft man, dass der Busfahrer versteht und an der richtigen Stelle hält. Dabei ist mir aufgefallen, dass ich für ein und dieselbe Strecke immer einen anderen Preis bezahlt habe. Das lag aber einfach daran, dass ich immer gefragt habe, wie viel ich bezahlen muss. In Irland sagt aber einfach der Fahrgast, wie viel er zu zahlen gedenkt. Mein Fehler. Wie blöd von mir. In der Folge bezahlte ich also one o five statt one five o. Dies hatte weiterhin den Nebeneffekt, dass ich nicht gleich als Touri enttarnt wurde und somit auch dem Busfahrer nicht meine gesamte Lebensgeschichte erzählen musste.

Die irische Lösung für ein deutsches Problem.
Ich habe die Vermutung, dass es in Dublin keine Arbeitslosen gibt. Wer nicht in einem Pub, einer Bar oder einem Restaurant arbeitet, steht eben davor mit einem Knopf im Ohr, um potentielle Raufbolde abzuschrecken. Das Angebot an Shoppingtempeln ist riesig, genau wie die Zahl der in ihnen Beschäftigten. Ebenso viele verdienen ihre Brötchen mit Kunst und Kultur, ob nun auf den Brettern, die die Welt bedeuten oder lustig angemalt auf dem Kopfsteinpflaster der Fußgängerzonen. Aber die erstaunlichste Gruppe der Erwerbstätigen waren für mich die Schilderhalter. Aus irgendeinem Grund ist es im Innenstadtbereich verboten Hinweisschilder für Bars, Läden etc. anzubringen. Und damit auch jeder den Weg zu McDonalds findet, werden arme Studenten oder die bucklige Verwandtschaft für einen Hungerlohn den Elementen ausgesetzt, um ein selbst bemaltes Schild mit Richtungspfeil zu halten. Und wie überall gibt es die Frischlinge, die den Tag damit verbringen traurig dem irischen Regen zu trotzen und es gibt die Profischilderhalter, die anscheinend schon lange im Geschäft sind. Das sind diejenigen, die sich Klappstühle, Bücher, Musik und Mützen mit integriertem Schirm mitbringen. Außerdem maximieren sie ihren Gewinn, indem sie nicht nur ein Schild an ihrer Stange anbringen, sondern so viele, dass die Stange gerade noch haltbar ist. Dieses Beschäftigungskonzept in Deutschland, dem Land der Schilder, einzuführen, würde mit einem Schlag jegliche Arbeitslosigkeit beseitigen.
Herr Gott, ihr Wohnrecht ist mit sofortiger Wirkung aufgehoben. Bitte verlassen Sie zum ersten des kommenden Monats betreffende Wohnstatt.

„Die schmeißen Gott raus. Die schmeißen einfach Gott aus seinem Haus.“
Genau das waren meine Gedanke, als ich mit einer Freundin The Church, ein Cafe nördlich des Liffey, betrat. Dieses Cafe war in einer Kirche untergebracht. Ohne Frage war das Ambiente … besonders. Ich bin weder getauft noch in irgendeiner Weise religiös, aber das war trotzdem zu viel für mich. Im Übrigen ist dieses Etablissement keine Ausnahme. Es gibt Kirchen/Lampenläden, Kirchen/Diskos und Kirchen/Touristenformationszentren. In der berühmten St. Patricks Cathedral ist ein Teil des Kirchenschiffs von den lästigen alten Reliquien befreit worden, um Platz für einen Souvenirshop zu machen. Diesem erzkatholischen Volk ist nichts heilig, es wird dem schnöden Mammon statt der Jungfrau Maria gehuldigt. Und Gott sitzt wahrscheinlich im Pub und studiert die Wohnungsanzeigen, ob er etwas Bezahlbares finden kann.
It´s a nice day, isn´t it?
Mit Iren ins Gespräch zu kommen, ist äußerst einfach. Besonders in den Menschentrauben vor den Pubs, wo alle dicht gedrängt unter dem Vordach Schutz vor dem Regen für sich und die eigene Zigarette suchen. Der klassische Einstieg in ein Gespräch ist eine kurze Analyse der aktuellen Wetterlage, worauf unmittelbar Fragen nach Sinn und Zweck des Irlandbesuchs, Herkunft, Alter, Beziehungsstatus etc. folgen. Es kam öfter vor, dass ich wildfremden Menschen nach einer zehnminütigen Unterhaltung meine gesamte Lebensgeschichte erzählt habe. Wer glaubt, damit wäre gleichzeitig eine Freundschaft fürs Leben besiegelt, wird beim nächsten Pubbesuch enttäuscht feststellen, dass in den Augen der Person, die am Abend zuvor Saufkumpan, Beichtvater und best friend forever war, sich noch nicht einmal der Anflug eines Wiedererkennens breit machen wird. Iren sind oberflächlich, was über Spaß hinaus geht, ist nicht ganz so ihr Ding. Trotzdem bleibt man in Dublin nicht lange allein. Besonders die Italiener und Spanier, die die Stadt bevölkern, sind äußerst kontaktfreudig. Man hat den Eindruck, dass die Massen von Ausländern, die nun mal in einer europäischen Großstadt aus den unterschiedlichsten Gründen zeitweise zu Hause sind, den ganzen Tag damit beschäftigt sind, Anschluss zu finden. Fremdlinge jeglicher coleur rotten sich zusammen, um wenigstens das Heimweh mit jemandem teilen zu können oder … was viel besser ist … sich Geschichten von Menschen anzuhören, die es noch schlechter in Sachen Wohnung, in Sachen Heimweh, in Sachen Job etc. getroffen haben.

Die Wiesen sind nicht grüner, die Menschen sind nicht freundlicher, Schafe hab ich auch nicht gesehen.
Im Grunde bin ich mit völlig falschen Vorstellungen nach Irland gekommen. Es war naiv zu glauben, dass die Iren Riverdance-like durch die Straßen tanzen, der Regen Gemütlichkeit statt Depressionen schafft, mich Feen abends in den Schlaf singen … was man eben so denkt über Irland nach der Lektüre eines Maeve-Binchy-Romans. Bevor man sich entscheidet, eine Zeit lang den Lebensmittelpunkt ins Ausland zu verlegen, sollte man sich genau überlegen, warum man das tun will (und ob ein Land mit mehr Sonnentagen als das eigene vielleicht die bessere Wahl wäre). Weil alle es tun, es nach dem Studium keine so einfache Möglichkeit mehr gibt, man super Fotos zum rumreichen auf der nächsten Familienfeier hat; das sind absolut keine hinreichenden Gründe. Ich glaube nicht, dass man das Land verlassen muss, um sich weiterzuentwickeln oder … und jetzt klinge ich doch wie Maeve Binchy … sich selbst zu finden. Das muss man schon mit sich ausmachen und dabei ist es völlig egal, ob man in Jena, Dublin oder Kalkutta sitzt. Das alte Leben sowie das alte Ich warten geduldig auf dem Flugsteig bis zur Rückkehr des Flüchtlings.

Im Nachhinein klingen meine Erinnerungen furchtbar komisch und es ist auch nicht abzustreiten, dass wirklich jeder Tag ein Abenteuer war. Manchmal fühlte ich mich als hätte ich nicht das Land, sondern den Planeten verlassen. Ich hätte nicht erwartet, dass da eine völlig andere Welt mitten in Europa nur zwei Flugstunden vom geordneten Deutschland entfernt, auf mich wartet. Machen wir uns nichts vor: Natürlich ist Deutschland langweilig. Alles ist bis ins Kleinste reglementiert, es gibt nur wenig Überraschendes und die deutsche Seele ist etwas kleiner kariert als die anderer Nationen. Nach meinem kleinen irischen Abenteuer habe ich deutsche Vorhersehbarkeit allerdings zu schätzen gelernt, auch wenn ich mich ein bisschen weniger lebendig fühle.


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Kommentare

Eine Antwort zu „Irische Tagebücher
Einmal Dublin und Retour, bitte!“

  1. Avatar von Ingo
    Ingo

    Hey ! Grüße aus Dublin ! Bin schwer enttäuscht und kann allem was du schreibst viel abgewinnen. Ich grüße jeden Schilderträger einzeln von dir 🙂

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