Nach Abschluss des 18. cellu l’art-Kurzfilmfestivals werfen wir einen Blick auf die Gewinnerfilme und einige der diesjährigen Sonder-Veranstaltungen.
von Frank
Im vollgepackten Volksbad wurden am Samstagabend die Preise des internationalen Wettbewerbs des Kurzfilmfestivals vergeben. Der mit 250 Euro dotierte Jenaer Filmpreis für Toleranz, gestiftet von Oberbürgermeister Dr. Albrecht Schröter, ging – anders als häufig in den zurückliegenden Jahren – an eine Komödie: Der britische Kurzfilm The Chop von Lewis Rose aus Wettbewerbsblock 1, der sich später am Abend außerdem den mit 500 Euro dotierten Publikumspreis sichern konnte, erzählt eine Geschichte um religiöses Neben- und Miteinander am Beispiel von koscherem bzw. Halāl-Fleisch.
Die mit satten 1.000 Euro dotierte Auszeichnung als Bester ExAnDo (Experimental, Animation, Dokumentation) ging in diesem Jahr an den Animationsfilm Cipka (Pussy) der polnischen Filmemacherin Renata Gasiorowska; über den Preis der dreiköpfigen Jugendjury, gestiftet von Bürgermeister Frank Schenker, konnte sich die deutsche Produktion Emily must wait freuen. Das fast klaustrophobische Kammerspiel von Regisseur Christian Wittmoser, in dem wir mit der Protagonistin in ihrem Einzimmer-Apartment ausharren, spielt während nicht näher definierter Ausschreitungen in ganz Europa. Sirenen, Grenzschließungen, bürgerkriegsähnliche Zustände – es ist eine Stärke des Films, dass er den Charakter der Bedrohung meist nicht explizit macht. Die Dimension Zeit verliert irgendwann ihre Bedeutung und wird dann nur noch anhand der vertrocknenden Zimmerpflanzen ersichtlich. Zwar kippt Emily must wait im letzten Drittel zu stark in Richtung Endzeit-Film, bleibt aber schon wegen der ungewöhnlichen Kameraperspektive im Gedächtnis. Wohl auch deshalb erhielt der Streifen zusätzlich eine lobende Erwähnung der Fachjury in der Kategorie Bester Spielfilm. Den Preis in dieser prestigeträchtigen Kategorie nahm allerdings ein belgischer Film mit nach Hause: Stacey en de alien (Stacey and the Alien). Nelson Polfliet konnte die Fachjury mit seiner Geschichte um die Cheerleaderin Stacey überzeugen, einem Mix aus tragischer Scheinwelt, trashigen Aerobic-Musikvideos und einem Hauch Science Fiction… und die Spice Girls nicht zu vergessen.
Die prämierten Filme bildeten damit eine bereits häufiger in den letzten Jahren anzutreffende Mischung: Ein bisschen Sex, eine Portion Humor und ordentlich Lust zur Provokation.
Echt unglaublich – unglaublich echt, oder: Ein Genre, das zu begeistern weiß
Neben Wettbewerb und Länderschwerpunkt gönnte sich das cellu l’art zum 18. Geburtstag in diesem Jahr noch eine Reihe weiterer Sonderveranstaltungen, darunter unter anderem das „Ab durch die Mitte“-Special, das sich, nach dem Motto „Warum in die Ferne schweifen, liegt das Gute doch so nah“, Kurzfilmen aus Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt widmete. Eines der Highlights des Festivals fand hingegen, fast ein wenig versteckt, an einem Freitagabend im Kleinen Saal statt: das Mockumentary-Special. Das Genre Mockumentary („mock documentary“) kümmert sich so gar nicht um banale Kategorien wie Fiktion und Realität, sondern dokumentiert einen Teil unserer Welt, der gar nicht existiert – und wirft gerade damit einen interessanten Blick auf die Absurditäten der Wirklichkeit. Etwa, wenn Crack uns zeigt, dass eigentlich um alles Bandenkriege entstehen können, solange es verboten (und damit begehrt) ist. Oder der deutsche Beitrag Grünes Gold uns im Stil einer samstagnachmittäglichen ntv-Dokumentation die wahren Hintergründe der amerikanischen Militäroperation Desert Storm (eigentlich S.T.O.R.M. Dessert!) erklärt.
Bereits seit einer Weile gibt es sogar eigene Filmfestivals für Mockumentaries, unter anderem in Lyon und Quebec. Da beim diesjährigen Mockumentary-Special fast alle der neun Beiträge vom Publikum mit Begeisterung aufgenommen wurden, kann man nur hoffen, dass wir im nächsten Jahr mehr solcher absurder Realitäten beim cellu l’art erleben dürfen.
Notwendigerweise einmalig bleiben wird hingegen der „500 Jahre Reformation“-Filmblock, schließlich feiert Luthers Thesenanschlag nicht jedes Jahr ein solches Jubiläum. Statt 95 Thesen gab es bei dem Filmblock am Sonntag (!) 15 Kurzfilme, bei weitem die meisten davon aus Deutschland, rund um die (Gretchen-)Frage: Wie hältst du’s mit der Religion? Insofern waren längst nicht nur Luther und das Christentum Thema, sondern allgemein die Beziehungen von Menschen zu ihren Religionen. Mal war die Herangehensweise eher komödiantisch, wie bei der argentinischen Animation Lapsus oder der Vater Unser-Variante Smarter User, einem kurzen Stoßgebet des genervten Smartphoners („So führe uns nicht in die Rufumleitung…“). Andere Filme zeigten hingegen sehr ernsthaft, dass Glaube auch ein Kampf mit sich selbst sein kann. Oder wie blinder Glaube und Gefolgschaft ins Verderben führen können – der zugehörige Film Crossover lässt sich insofern längst nicht nur auf Kirche und Religion beziehen. Der Filmblock lieferte eine interessante und vielseitige Auseinandersetzung mit dem Thema, auch wenn diese in recht wenigen Fällen kritisch ausfiel. Einprägsam in diese Richtung ging der irische Beitrag RÚBAÍ um ein kleines Mädchen, dessen kindliche Neugier und Skepsis ihr strenggläubiges Umfeld schockieren. Doch sie hat ihre Gründe, ist sie doch schon in so jungem Alter vom Glauben abgefallen, weil alles Beten nichts geholfen hat.
Ebenfalls am Sonntag wurden die so genannten „B-Sides“ präsentiert, also jene Kurzfilme, die es knapp nicht in die Wettbewerbsauswahl des Festivals geschafft hatten. Dieser Filmblock ist bei regelmäßigen Festivalbesuchern berüchtigt für Blut und Tod und rohes Fleisch – und für Provokation. Und so kam – rein um der Provokation willen? – unter dem zynischen Titel Treffen zwischen zwei parkenden Autos, gefördert mit öffentlichen Geldern der Stiftung Kulturregion Hannover, die beinahe schon „obligatorische“ Vergewaltigungsszene ins Festivalprogramm, während zwei Reihen weiter das Popcorn raschelt…
Andere der Filme hätten den Wettbewerb durchaus bereichern können, etwa der gelungene dänische Animationsfilm Mr Sand, ein Throwback in die Frühzeit der bewegten Bilder, der vermeintliche und tatsächliche Gefahren des neuen Mediums Kino – vor allem für die Kleinen – behandelte. Oder der schwedische Beitrag Föda (Eating for two) über eine junge Mutter mit Anorexie. Wenig Inhalt, dafür aber ein interessantes Seh-Erlebnis bot dagegen der für Epileptiker – so betonte die Moderation vorsorglich – nicht geeignete Experimentalfilm Vintage Print aus Österreich.
Es ist die Herausforderung an Sehgewohnheiten, oft experimentell und provokant, auch absurd, die auf gewisse Weise nur im Kurzfilm funktioniert. Sie macht nicht zuletzt auch die Faszination dieses Mediums aus, die auch im nächsten Jahr die Kurzfilmfreunde Jenas wieder zum cellu l’art treiben wird.
Wer das nächste cellu l’art selbst mitgestalten will, informiert sich am besten auf cellulart.de/verein. Auf dem Laufenden zu weiteren Kurzfilm-Events bleibt man unter facebook.com/cellulart.
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