cellu l’art: Auftakt Länderschwerpunkt und internationaler Wettbewerb

Nach der jährlichen Open Air-Eröffnung am Faulloch startete am gestrigen Mittwoch das Kurzfilmfestival cellu l’art im Jenaer Volksbad mit den ersten Filmblöcken. Wir warfen für euch einen Blick auf den internationalen Wettbewerb und den diesjährigen Länderschwerpunkt Iran.

von Annegret & Frank

Zum Achtzehnten hat sich das Jenaer Kurzfilmfestival einiges vorgenommen, das zeigt sich nicht zuletzt an dem gewählten Länderschwerpunkt: Iran. Ein Land zwischen Demokratie und Theokratie, Konservatismus und Moderne, Zensur und Kreativität, wie auch in der vielseitigen (Kurz-)Filmlandschaft deutlich wird – so viel verriet Länderschwerpunkt-Kurator Anoush Masoudi, der in Teheran Film studiert hat und derzeit seinen Master in Kunstgeschichte und Filmwissenschaft an der Uni Jena macht, den zahlreichen Besuchern bereits zum Auftakt am Mittwochabend. Vor allem junge iranische Filmemacher, so ergänzte Ko-Kurator Fagus Pauli, finden oft mit ästhetischen, teils auch avantgardistischen Stilmitteln einen Weg, um Themen, die eigentlich tabuisiert oder der Zensur unterworfen sind – seien es Homosexualität, Frauen- oder Arbeitnehmerrechte – kreativen Ausdruck zu verleihen.

Ski-Lifte im Iran
Zum Auftakt ging es „In den Underground“, so der Titel des ersten Länderschwerpunkt-Filmblocks: Werke unabhängiger Filmemacher, die im offiziellen iranischen Kino nicht zu sehen wären. Deutlich wurde hier schnell, dass „underground“ nicht gleich „unprofessionell“ ist, dafür aber eben oft mit der Eigenschaft „experimentell“ einhergeht.
Der eröffnende Dokumentarfilm ایران : یک سفر برای اسکی (Iran: A Skier’s Journey) wirkte dabei fast wie ein kleiner Trailer des Länderschwerpunkts, mit dem die Kuratoren eben alternative Sichtweisen ermöglichen wollen; Bilder, die man nicht im Kopf hat, wenn man an Iran denkt – zum Beispiel Ski-Pisten: Eine schnell geschnittene Reise zu einem Skigebiet nördlich der Millionenstadt Teheran, mit seinen weißen Pisten abseits der strengen gesellschaftlichen Regeln. Es gebe mehr Freiheit „hier oben“, sagen zwei junge iranische Ski-Lehrerinnen lächelnd, und keine Geschlechtertrennung auf der Piste.
Einen ganz anderen Blick auf die gesellschaftliche Wirklichkeit wirft der Kurzspielfilm نظریه یادگیری اجتماعی (Social Learning Theory): In einer iranischen Schule malen Kinder Bilder von ihren Wochenendausflügen, in den Zoo, auf eine Geburtstagsfeier… oder zur öffentlichen Hinrichtung. Der entsetzte Blick der Lehrerin ist vorhersehbar – die eigentliche Pointe, mit Blick auf den Titel und sozial-kognitives Lernen, ist es nicht.
Auch Animationsfilme bilden eine kreative Ausdrucksform unabhängiger Filmemacher, etwa um die Illegalität homosexueller Beziehungen zu thematisieren. Hinter داستان ناهید (Naheed’s Story) steht die Non-Profit-Organisation ORAM; der vier Minuten kurze Film erzählt ohne Dialoge, dafür mit umso kraftvolleren Bildern die Geschichte von Naheed, einer jungen lesbischen Frau im Iran, die aus Angst vor der Todesstrafe in die Türkei flieht.

Alles andere als unerwünscht: Wettbewerbsblock 1
Der diesjährige Wettbewerb startete ebenfalls am Mittwochabend, mit dem Thema „Unerwünscht“. Vor einem gut gefüllten Großen Saal im Volksbad präsentierten sechs Kurzfilme aus sechs Ländern ihre Sichtweise auf das Gefühl des Lästigen, Nicht-Willkommenseins und Unbehagens, das die Protagonisten hervorriefen oder fühlten.
Der Wettbewerbsblock startete gleich mit inhaltlich schwerer Kost: Vor den idyllischen Kulissen Siziliens zeigte der italienische und auf historischen Gegebenheiten beruhende Kurzfilm Viola, Franca die Schattenseiten „Bella Italias“ von 1965: Ihrer „Ehre“ durch eine Vergewaltigung beraubt, erzählt der Film von dem mutigen Schritt einer jungen Frau, die sich gegen eine sogenannte „Wiedergutmachungs-Heirat“ mit ihrem Peiniger wehrt und damit eine wegweisende Entwicklung für alle Frauen dieses Landes anstieß. Auf diesen Antagonismus von Landschaft und Ereignissen greift auch die kroatisch-französische Produktion Po Čovika (Half a Man) zurück, die – in das warme Sommerlicht der kroatischen Sonne getaucht – von der Rückkehr eines Vaters und Ehemannes aus der Kriegsgefangenschaft erzählt. Während seine beiden Töchter noch in Erwartung auf ihren Vater zu „I Need A Hero“ tanzen, wird bald deutlich, dass kein Held, sondern ein gebrochener Mann zurückkehrt.
Das mit negativen bzw. unerwünschten Ereignissen oft auch etwas Nützliches verbunden ist, zeigt die deutsche Dokumentation Imbiss, die einen Einblick in den Alltag eines Imbissbesitzers gibt, der aus den Bedürfnissen der Menschen, die auf dem Weg nach Europa sind, seine Geschäfte macht, indem er ihnen Essen, zu Trinken (oder die Möglichkeit, ihre Handys aufzuladen) verkauft. Trotz dieses interessanten Blickwinkels besitzt der Film einen stark negativen Beigeschmack.
Vor einem ganz anderen Hintergrund betrachtet der Kurzfilm #selfie die Situation einer unerwünschten Tätigkeit: Aus der Perspektive einer Handykamera an einem Selfie-Stick wird dem Zuschauer die mediale Inszenierung eines glücklichen Pärchen-Urlaubs vorgeführt. Aufgrund des ständigen Zwangs zum „perfekten Selfie“ wird die Beziehung der beiden Hauptdarsteller stark auf die Probe gestellt und damit die gefilterte Zurschaustellung im Netz von Urlaubstrips und der eigenen Beziehung auf sehr humorvolle Weise hinterfragt. Den Urlaub vor Augen hatte auch der Animationsfilm Made in Spain, der auf die Probleme Spaniens in amüsanter und kreativer Weise aufmerksam macht: Der idyllische Sandstrand, der als Kulisse dient und an ein Urlaubsparadies erinnert, wird dabei durch zahlreiche Ereignisse, wie u. a. einem wild gewordenen Stier oder immer wieder vorkommende illegale Grenzübertritte ins Chaos gestürzt. Der aufgemachte Raum für zahlreiche Interpretationen erschwert aber auch teilweise ein Verständnis auf dem ersten Blick.
Die Kulturclash-Komödie The Chop bildete den Abschluss und humorvollen Höhepunkt des ersten Wettbewerbsblocks, indem sie jüdische und islamische (Fleisch-)Kultur aufeinanderprallen lässt. Von seinem jüdischen Arbeitgeber entlassen, fängt ein jüdischer Fleischer in einer muslimischen Fleischerei an, sozusagen „inkognito“ als Muslim. Dass dabei nicht alles glatt geht, ist vorprogrammiert. Man kann letztendlich von sechs sehr erwünschten Filmen sprechen, die gerade durch ihre unterschiedlichen Perspektiven auf die Thematik einen gelungenen Wettbewerbsauftakt bildeten. Wir sind gespannt auf die weiteren Wettbewerbsblöcke.

Wettbewerb 1 läuft noch einmal am Donnerstag (27. April), 18:15 Uhr. Die Länderschwerpunkt-Blöcke 2 („Propaganda im 21. Jahrhundert“) und 3 („Made in Iran“) könnt ihr am Donnerstag ab 22:15 Uhr bzw. am Freitag ab 20:00 Uhr sehen.


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