Was wäre wenn…? Marine I.

Die Folgen eines möglichen Sieges von Marine Le Pen bei den französischen Präsidentschaftswahlen möchten François Durpaire und Farid Boudjellal in ihrem Comic „Die Präsidentin“ sichtbar machen.

von David

Frankreich 2017: Mit einem knappen Vorsprung gewinnt Marine Le Pen als Kandidatin des Front National vor dem Amtsinhaber François Hollande bei den Präsidentschaftswahlen. Ein Bruch in der europäischen Geschichte – mit welchen Auswirkungen? Dieser momentan noch kontrafaktischen und hoffentlich kontrafaktisch bleibenden Frage gehen François Durpaire und Farid Boudjellal in ihrer Graphic Novel Die Präsidentin nach.
Das ganze wird voraussichtlich wie folgt aussehen: das Nukleararsenal der traditionellen Atommacht Frankreich wird von nun an von einer Rechtsradikalen kontrolliert, Frankreich steigt aus dem Euro aus und nimmt den Franc wieder an, der Austritt aus der NATO wird erklärt und ein Militärbündnis mit dem bekanntermaßen gerade sehr friedliebenden Russland angestrebt, die von François Hollande nach den Anschlägen von 2015 verschärften Sicherheitsgesetze werden von der neuen Regierung allzu gerne genutzt, um missliebige Personen zu bespitzeln, illegal in Frankreich lebende Ausländer werden verstärkt verfolgt und bei dem ganzen Programm bekommt der Front National Rückenwind und Applaus von einem Teil der Konservativen. Oder mit anderen Worten: Malen nach Zahlen.
Was haben also François Durpaire und Farid Boudjellal zu sagen, was man nicht auch in einem Zeitungsartikel sagen könnte? Nicht viel. Ästhetisch ist Die Präsidentin mit seinen eher ausdruckslosen und unpersönlichen Panels kein großer Wurf. Die Rahmenhandlung um eine 90-jährige ehemalige Résistante und ihre multikulturellen Enkel, die einen Blog gegen die neue FN-Regierung schreiben, gibt dem Comic eher einen boulevardesken Telenovela-Touch als emotionale Tiefe.

Als lauter und ehrlich zorniger „Wählt sie nicht!“-Aufruf hat Die Präsidentin durchaus seine Berechtigung, als Analyse über den Aufstieg rechtsradikaler Tendenzen in Europa bleibt das Ganze eher mau, zumal der Front National in diesem Comic ein bisschen wie eine mysteriöse böse Kraft und nicht als integraler und alltäglicher Bestandteil Frankreichs gesehen wirkt. Denn die schrecklichere Frage als „Was, wenn Le Pen Präsidentin wird?“ stellen die Autoren nur bedingt: Was, wenn es überhaupt keine Rechtsradikalen braucht, um rechtsradikale Ideen in Regierungspolitik oder zumindest -rhetorik umzuwandeln? Durpaire und Boudjellal behandeln sie nur sehr implizit, aber es ist die Verrohung der politischen Mitte, und diese ist in ganz Europa zu beobachten, die den Rechtsradikalen letztlich Aufwind gibt – aber zugleich die Frage nach ihrem politischen Erfolg im Zweifelsfall sogar obsolet macht.

François Durpaire, Farid Boudjellal:
Die Präsidentin
Jacoby & Stuart 2016
158 Seiten
19,95€


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