Buch: Maus. Die Geschichte eines Überlebenden

von Luth

Darf man die Geschichte des Holocausts in Form eines Comics erzählen? Die Idee erschien so unverfroren, dass man davon ausgehen musste, das könne nur schiefgehen. Dem New Yorker Cartoonisten Spiegelman aber, im Jahre 1992 Pulitzer-Preisträger, gelang dieses Kunststück. „Maus“ erzählt die Lebensgeschichte von Spiegelmans Vater Vladek, einem ehrgeizigen jungen Mann im Vorkriegs-Polen, der nach Beginn des Zweiten Weltkriegs in die Menschenmühlen des nationalsozialistischen Lagersystems gerät.

Es ist die Geschichte eines denkbar unmöglichen Überlebens voller Zu- und Glücksfälle, die mit dem Jahre 1945 nicht endet, sondern glücklicherweise bis in die 1980er-Jahre weitererzählt wird. Wie ein roter Faden, in Form zahlreicher Vor- und Rückblenden, zieht sich das überaus konfliktträchtige Vater-Sohn-Verhältnis durch beide Bände; eine Beziehung, die nur dann harmonisch sein kann, wenn der Sohn den Vater zwingt, seine Lebensgeschichte zu erzählen. So wird der Junge zum Psychiater des traumatisierten, oft unausstehlichen Alten, den die Vergangenheit gefangen hält. Arts eigener Psychiater bringt es einmal so auf den Punkt: „Es haben nicht die Besten überlebt, und es sind auch nicht die Besten umgekommen. Es war Zufall!“

Spiegelmans Comic spricht auch jüngere Leser an, denen solche Bilderwelten wesentlich vertrauter sind als dicke Geschichtsbücher, die sich aber trotzdem für die Shoa interessieren. Den Gipfel unakademischer Unverschämtheit erklimmt Spiegelman, indem er alle Menschen frei nach Hitlers rassistischer Rhetorik mit Tiergesichtern versieht. Juden sind Mäuse, Nazis Katzen, Polen Schweine, Franzosen Frösche und Amerikaner Hunde, wobei es unter all diesem Getier sowohl „gute“ als auch „böse“ Artgenossen gibt. Dennoch ist „Maus“ keine Fabel im klassischen Sinne. In ihrer grafisch-plakativen Konformität sind alle handelnden Personen nur Teil eines großen Kollektivs. Die Geschichte schert sich nicht um ihre persönlichen Schicksale, sie rollt mit voller Wucht über sie hinweg. Auch Vladeks Schicksal ist daher nur eines von vielen – und gerade deswegen so beeindruckend.

Keine Frage, Spiegelman zeichnet eine düstere, eine erschreckende Welt, und das liegt nicht an den ausschließlich in Schwarz-Weiß gehaltenen Zeichnungen. Dennoch spart er nicht mit ironischen Brechungen, kritischer Selbstreflexion und jüdischem Humor, sodass „Maus“ gleichzeitig unterhaltend, authentisch und eindringlich ist. Der unerwartete Erfolg stieg dem Autor nicht zu Kopf. Als Spiegelmans Maus-Alter-Ego im Comic von aufdringlichen Journalisten und Marketingexperten bedrängt wird, schrumpft seine Figur allmählich zu einem schreienden Kleinkind, das einfach nur in Ruhe gelassen werden möchte. Mir ging es ganz ähnlich, als ich die Bücher wieder aus den Händen legte.

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