Bis dass der Tod uns scheidet

Nicht nur eine eng zusammengeschweißte Gang, sondern sogar eine Familie: Die Popkultur hat ein ganz eigenes Bild der Rockband kreiert. Ein Blick hinter den Mythos.

von Robert

Wild, sexy, gefährlich. Jahrzehntelang beherrschten sie die Top Ten der Charts. Eine Mischung aus Straßenrowdys und Musikern: die Rockband. Schlägt man den Begriff in einem Musiklexikon nach, wird er meist sehr theoretisch erklärt als Musikerformation, deren melodischer Part von Gitarre und Gesang übernommen wird, mit Bass und Schlagzeug als rhythmischem Fundament. Doch die Rockband ist mehr – wollte und sollte immer schon mehr sein. Arnim Teutoburg-Weiß von den Beatsteaks bezeichnete seine Band erst vor kurzem als „Gang“ und Billy Corgan von den Smashing Pumpkins wurde über Jahre nicht müde, vom spirituellen Mehrwert seiner Ex-Band zu sprechen. Doch was ist dieses fast schon transzendente Etwas, das die Rockband von anderen musikalischen Formationen abgrenzt? Oder handelt es sich bei dem ganzen nicht einfach um eine PR-Lüge der Musikindustrie?

In der Garage meiner Eltern

Der musikalische Mythos der meisten Rockbands beginnt in vermoderten Kellergewölben, dem zum Proberaum umgebauten Gartenhaus oder in halb verfallenen Häusern. Rockmusiker gelten gemeinhin als Amateure: Weder Jimi Hendrix noch Kurt Cobain haben das Innere einer Musikakademie je gesehen. Instrumentalvirtuosen mit Hochschulabschluss wie John Petrucci von Dream Theater sind in diesen Gefilden eher Fremdkörper. Der Rockmusiker lernt sein Handwerk in seinem natürlichen Lebensraum: auf der Straße. Cobain und Hendrix sind dabei nicht die einzigen, die die ersten Jahre ihrer Karriere noch unter prekären Umständen verbrachten. Die Parallele zum Straßenschläger ist auffällig und für das Image erwünscht. Musiker und Autor Ian Svenonius stellte bereits fest, dass der bedeutendste Unterschied zwischen einem Hells Angel und dem Mitglied einer Rockband das Musikinstrument sei. In popkulturellen Vorstellungen kann ein Rock-Gitarrist wie Slash von Guns N’ Roses, der Heroin drückt und Hotelzimmer zertrümmert, einfach keinem gutbürgerlichen Elternhaus entstammen.Wer sich Musik-Dokus wie Back and Forth über die Foo Fighters oder Some Kind of Monster über Metallica angesehen hat, dem sind endlose Diskussionen zwischen Bandmitgliedern über Spieltechnik oder Verstärkereinstellungen nicht fremd. Wie bei der Zusammenstellung eines Bouquets von Blumen gibt jedes Bandmitglied seinen individuellen, bis ins kleinste Detail durchkomponierten Beitrag zum Gesamtkonzept. Rockbands sind keine kreierten Boygroups, deren Angehörige man einfach bei Bedarf austauscht: „Es ist ja nicht so, als würden die ihre Mitglieder einfach casten, wie bei DSDS“, so Dennis Plauk, Chefredakteur der Musikfachzeitschrift Visions. Jeder Musiker wird also als individueller Teil eines einzigartigen Organismus dargestellt – ändert man eine der Komponenten, verändert man gemäß dieser Denkweise das gesamte Gebilde. Die Bandmitglieder sind aufeinander angewiesen und wachsen über die Jahre zu einem größeren Ganzen zusammen, das mehr als nur eine Arbeitsgemeinschaft ist. James Hetfield von Metallica war Trauzeuge seines Drummers Lars Ulrich; die Toten Hosen haben sich schon zu Lebzeiten ein Bandgrab gekauft. Die Beatles teilten sich in ihren Hamburger Jahren nicht nur einen Wohnraum, sondern manchmal auch die Frauen. James Iha ging so weit, seine Band, die Smashing Pumpkins, als „something like family“ zu bezeichnen. Dieses Konstrukt schließt die Fans mit ein. Die Rockband verschmilzt mit ihren Anhängern zur großen Gemeinde. Konzerte werden zu Happenings, bei denen jeder einzelne Besucher seinen Beitrag zu einem guten Abend liefern muss. Die Band ist dann nicht mehr nur ein Zusammenschluss von Musikern, sondern ein transzendentes Gebilde, das zum Leitbild wird. „Rockbands, die sich als starke Gemeinschaft präsentieren, verkörpern immer auch die Sehnsucht, irgendwo dazuzugehören“, so Birgit Fuß, Redakteurin beim Magazin Rolling Stone. „Sie leben den Traum, dass man sich ein paar Freunde zusammensucht und mit ihnen die Welt bereist, alles Mögliche erlebt, im besten Fall zusammen reich und berühmt wird – wer fände das nicht attraktiv?“

Söldner statt Bruder?

Beim Blick in die Bandbiographie von Metallica fällt jedoch auf, dass die Besetzung von Leadgitarre und Bass mehrfach gewechselt wurde. Black Sabbath tauschte Ozzy Osbourne am Mikrofon gegen Ronnie James Dio aus. Über 47 Jahre hinweg war Ian Anderson das einzige konstante Mitglied von Jethro Tull. Unbestreitbar ist der Mitgliederwechsel in Rockbands nichts Seltenes. Wie lässt sich das mit der Vorstellung der ewigen Wahlfamilie in Einklang bringen? Der Verlust eines Mitgliedes wird immer auch als eine Krise wahrgenommen oder als solche dargestellt. Während das kreative Kollektiv durch den Verlust gelähmt ist, fordern Fans und Management Präsenz: Tourpläne müssen eingehalten, neue Alben produziert werden. „Bei einer Band, die Millionenumsätze generiert, steckt letztlich auch ein knallhartes Business dahinter. Das heißt auch, dass Formen des öffentlichen Auftretens, der Äußerungen in Interviews etc. einer gewissen Leitidee unterliegen können“, so Wolf-Georg Zaddach von der Hochschule für Musik Weimar, der zum Thema Heavy und Extreme Metal in der DDR der 1980er Jahre promoviert. Das bedeutet unter anderem: Wer keine Leistung bringt, fliegt. Manch einer verträgt die Belastung des Musikerberufs nicht, andere sind nach den Jahren auf Tour nicht mehr in der Lage, ausreichend Kreativität zu mobilisieren. Die Konsequenz ist fast immer dieselbe: der Rauswurf. Doch wie verkauft man den Fans, dass der einst so kreative Bassist nun weder Energie für noch Lust auf Sex, Drugs & Rock ’n‘ Roll hat, oder dass der Drummer, der einst so unersetzlich war, auf einmal doch sehr gut ersetzt wurde? Ein Mitgliederwechsel gilt als schwieriges Unterfangen. Der Neuzugang soll musikalisch wie persönlich ins Bandgebilde passen. Glückt es, das neue Mitglied als gleichwertigen Kollegen zu etablieren, ist nicht nur die Krise überwunden –die wiedererlangte Geschlossenheit kann sogar als Vermarktungsstrategie genutzt werden. Akzeptieren die Fans den Neuen jedoch nicht oder nehmen sie diesen eher als musikalischen Söldner denn als gleichwertiges Mitglied wahr, folgt meist der Verlust von wahrgenommener Authentizität und Anerkennung. Doch sind Rockbands in dieser Hinsicht keine Retortenprodukte: Die Suche nach adäquatem Ersatz erfolgt meist im Freundes- und Bekanntenkreis der Musiker. Somit sind neue Bandkollegen in der Regel weder für Fans noch für die übrigen Mitglieder Unbekannte. Dass es auch anders geht, bewies das Beispiel Guns N’ Roses: Sänger und Frontmann Axl Rose feuerte den Rest der ursprünglichen Besetzung und wechselt seitdem in unregelmäßigen Abständen seine Begleitmusiker komplett. Die einstigen Könige des Rock mutierten in den Augen der Fans zur unglaubwürdigen Lachnummer.
„Auch wenn die Musiker häufig als beste Freunde zusammen mit dem Musizieren angefangen haben – das Bild der Familie ist ein Stück weit eine Illusion“, fasst Musikwissenschaftler Wolf-Georg Zaddach zusammen. Die Professionalisierung führt zunehmend zu Verpflichtungen, die mit romantischen Traumvorstellungen nicht im Einklang stehen. Betrachtet man die Größen der Szene, scheint diese Entwicklung meist unausweichlich: Die Rolling Stones stehen seit 50 Jahren auf der Bühne, nur um meist fernab neuer Ideen vom Ruhm der frühen Jahre zu zehren. Metallica füllen bis heute ganze Stadien, doch haben sich die einstigen Freunde im Lauf der Jahre menschlich entfremdet und nur das Geld scheint sie noch zusammen zu halten. Auch Musikjournalist Plauk sieht das Problem im Konzept der Rockband begründet: „Es ist wahrscheinlich nicht möglich, über lange Zeit in einer festen Formation auf konstant gleichem Niveau kreativ zu sein. Mir fällt zumindest kein Beispiel ein.“

Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert