„Symbolisch ist es für uns sehr wichtig“

© Małgorzata Omilanowska

Während des Zweiten Weltkriegs wurden zahllose Kunstobjekte aus Polen geraubt. Mit unique spricht die ehemalige polnische Kulturministerin Małgorzata Omilanowska über die juristischen Grenzen von Rückgabebemühungen und symbolische Kulturpolitik.

von Frank

Mit der Besatzung durch Nazi-Deutschland war ab 1939 für die Bevölkerung der überfallenen Nachbarstaaten auch die Enteignung und Plünderung ihrer Besitztümer verbunden. Zahllose Kulturgüter und Kunstgegenstände wurden sowohl aus privaten Händen wie auch aus öffentlichen Einrichtungen, aus Bibliotheken, Archiven und Museen sowie staatlichen und kirchlichen Sammlungen mitgenommen oder zerstört. Opfer dieser Beschlagnahmungen und systematischen Plünderungen waren insbesondere, aber nicht ausschließlich jüdische und als Juden verfolgte Personen; viele mussten ihre Besitztümer zurücklassen, als sie vor den Deutschen flohen oder von ihnen deportiert wurden. Das Ausmaß wird auf 600.000 Kunstwerke geschätzt, die insgesamt zwischen 1933 und 1945 von den Deutschen in Europa gestohlen wurden, davon rund die Hälfte in Osteuropa.
In Polen, das die deutsche Wehrmacht im Herbst 1939 besetzt hatte, schuf das Kulturministerium Anfang der 1990er Jahre eine eigene Stelle zur Erfassung aller geraubten Objekte. Gelistet sind rund 63.000, die überwiegend aus öffentlichen Sammlungen stammten, doch längst nicht alle davon werden noch gesucht – teilweise ist klar, dass sie im Krieg zerstört wurden.
Manche Kunstgüter befinden sich in ausländischen Museen, Antiquariaten oder ähnlichen Einrichtungen. Viele der gesuchten Objekte tauchen heute allerdings in Privatbesitz auf. Während es bei öffentlichen Einrichtungen meist möglich ist, eine Rückgabe oder zumindest einen Tausch zu arrangieren, geschieht dies bei privaten Besitzern oft nur gegen reichliche „Kompensation“, denn laut der meisten nationalen Gesetzen verjährt Kunstdiebstahl nach etwa 30 Jahren – und den heutigen Besitzern ist eine illegale Beschaffung der Objekte ohnehin kaum noch nachzuweisen. Sie finden sogar oft erst durch Internetrecherche, etwa vor einem geplanten Verkauf oder einer Versteigerung, heraus, dass es sich um Kriegsbeute handelt. Einige wenden sich dann an Museen oder Stiftungen und geben die Objekte zurück.
Bislang fanden 200 Stücke – etwa 20 Einzelwerke und 6 Sammlungen – ihren Weg zurück nach Polen, davon rund Dreiviertel aus privaten Händen, nach entsprechenden Zahlungen. Um die 9 Millionen Złoty (umgerechnet rund 2,1 Mio. Euro) wurden dafür aufgewendet; der tatsächliche Wert der Objekte wird auf rund 7 Millionen Złoty eingeschätzt. Wirtschaftlich sinnvoll ist der Prozess also nicht, hat aber einen hohen Symbolwert: Das öffentliche und mediale Interesse an den Rückgaben ist in Polen sehr groß, wie die frühere polnische Ministerin für Kultur und nationales Erbe, Frau Prof. Dr. Małgorzata Omilanowska, uns im Interview erklärt. Wir sprachen mit der Historikerin auch über die früheren Besitzer der Kunstwerke:

unique: Frau Professor Omilanowska, ein Großteil der vermissten rund 63.000 polnischen Kunstobjekte war Teil von privaten Sammlungen. Gibt es auch Zahlen zur Verteilung der Betroffenen bezüglich Juden und Nichtjuden?
Omilanowska: Das ist eine interessante Frage, aber sehr schwierig zu beantworten. Denn im Vorkriegs-Polen war diese Unterteilung der Gesellschaft nach Juden und Nichtjuden nicht so bedeutsam, wie man heute denkt. Und während des Krieges betraf der Kunstraub die gesamte polnische Gesellschaft, unabhängig von Religionszugehörigkeiten. Ich bin auch nicht bereit, die damalige Gesellschaft so zu unterteilen, denn welche Kriterien sollte ich dabei nutzen? Die Nazi-Kriterien, wer Jude war und wer nicht? Viele polnische Intellektuelle in den 1930er Jahren hatten eine jüdische Religionszugehörigkeit, haben sich aber selbst nicht als Juden gesehen. Ins Ghetto mussten sie dann trotzdem – weil beispielsweise ihre Großmutter Jüdin gewesen war.

Wer waren während Ihrer Zeit als Ministerin Ihre Hauptansprechpartner bei den Verhandlungen mit Deutschland? Lief das auf der Ebene der Minister ab?
Nein, solche Gespräche führen Beamte in den Ministerien. In Polen spielen hauptsächlich zwei Ministerien eine Rolle: das Kultur- und das Außenministerium. Das Kulturministerium hat eine spezielle Abteilung, die sich mit dem Sammeln von Informationen und Dokumenten befasst, ist also verantwortlich für die Vorbereitung des Rückgabeprozesses, steht im Kontakt mit Juristen, Kunsthistorikern und anderen Experten. Das Außenministerium ist dann für das Verhandeln zuständig. Durch die Kooperation zwischen diesen beiden Ministerien ergibt sich das Endresultat. Natürlich ist es wichtig, den politisch passenden Moment zu wählen, um Rückgaben zu organisieren. Denn die Politiker wollen immer positive Nebeneffekte dieser Geste, verknüpft mit einem anderen Thema. Deswegen bedarf es immer eines perfekten Timings: Die Rückgabe wird dann beispielsweise mit einem wichtigen politischen Treffen – etwa der Außenminister beider Länder – verbunden.

Sie sind also auf die Zusammenarbeit mit anderen Staaten und deren Institutionen angewiesen. Gibt es auch eine Kooperation mit Russland?
Seit der Putin-Ära gibt es da keine Zusammenarbeit mehr. In den 90er Jahren, unter Gorbatschow und Jelzin, gab es noch Versuche: Zwei Rückgaben an Polen fanden in dieser Zeit statt; es gab auch mehrere weitere Versuche und zumindest Gespräche – inzwischen ist das nicht mehr so.

Gab es denn Interessengruppen oder Institutionen in Deutschland, die Ihre Arbeit eher behindert haben?
Nein, absolut nicht. Wir müssen zwei Dinge unterscheiden: private Personen und Repräsentanten von öffentlichen Einrichtungen. Wenn es um öffentliche Sammlungen geht, hatten wir nie große Probleme. Anders ist die Situation natürlich, wenn wir über private Personen sprechen. Es gibt immer mal wieder jemanden, der aus Schuldgefühl selbst die Rückgabe wünscht, weil er sich dazu moralisch verpflichtet fühlt. Aber es gibt eben auch heutige Besitzer, die hart um jeden Euro kämpfen.

Ein juristisches „Anspruchsrecht“ auf eine Rückgabe lässt sich ja nur schwer geltend machen…
Ja. Wenn sich ein Objekt in einer öffentlichen Sammlung befindet, dann ist es eine politische Frage, ob es zurückkommt oder nicht. Aber wenn wir über Besitz in privaten Händen sprechen, ist es eine rechtliche Frage. Jedes Land hat Regelungen, wie Verbrechen nach einer bestimmten Zeit verjähren; bei Diebstahl sind das maximal 20 bis 30 Jahre. Das betreffende polnische Gesetz zählt 20 Jahre ab 1989, aber auch die sind schon abgelaufen. Wenn also heutzutage jemand rechtliche Ansprüche erheben will, kommt er zu spät.

Wie werden die Rückgaben der vermissten Objekte von der polnischen Öffentlichkeit aufgenommen?
Das ist immer ein besonderes Medien-Event und die Menschen reagieren sehr erfreut – auch wenn sie wissen, dass einige der Kunstwerke nicht besonders viel wert sind. Aber sie sagen: Symbolisch ist es für uns sehr wichtig, dass so viele Jahre nach dem Krieg noch unsere Kulturwerke zurückkommen.

Noch ein Ausblick: Wie sehen Sie die Zukunft für die Rückführungsbemühungen?
Ich erwarte nichts Spektakuläres in diesem Bereich. Ab und zu werden Werke auf dem Auktions- und Kunstmarkt auftauchen. Einerseits ist es so, dass die heutige, dritte Generation von Besitzern nicht mehr weiß, woher die Objekte stammen und sie nun verkaufen wollen. Andererseits werden gut zugängliche Informationsquellen über den Kunstraub im Internet auch dazu führen, dass die aktuellen Besitzer selbst nachforschen, ob es Beutekunst ist oder nicht, bevor sie zu einem Aktionshaus gehen. Dann werden sie gegebenenfalls versuchen, es z.B. in einem Antiquariat zu veräußern, das keine Auktionen oder Angebote im Internet hat. Es ist ein Fehler, zu glauben, diese Objekte hätten einen unglaublich großen materiellen Wert. Die Masse der vermissten Werke sind nicht von großen bekannten Künstlern. Man wird also damit nicht zu Sotheby’s oder ähnlich großen Auktionshäusern gehen – man kann das bei einem Antiquariat in jeder mittelgroßen europäischen Stadt verkaufen. Dann tauchen die Werke gar nicht erst im Internet auf, wo wir sie vielleicht entdecken würden.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Gespräch führte Frank.

Prof. Dr. Małgorzata Omilanowska
Die Historikerin war ab 2012 Staatssekretärin im polnischen Kulturministerium und danach von 2014 bis 2015 Ministerin für „Kultur und nationales Erbe“ in Polen. Sie erklärt im unique-Interview ihre Bemühungen um die Rückführung geraubter Kunstobjekte nach Polen.


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