Ganz normale Superstars

Wer sind unsere Vorbilder? Für die meisten deutschen Jugendlichen sind es noch immer die eigenen Eltern. Im Buch Mama Superstar portraitieren elf Frauen die Migrationsgeschichte ihrer beeindruckenden Mütter. Es geht dabei nicht nur um Vielfältigkeit und Verständnis, sondern auch darum, zu zeigen, wie alltäglich und mutig die Geschichten von Frauen mit Flucht- oder Auswanderungserfahrung eigentlich sind. 

von Ladyna

Wer hat sich als Kind oder Teenager nicht auch schon mal Eltern gewünscht, die weniger peinlich, weniger spießig oder einfach ganz normal wären? Nur um dann später, nachdem man in die Welt ausgezogen war und Sicherheit und Luxus des Lebens mit den Eltern hinter sich gelassen hatte, viele Dinge zu vermissen? So ähnlich ging es auch Melisa Manrique und Manik Chander. „Als Kinder haben wir uns ‚normale‘ statt migrantische Eltern gewünscht“, schreiben die beiden. „Eltern, die weniger auffallen, die bei den Hausaufgaben helfen können oder die Spaghetti statt Ceviche kochen. Wir wollten einfach dazugehören und das Geschenk zweier Kulturen konnten wir nur schwer wertschätzen.“ Doch auch sie haben mit der Zeit eine ganz neue Sichtweise auf ihre eigenen Mütter gewonnen, vor allem, als sie selbst ein Auslandssemester in Mumbay absolvierten, bei dem sie sich kennenlernten. „Mit Mitte zwanzig, durch die Erfahrung des langsamen Erwachsenwerdens und durch die Eindrücke des Lebens in einem fremden Land haben wir viel über unsere eigenen Mütter nachgedacht, die beide in ein anderes Land migriert sind und sich dort ein völlig neues Leben aufgebaut haben“, erzählt Manik, deren Mutter Dally mit 24 Jahren nach Deutschland kam. Sie wollte hier mit ihrem Ehemann, den ihre Familie für sie ausgesucht hatte, ein neues Leben beginnen. „Da haben wir gedacht: Krass, was diese Frauen geleistet haben! Als Kinder waren wir dafür blind und oft undankbar.“ So entstand das Buch mit dem Titel „Mama Superstar“, in dem elf Töchter die Migrationsbiographien ihrer eigenen Mütter erzählen.

Was macht die Lebensgeschichten dieser elf ausgewählten Mütter so besonders? Weil sie eben nicht die klassischen Überflieger darstellen. Diese Mamas sind gerade deshalb beeindruckend, weil sie mehrere Leben in einem gelebt und sich graduell von konventionellen Rollenbildern gelöst haben. Weil sie trotz der sehr beschränkten Möglichkeiten, die sie hatten, nicht verzweifelt sind. „Erfolgsgeschichten bergen die Gefahr, dass man an Supermenschen denkt. Wir wollen aber zeigen, dass diese Mütter Superstars sind, gerade weil sie alltägliche Menschen sind, die aufgrund ihrer Migrationserfahrung immer die extra Meile zurücklegen mussten, um auf das Niveau zu kommen, auf dem andere schon waren. Ich glaube Durchschnittsmigrantinnen werden so selten gezeigt, dass wir ihr Leben für Erfolgsgeschichten halten.“ Es gibt zahlreiche Frauen, die eben keinen besonders stringenten Lebensweg hinter sich haben. Beispielsweise erzählt die Tochter von Mama Hareg aus Äthiopien auch von deren zerplatzten Träumen. Eigentlich wollte die Mutter in der Sowjetunion Medizin studieren, kam dann aber nach Deutschland, hatte dort keinen Zugang zu Deutschkursen, musste als Putzfrau und Aushilfe arbeiten, lebte lange von Hartz IV, bevor sie sich entschied, Altenpflegerin zu werden. „Das war für sie keine Erfolgsgeschichte. Das waren die wenigen Optionen, die sie hatte und sie hat sich durchgekämpft.“ Manik hält es für gefährlich, wenn diese Frauen als herausragende Beispiele missverstanden werden. Sie sollen eben nicht als positive Ausnahmen abgestempelt werden. „Es geht darum zu zeigen, wie alltäglich die Geschichten, die wir erzählen, eigentlich sind. Wir wollen klar machen, dass es viele solcher Frauen mit Migrationserfahrung gibt, die es geschafft haben, auch wenn sie vielleicht erst mit fünfzig in Deutschland im Beruf Fuß fassen konnten. Das ist wichtig, um von den Standarderfolgsgeschichten los zu kommen, die den Durchschnittsmenschen sonst demotivieren. Wir brauchen realistische Vorbilder.“

Dies verkörpert auch Maniks eigene Mutter, die vor allem aus Pflichtbewusstsein nach Deutschland kam. Als ihre Heimatregion Punjab in den 80er-Jahren durch Bürgerkrieg und Instabilität geprägt war, sah sie ihre Heirat mit einem bereits in Deutschland lebenden Inder vor allem als Möglichkeit, ihrer Familie zu helfen. Als traditionell erzogene indische Tochter willigte sie ein, ihren Ehemann zu heiraten, ohne diesen vorher zu kennen. Sie vertraute ihren Eltern. „Frauen gibt es in Indien nur in Bezug zu einem Mann, als Tochter, Mutter, Tante, … . Eine Frau an sich, für sich allein, ist in dieser Gesellschaft unverständlich“, erklärt Manik das indische Frauenbild. „Meine Mutter hat sich in dieser Rolle auch komplett aufgelöst. Sie hat sich immer um andere Menschen gekümmert. Es fällt ihr immer noch schwer, der Mittelpunkt ihres eigenen Lebens zu sein.“ Das schwierigste dabei war für Maniks Mutter, die sehr starke familiäre Strukturen gewohnt war, das fehlende familiäre Netzwerk in Deutschland und die daraus resultierende Einsamkeit.  Aber das neue Land und die neuen Anforderungen haben sie im Laufe der Zeit auch verändert. „Gerade am Anfang erschienen für meine Mama deutsche Frauen als unerreichbar. Da haben sicher auch Rassismus- und Diskriminierungserfahrungen eine Rolle gespielt sowie die indische Kolonialvergangenheit.  Das hat dazu geführt, dass sie viele Dinge lange Zeit auch gar nicht versucht hat. Erst später hat sie gemerkt, dass diese Barrieren vor allem in ihrem Kopf bestehen. Heute steht meine Mutter im Beruf, boxt sich durch und steht für sich ein.“  Ohne Unterstützung und trotz Schwierigkeiten beim Deutschlernen hat sie vier Kinder großgezogen, sich Herausforderungen wie dem Autofahren gestellt und schließlich den Berufseinstieg geschafft. So konnten sie und ihr Mann auch die Ausbildung von Familienmitgliedern finanzieren und ihren Erfolg weitergeben.

Trotz des persönlichen Anlasses, „Mama Superstar“ zu schreiben, haben die Autorinnen inzwischen bemerkt, dass das Thema der Mutter-Tochter-Beziehung für viele Leser wesentlich zugänglicher ist, als der Begriff Migration an sich. Mit dem Buch wollen die beiden vor allem auch anderen Kindern, die ebenfalls mit unterschiedlichen Kulturen aufwachsen, vermitteln, dass das Gefühl des Andersseins eine Bereicherung sein kann und Frauen aufzeigen, die ihren eigenen Müttern ähneln, um ihnen deren Perspektive näher zu bringen.  „In unserem Buch wollen wir sowohl Mütter mit Migrationserfahrung feiern als auch deren Kinder ermutigen, stolz auf ihre migrantischen Wurzeln zu sein.“ Denn auch diese müssen immer wieder ihre eigene Rolle in der Gesellschaft finden und sind oft ganz besonderen Schwierigkeiten ausgesetzt. Die Zukunftsvision der beiden Autorinnen ist es, eine europaweite Bewegung auszulösen. „Wir bauen eine Community auf, damit sich Migranten-Mamas und ihre Kinder treffen und sich austauschen können. Es hilft den Frauen, sich mit anderen zu vernetzen, denen man die eigene Geschichte nicht erklären muss.“ Es geht ihnen dabei vor allem darum, Migration immer mehr als Teil der Realität jedes Bürgers, statt als Extrem, zu sehen.

Dabei haben sie das Bedürfnis nach einer optimistisch-persönlichen Perspektive auf das Thema Zuwanderung geweckt und wurden dafür unter anderem mit dem „Deutschen Integrationspreis“ der gemeinnützigen Hertie-Stiftung ausgezeichnet. Das Buch wirkt insbesondere durch seine stilvollen Abbildungen, die direkten Botschaften und die Rezepte, die passend zu jeder biographischen Geschichte angefügt sind, zugänglich, jung und persönlich. Aufgrund des großen Erfolges wird ein zweites Buch erscheinen, „Mama Superstar Community Edition“, in dem 100 weitere persönliche Geschichten über Migration erzählt werden. Trotzdem hat das Konzept auch seine Grenzen und wird primär jene ansprechen, die Flucht und Einwanderung bereits positiv gegenüberstehen. Das ist auch den Autorinnen klar: „Das negative Bild von Migration ist oft sehr stark mit Männern verknüpft, nicht mit Müttern. Mit unserem Buch können wir wohl leider keine Rassisten überzeugen.“

Buchempfehlung:

Melisa Manrique, Manik Chander:
Mama Superstar
Hardcover, Mentor Verlag Berlin 2019
150 Seiten
24,90 Euro


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Kommentare

3 Antworten zu „Ganz normale Superstars“

  1. Avatar von Nina Ruhn
    Nina Ruhn

    Naja bei „vernünftigen“ Eltern ist es auch das Beste wenn man sich so den ein oder anderen Star heut zu Tage anschaut sicher keine Vorbilder.

  2. Avatar von Norman Greuler

    Für mich waren es damals die Eltern … wenn man heute die Jungen hört sind es diese ganzen Rapper mit ihrem schnellen Autos und Geld etc. Man kann nur hoffen, dass sich hier das bild und denken nochmal ändert.

    Achja… wie sagt man doch so schön ? früher war alles besser 😀

  3. Avatar von Agnes K.
    Agnes K.

    Umso älter man wird umso mehr weiss man doch wie recht doch die Eltern hatte aber schon lustig wenn man so die Jüngeren heute hört sieht man sich irgendwo selber.

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