Veranstaltungsrückblick: Europas Außen- und Sicherheitspolitik in den Zeiten von Donald Trump

(Foto: Roman Gherman)

In Erfurt diskutierten am Donnerstag mehr als 80 Interessierte auf Einladung der Friedrich-Ebert-Stiftung über Fragen der Welt- und Europapolitik.

von Jacky

Der Spiegel skizziert ihn als Tsunami, der alles überrollt, diverse Zeitungen legen eine neue Frühschicht ein, um auf seine morgendlichen Tweets zu reagieren. Die Politik schaut mal beängstigt, mal satirisch bis protestierend nach Amerika – Donald Trump ist auch nach einem Jahr Amtszeit noch ein Phänomen, das einerseits Skepsis auslöst, während es andererseits einen Wegbereiter für neue Ideen darstellt.
Die Brisanz des Themas wurde am Donnerstagabend von der Friedrich-Ebert-Stiftung zum Anlass genommen, die ehemalige französische Verteidigungsministerin, den Thüringer EU-Abgeordneten der SPD und den Vizepräsidenten des deutschen Marshall-Funds in das Haus Dacheröden in Erfurt zu einer offenen Debatte über die Außen- und Sicherheitspolitik in Zeiten von Donald Trump einzuladen. Und so trafen mit Sylvie Goulard, Jakob von Weizsäcker und Thomas Kleine-Brockhoff drei Charaktere zusammen, deren unterschiedliche Sichtweisen auf Europa und Amerika zu einer interessanten und lehrreichen Diskussion verwuchsen.
Mit einem einleitenden Kurzvortrag positioniert sich Frau Goulard als proeuropäische Visionärin: Vier zentrale Herausforderungen seien die Grundlage, auf die Europas Außenpolitik in diesen heiklen Zeiten aufbauen solle, erklärt Goulard in perfektem Deutsch. Höchste Priorität sei die Stärkung der europäischen Verteidigung; an zweiter Stelle stünde die aktive Förderung von Forschung und Innovation der hier klar von der USA und China abgehängten EU. Weiterhin sollen durch offene Grenzen wirtschaftliche Beziehungen zu eben jenen gefestigt werden und, das proeuropäische Bild abrundend, während dieser Maßnahmen stetig die europäischen Werte im Fokus stehen. Nach Goulards Ansicht – die explizit darauf hinweist, dass sie nicht im Namen ihres ehemaligen Chefs Macron und der französischen Regierung spricht – ist man noch zu stark abhängig von den USA. Aus diesem Grund unterstützt sie den Vorschlag einer europäisch gebündelten Verteidigung, womit sie ein Kernelement aus Macrons Sorbonne-Rede aufgreift und auf großen Widerspruch bei Kleine-Brockhoff und von Weizsäcker trifft.
Auch die NATO müsse im Zentrum von Europas Zukunftsplanung stehen, schließlich sei es unmöglich, die Abhängigkeit der EU vom supranationalen Verteidigungsbündnis zeitnah zu reduzieren, setzt Kleine-Brockhoff, Vizepräsident des deutschen Marshall-Funds, der Argumentation Goulards entgegen. Man sei auf die Sicherheitsgarantie der NATO angewiesen, da für eine EU-Verteidigung noch zu viele Souveränitätsfragen im Raum stünden. Anstatt Maßnahmen zugunsten eines europäischen Autonomiestrebens einzuleiten sei es somit viel wichtiger, Amerika an Europa zu binden. Seine Sichtweise ist von einer USA-Affinität gezeichnet, die bereits der Werdegang des ehemaligen Washington-Korrespondenten der Zeit und heutigem Marshall-Funds-Vize andeutet.

Fähigkeiten bündeln, Kosten senken
Jakob von Weizsäcker geht ebenfalls nicht gänzlich d’accord mit Goulards Euphorie über die Vision einer europäischen Verteidigung. Planungsseitig betrachtet sieht er darin bestenfalls Zukunftsmusik und ergänzt Kleine-Brockhoffs Bedenken noch um den Einwand, ein europäisches Militärbündnis könne eine unkoordinierte und ineffiziente Aufrüstung nach sich ziehen. Auf lange Sicht befürworte er allerdings eine im Voraus detailliert geplante Bündelung der Fähigkeiten der EU-Staaten, die ihre militärischen Kosten durch hohe Stückzahlen von beispielsweise Kampfjets erheblich senken könnten. Wie seine Vorredner sieht er Trump als „höllisches Problem“ an, verweist aber darauf, dass dieser nicht mit Amerika gleichzusetzen sei. Der Präsident sei vielmehr eine Bewährungsprobe der Vereinigten Staaten, die diese bislang besser meisterten als etwa das europäische Polen unter der Partei PiS.
Dass Amerika nicht zu diabolisieren sei, ist auch die Auffassung Kleine-Brockhoffs. Hierbei verweist er auf eine Fülle an NGOs als einen unter vielen möglichen Kooperationspartnern für politische Projekte, die nicht nur über den Präsidenten laufen müssten. Beispielsweise sei der O-Ton der Klimakonferenz in Bonn gewesen, dass die USA sich – trotz des von Trump veranlassten Ausstiegs aus dem Pariser Klimaabkommen – in der Lage sieht, die darin vereinbarten Verpflichtungen auch ohne die Rückendeckung des Präsidenten einzuhalten. Somit fordere er eine nuancenreichere und weniger präsidentenfokussierte Politik gegenüber den USA.
Die Diskutierenden stimmen überein, dass die Zusammenarbeit Deutschlands und Frankreichs eine wichtige Säule bei der Stärkung der EU und der Planung der Außenpolitik gegenüber den trumpregierten Vereinigten Staaten sei. „Was wir in Europa kreiert haben ist wertvoll, aber auch zerbrechlich“, resümiert die ehemalige Verteidigungsministerin ausdrucksstark den Status quo der EU. Es ist ihr Aufruf zur Findung frischer politischer Lösungen, die der Werte- und Handelsunion Europa unter heutigen Umständen neue Stabilität geben sollen.
Schlussendlich zeigte die Veranstaltung eine lebhafte und interessante Debatte zur europäischen Außen- und Sicherheitspolitik in Zeiten Trumps, die allerdings einen sehr starken Fokus auf ein mögliches europäisches Verteidigungsbündnis und die Stellung der NATO aufwies. Den Zuhörern wurde sehr deutlich vor Augen geführt, dass die Europäische Union ein reaktives Konstrukt mit diversen Interessenkonflikten, aber auch einem gemeinsamen Ziel ist, das sich ständig veränderten Umständen – wie einer amerikanischen Regierung unter Trump – anpassen muss, um seine Stabilität zu wahren.


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