„On repeat“

Wer bin ich als Individuum? Wer bin ich als Gattung Mensch? Diese Fragen verhandelt „On repeat“ mit theatralen und tänzerischen Mitteln auf der Bühne des Theaterhaus Jena. Am 22. April feierte die Stückentwicklung Premiere. Ein Interview mit der Regisseurin Zarah Bracht.


In „On repeat“ erforscht die niederländische Regisseurin Zarah Bracht mit dem Jenaer Ensemble, was passiert, wenn der Mensch als Gattung auf die Bühne tritt. Anhand von Körperbewegungen möchte das Ensemble die Verbindung der Begriffe Erinnerung, Geschichte, Wiederholung und Veränderung ausloten. „In dieser BBTT, body based theatrical therapy, übt Mensch sich in Geduld von historischer Proportion und in der trägen Kunst, längst vergangene Erfahrungen neu zu durchlaufen, die Perspektive zu verschieben und Muster zu ändern“, heißt es auf der Website des Theaterhauses. Unsere unique-Redakteurin hat zu Beginn der Probenphase im März mit der Regisseurin von „On repeat“ über ihre Inszenierung gesprochen und darüber, warum das Theater zugleich ein Safe-Space und ein Raum des Unbehagens ist.

unique: Schön, dass es trotz des Probenstresses bei dir geklappt hat. Vielleicht kannst du am Anfang erst mal erzählen, was die Idee des Stücks ist.

Regisseurin Zarah Bracht: Es ist eine Stückentwicklung. Das heißt, wir erarbeiten das Konzept und das, was genau auf der Bühne passieren wird, zusammen mit dem Ensemble. Wir wollen eine Art theatrales Experiment auf die Bühne bringen, in dem wir die Menschheitsgeschichte
untersuchen und in dieser graben – wie dieses archäologische oder auch anthropologische Suchen nach den Fragen: ‚Wo kommen wir her? Wer sind wir als Spezies?‘ Dies wollen wir verschneiden und übereinander legen mit Formen der Selbstreflexion, wo Menschen auf individueller Ebene graben, auf der Suche sind, sich Fragen stellen wie ‚Wer bin ich? Wo komme ich her? Wie sind meine Muster so entstanden, wie sie sind?‘ Wir untersuchen also, wie es wäre wenn der Mensch als Spezies in Therapie gehen würde. Weil ich glaube, dass sich in unserer eurozentristischen westlichen Welt gerade viele Krisen aufstapeln und wir daran aktuell verzweifeln. Es scheint eine Art destruktives Potenzial zu geben in unserem schieren Sein und Fortbestehen und unserem Drang nach Fortschritt. Mit der Idee, dass der Mensch als Figur auf die Bühne tritt, wollen wir spielen und ausprobieren.

Der Begriff der Erinnerung hat also für deine Arbeit eine große Bedeutung?

Ja, auf der individuellen Ebene: In der Selbstbespiegelung beim Individuum geht es um Erinnerung. Darum, wie man sich an etwas erinnert. Auf der gesellschaftlichen Ebene wäre das Pendant dann die Geschichte. Interessant ist es deshalb für uns in der Stückentwicklung zu hinterfragen, ob die Geschichte wirklich das ist, was passiert ist oder vor allem einfach das, was bestimmte Menschen in einer bestimmten Zeit aufgeschrieben haben?
Wir haben beispielsweise angefangen, uns mit der Prähistorie zu beschäftigen, der Zeit vor der Zivilisation. Diese Zeit eignet sich extrem gut: Das Wissen über diese Zeit ist sehr, sehr dünn, aber die Erzählungen und die Phantasien der Menschen darüber, wie unsere Vorfahren damals gelebt haben, hatten einen unglaublichen Effekt. Seit der Aufklärung wird der Urmensch als Argument für den ‚natürlichen Zustand‘ von Menschen und auch als Rechtfertigung für Diskriminierung und für die Geschlechterordnung benutzt. Die Antworten auf Fragen wie ‚Warum ist der Mensch gewalttätig in seiner Natur?‘ werden oft zurückgeführt auf ‚wilde‘ Theorien über die Prähistorie. Dabei kommt die Forschung der letzten Jahre zu ganz anderen Erkenntnissen über diese Zeit: Die Menschen waren beispielsweise viel friedlicher als wir immer denken. Sammeln hat einen viel größeren Raum eingenommen als Jagen, Männer und Frauen waren gleichberechtigt an der Jagd beteiligt und kranke und behinderte Menschen wurden gepflegt und versorgt.

Bewegung spielt in deiner Inszenierung eine große Rolle. Welche genau? Wird nur getanzt? Es sind ja auch keine professionellenTänzer*innen auf der Bühne aktiv…

Das ist lustig, weil es in den Niederlanden gar nicht so eine starke Spartentrennung zwischen Tanz und Sprechtheater gibt wie in Deutschland, sondern viel mehr interdisziplinäre Formen von Theater. Ich würde, was wir machen, nicht unbedingt Tanz nennen, sondern eher Körperschauspiel. Wir arbeiten viel mit Bildern und zeigen, dass man eine Geschichte auch hauptsächlich über Bild und Bewegung erzählen kann anstatt immer nur über Text. Text ist ein sehr dominantes Element im Theater, weil wir grundsätzlich sehr geneigt sind, uns am Text festzuklammern und denken: ‚Ah, wenn ich den Text verstehe, dann verstehe ich das Stück, im Text ist die Bedeutung des Abends zu finden.‘ In diesem Fall ist das Publikum aber nur im Kopf aktiv und das finde ich schade, weil das Theater auch ein
Raum ist, in dem man frei assoziieren und fühlen kann. Das Theater ist ein Raum, in dem wir mit echten Menschen zusammenkommen, die etwas für uns machen. In dem wir einfach für eine Zeit im Dunkeln sitzen, unser ganzes Internet ausstellen und uns mit etwas auseinandersetzen. Ein Raum, in dem man auch mal nichts wissen kann – diesen Raum möchte ich als Künstlerin schützen.

In der Stückbeschreibung fällt unteranderem der Begriff „body based theatrical therapy“. Was meint der Begriff genau?

Das ist tatsächlich ein Phanatsiebegriff von unserer Dramaturgin. Ich fand das ganz lustig und passend: Theater ist Ausprobieren. So tun als ob, eine Rolle annehmen, die man im echten Leben nicht ist oder auch nicht sein will und das alles über den Körper. Darüber kann Selbstreflexion stattfinden und sowas wie Heilung erfahren werden. Das ist nicht esoterisch gemeint. Ich beobachte, dass wir in unserer Gesellschaft so eine Neigung haben, extrem verkopft zu sein. Aber es gibt auch viel Wissen, was nicht nur rational über den Verstand zugänglich ist. Natürlich muss man da vorsichtig sein. Ich möchte den Intellekt nicht wegschmeißen. Mir geht es eher um eine Art Öffnung; zu schauen, okay, was ist eigentlich noch mehr da, was passiert, wenn auch mein Körper ein bisschen angesprochen wird. Es hat, glaube ich, viel damit zu tun, wie ich das Publikum erreichen will. Ich möchte das Publikum mehr im Bauch erreichen und nicht nur im Kopf. In der Vorstellung sitzt das Publikum im Dunkeln auf Stühlen, sodass wir es nicht körperlich aktivieren können. Das muss passieren über die Reflexionen oder die Spiegelung über die Figuren auf der Bühne. Deswegen neige ich vielleicht auch so zum Körperausdruck oder zu Tanzbewegungen.

Also auch so eine Art Vieldeutigkeit.

Genau, ich finde das es ganz, ganz wichtig, dass Menschen im Publikum auf ihre eigene
Interpretationsfähigkeit angesprochen werden. Nicht jede*r muss dasselbe aus dem Abend mitnehmen. Besonders mag ich die Verschneidung von der abstrakten gesellschaftlichen und persönlichen individuellen Ebene. Wenn große politische Themen angefühlt werden, aber gleichzeitig eine Person im Publikum erfährt, in dem Stück der eigenen Mutter oder Arbeitsplatz begegnet zu sein. Das gefällt mir.

Du arbeitest und wohnst eigentlich in den Niederlanden. Wie bist du ans Theaterhaus Jena gekommen?

Die künstlerische Leitung des Theaterhaus, Lizzy Timmers und Maarten von Otterdijk, kommt ja auch aus den Niederlanden. Die beiden haben die künstlerische Leitung nach dem niederländischen Kollektiv Wunderbaum übernommen und aktuell wird ein neues Kollektiv für die Leitung gesucht. Hergekommen bin ich über Mitglieder des Ensembles, die aus den Niederlanden kommen und mich kannten, dann haben wir Gespräche geführt und beschlossen, dass wir zusammenarbeiten wollen.

Vielen Dank für das Gespräch, Zarah!

Das Interview führte Eva Haußen.


Zarah Bracht (1990, Hamburg), ist freischaffende Regisseurin von Stückentwicklungen in den Niederlanden. Inspiriert von niederländischer Mime und flämischem Tanztheater entwickelte sie dort ihre Regiehandschrift, die auf Bild und Bewegung basiert.


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