Kolumne: Queen‘s English

Über die sprachpflegerischen Aufgaben von Elisabeth II. schreibt Thomas Honegger, Professor für Anglistische Mediävistik an der FSU Jena.

Frankreich besitzt die altehrwürdige Académie française (gegründet 1635), die sich der Vereinheitlichung, Pflege und im 20. und 21. Jahrhundert auch immer mehr der Verteidigung der französischen Sprache gegen den zunehmenden Einfluss des Englischen verschrieben hat. England hingegen hat keine English Academy – dafür hat es die Queen. Seit über sechzig Jahren ist Elisabeth II. Garant für eine übergeordnete politisch-dynastische Kontinuität. Was viele jedoch nicht wissen: Inoffiziell gilt sie für viele Briten auch in Sachen Sprache als oberste Instanz, was in der Bezeichnung Queen’s English zum Ausdruck kommt. Das Fehlen einer zentralen Autorität für die englische Sprache hat der Monarchin ungewollt eine ‚sprachpflegerische’ Aufgabe verschafft. Dabei fehlt es in der über tausendjährigen Geschichte des Englischen nicht an Versuchen, einen mehr oder weniger verbindlichen Standard zu etablieren. Als erster ‚englischer Standard’ wird meist die Schriftsprache der königlichen Kanzlei in Winchester im 10. und 11. Jahrhundert angesehen. Eine organische Weiterentwicklung dieses altenglischen Standards wurde durch die normannische Eroberung Englands – und die damit verbundene Einführung des Französischen als Amts- und Verwaltungssprache – gestoppt.
Die schrittweise Rückeroberung der verloren gegangenen ‚Sprachsouveränität’ im 14. und 15. Jahrhundert stellte die Vertreter des Englischen dann vor die Frage, welcher der fünf Hauptdialekte nun als ‚neuer Standard’ gewählt werden sollte. Denn mit dem Buchdruck konnte man auch nicht mehr wie zuvor per Hand den Text beim Abschreiben einfach anpassen. Der Buchdrucker und Verleger William Caxton, der ab 1476 als ökonomisch denkender ‚Unternehmer’ seine Bücher einem möglichst breiten Publikum verkaufen wollte, monierte das Fehlen eines allgemein verständlichen Standards. Er illustrierte das Problem mit Hilfe einer kleinen Anekdote: Ein Kaufmann aus Sheffield (und somit Sprecher eines nördlichen Dialekts) will im Süden von England Eier kaufen – und fragt nach ‚eggs’. Die Bäuerin kann mit dem nordenglischen Wort jedoch nichts anfangen, denn in ihrem Dialekt heißen die Eier ‚eyeren’. Um keinen sprachlichen Eiertanz aufzuführen, orientiert sich Caxton schließlich an der in der königlichen Kanzlei in Westminster verwendeten Variante des London-Dialekts, der selbst eine Mischung aus unterschiedlichen Einflüssen ist und durch seine Mittelstellung innerhalb der englischen Dialekte eine größtmögliche Verständlichkeit garantierte. Damit begann der Aufstieg des London-Standards zur privilegierten Variante, auch wenn es weder damals noch heute einen offiziellen, verbindlichen Standard gab bzw. gibt.
Was sich in den Jahrhunderten nach Caxton in oftmals erbitterten Auseinandersetzungen der Grammatiker und Lexikographen etablierte, war eine Varietät, die sich am Sprachgebrauch der kanonischen Autoren sowie der gebildeten Elite orientierte. Sie zeichnet sich nicht nur durch ‚grammatikalische Korrektheit’ aus (z.B. Vermeidung der doppelten Negation – ‚there ain’t no food’) und Beachtung der numerischen Konkordanz (‚they was scared’) sondern insbesondere auch durch die RP-Aussprache (‚Received Pronuciation’). Letztere war lange Zeit das Markenzeichen der gesellschaftlichen Elite und wie George Bernard Shaws Pygmalion (verfilmt als My Fair Lady) zeigt: Man kann ein Cockney-Blumenmädchen in noch so schöne Kleider stecken, sobald sie ihren Mund aufmacht und spricht, verrät sie ihre ‚working class’-Herkunft. Um sie als echte Dame präsentieren zu können, muss sie deshalb das Englisch der Oberschicht erlernen – und vor allem die damit einhergehende Aussprache.
Es gehört zur englischen Kultur, dass sie über Jahrhunderte durch ein starkes Klassendenken geprägt wurde. Dieses Erbe wirkt immer noch nach und es gilt weiterhin: „Speak the Queen’s English if you want to sound intelligent and be trusted“, so die Überschrift eines Artikels aus The Telegraph vom 26. September 2013 – während wir wohl vergeblich auf den Tag warten, an dem eine deutsche Zeitung titeln wird: ‚Sprechen Sie Kanzlerinnendeutsch, wenn Sie intelligent und vertrauenswürdig klingen wollen!’

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