Der Künstler im Krieg

Franz Marc 1914 (© Franz Marc Museum, Kochel a. See)
Franz Marc 1914 (© Franz Marc Museum, Kochel a. See)

Wie viele Kulturschaffende seiner Zeit kämpfte auch der Maler Franz Marc im Ersten Weltkrieg. An seinen 100. Todestag im März erinnern zwei Bücher, die im Sieveking-Verlag erschienen sind.

von Frank

„…ja, dieses Jahr werde ich auch zurückkommen in meiner unversehrtes liebes Heim, zu dir und meiner Arbeit. Zwischen den grenzenlosen schauervollen Bildern der Zerstörung, zwischen denen ich jetzt lebe, hat dieser Heimkehrgedanke einen Glorienschein, der gar nicht lieblich genug zu beschreiben ist.“ – diese sehnsuchtsvollen Zeilen schrieb Franz Marc in einen seiner Briefe aus dem Felde am 4. März 1916 an seine Frau Maria. Es sollte sein letzter Brief sein; am Nachmittag des gleichen Tages wurde der deutsche Leutnant bei einem Erkundungsritt durch einen Granatsplitter getötet. Marc, zu diesem Zeitpunkt 36 Jahre alt, war als Melde-Reiter an der Westfront stationiert, nur etwa 20 Kilometer östlich von Verdun, dem Hauptkriegsschauplatz des Jahres 1916. Als „ermüdet und sichtlich abgemagert“ erinnert sich sein Freund und Künstlerkollege Paul Klee im Herbst 1915 in seinem Tagebuch an eine Begegnung mit Marc bei dessen letztem Heimaturlaub. Ein Jahr zuvor war bereits in den ersten Kriegswochen August Macke, ehemals ebenfalls an den Ausstellungen des „Blauen Reiters“ beteiligt, an der Westfront gefallen. Wie viele andere Kulturschaffende der damaligen Zeit zogen Macke und Marc in diesen Großen Krieg und kehrten nicht zurück.

Der Maler „zwischen Utopie und Apokalypse“
Marcs Todestag nahm der Sieveking-Verlag zum Anlass gleich zweier Veröffentlichungen, die sich dem Leben und Werk des bedeutenden Expressionisten widmen. Eine gut 30-seitige, reich bebilderte Biographie Franz Marcs, die Stationen seines Lebens und Schaffens sowie zahlreiche Auszüge aus Briefen, Tagebucheinträgen und Faksimiles enthält, bildet den Einstieg in den Sammelband Franz Marc – Zwischen Utopie und Apokalypse. Das Buch stellt drei Hauptwerke Marcs in den Fokus: Weidende Pferde IV (auch bekannt als Die roten Pferde) von 1911, das als eines seiner populärsten Werke heute oft stellvertretend für Marcs Gesamtwerk steht, Das arme Land Tirol (1913) sowie Kämpfende Formen von 1914.
Geboren 1880 als zweiter Sohn des katholischen Kunstmalers Wilhelm Marc und der französisch-calvinistisch geprägten Sophie (geb. Maurice), wollte Franz zwar zunächst Priester werden – im Herbst 1900 schreibt er sich jedoch an der Königlichen Akademie der bildenden Künste in München ein.
Er suchte sich seine Motive in der Bergwelt der bayrischen Alpen – und zeigte da bereits die Bezüge zur Natur und zur Welt der Tiere, die später einige seine bekanntesten Bilder kennzeichnen sollten – doch praktizierte anfangs eine eher klassische Malerei (mit einer noch wesentlich zurückhaltenderen Farbigkeit). Im Laufe seiner künstlerischen Entwicklung fand er, der er selbst durch familiäre Beziehungen – nämlich seine Mutter – Verbindungen zur französischen Kultur hatte, immer mehr Inspiration in der Kunst des Landes, gegen das er später in den Krieg ziehen sollte; einer Kunst, die er als Vorbild bezeichnet: Eine erste Frankreichreise führt ihn von Mai bis September 1903 nach Paris, in die Normandie und die Bretagne; im März 1907 reist er abermals nach Paris, setzt sich intensiv mit den Werken van Goghs und Paul Gauguin auseinander. „Ich war selten so einig als Künstler wie diesmal in Paris. Diese 8 Tage gehören zu den traumhaftesten meines Lebens“, schreibt Marc danach in einem Brief an seine spätere Frau. 1911 äußert er in der Abhandlung Deutsche und französische Kunst, die Franzosen seien im Vergleich der Malerei „so ungleich künstlerischer und innerlicher, dass die deutschen Bilder sofort leer und von äußerlicher Mache erscheinen“. Im Herbst des folgenden Jahres reist er abermals nach Paris, diesmal gemeinsam mit August Macke, den er gut zwei Jahre zuvor in München kennen gelernt hatte.
Marcs Frankreich-Reisen fallen dabei in „entscheidende Phase seiner künstlerischen Entwicklung“, schreibt Cathrin Klingsöhr-Leroy, Direktorin des Franz Marc-Museums in Kochel am See, in ihrem Aufsatz „Vom Tiermotiv zur ‚Animalisierung der Kunst’“ in dem Sammelband. Sie stellt zudem die Frage, warum für Marc, den Maler, den umtrieb wie ein Pferd, ein Reh, ein Hund die Welt sehen, das Tiermotiv so zentral war. Marc selbst schrieb dazu 1915: „…das Tier schien mir schöner, reiner“ – als eine Art Gegengewicht zur fortschreitende Industrialisierung? – „aber auch an ihm entdeckte ich so viel Gefühlswidriges und Häßliches, so daß meine Darstellung instinktiv, (aus einem inneren Zwang) immer schematischer, abstrakter wurden.“

Franz Marc: Gazellen (1913/14), Franz Marc Museum, Kochel am See, Dauerleihgabe aus Privatbesitz (© Walter Bayer, München)
Franz Marc: Gazellen (1913/14), Franz Marc Museum, Kochel am See, Dauerleihgabe aus Privatbesitz (© Walter Bayer, München)

Marcs Werk entstehe, so Cathrin Klingsöhr-Leroy, „nicht durch die Kenntnis von Regeln und Gesetzmäßigkeiten, sondern durch seinen Instinkt“ – das Konzept der „Animalisierung“, wie sie es nennt, beziehe sich daher nicht auf das Motiv (Tier), sondern auf den „grundsätzlichen Charakter des Kunstwerks“ als Ergebnis eines ‚organischen’ Entstehungsprozesses. Auch habe Marc die Tiere in seinen Bildern nicht anthropomorphisiert; es sei ihm auch nicht um eine Empathie im Sinne von Mitleid gegangen, sondern ein „reflektiertes, fast distanziertes Einfühlen“, so die Marc-Kennerin.

Vom Tier zum Abstrakten
Bemerkenswert ist im Rückblick auch, dass Franz Marc im Frühjahr 1915 über sein Bild Tierschicksale von 1913 schrieb, es enthalte eine „Vorahnung des Krieges, schauerlich und ergreifend“. „Die in Marcs Hauptwerken von 1913/14 vorausgedeutete Katastrophe des Krieges wird zum Topos seines Ruhmes“, schreibt Oliver Kase, Experte für die Kunst der Klassischen Moderne, in seinem Beitrag in „Zwischen Utopie und Apocalypse“, in dem er sich der Analyse der von Tod und Zerstörung geprägten Berglandschaften Tirols Das arme Land Tirol (1913) und Tirol (1913/14) widmet. Man sehe dabei Marcs Entwicklung „von der Tiermalerei in die kristalline Abstraktion“; Marc selbst schrieb, „vom Tier weg“ leite ihn ein „Instinkt zum Abstrakten“ – denn, wir erinnern uns, auch am Tier entdeckte er mit der Zeit „so viel Gefühlswidriges und Hässliches“, dass seine Darstellung instinktiv „immer schematischer, abstrakter wurden.“
Neben solchen Zitaten aus Marcs Briefen aus dem Felde enthält der Sammelband – wenn auch kein Bildband im eigentlichen Sinne – über 120 Abbildungen, auf die immer wieder in den Aufsätzen verwiesen wird, sowie teils bislang unveröffentlichten Fotos sowie Auszüge aus Marcs letztem Skizzenbuch aus dem Felde, das er an der Front täglich am Leib trug. Ebendieses erscheint, ebenfalls im Sieveking-Verlag, als kleines, fast zierlich zu nennendes Büchlein, das nicht nur Marc-Enthusiasten verzücken wird, sondern jeden, der sich für das Buch als physisches Objekt begeistern kann.

Franz Marc: Fuchs / für buntes Papier (1915), Staatliche Graphische Sammlung München (Aus: Franz Marc. Skizzenbuch aus dem Felde)
Franz Marc: Fuchs / für buntes Papier (1915), Staatliche Graphische Sammlung München (Aus: Franz Marc. Skizzenbuch aus dem Felde)

Bibliophiles Kleinod
Die 36 handtellergroßen, zwischen März und Juni 1915 entstandenen Bleistift-Zeichnungen haben als Marcs eigentliches künstlerisches Vermächtnis zu gelten, liest man im Nachwort von Michael Semff, ehemals Direktor der Staatliche Graphische Sammlung in München. Selbige hatte die Skizzen 1955 erworben – und seitdem wie einen Schatz gehütet. Nun werden sie, in Leinen gebunden, als Reproduktionen in Faksimile-Qualität käuflich.
In einem Brief vom März 1915 von der Westfront schrieb Marc, bei ihm staple sich „alles bis zur schmerzhaften Müdigkeit im Kopf“, doch nun fange er „leise an, im Skizzenbuch zu zeichnen; das erleichtert und erholt mich“. In den Zeichnungen macht Michael Semff eine für ein Skizzenbuch „eher ungewöhnliche bildhafte Perfektion“ aus: Sie erscheinen kaum fragmentarisch oder vorläufig, sondern als fertig auskonzipierte, zu schaffende Gemälde; Semff nennt sie Marcs „ungemalte Bilder“, die er nicht mehr realisieren konnte nach dem Krieg. Der Künstler habe bei den monochromen Zeichnungen „die Farbe zweifelsohne mitgedacht“.
Neben deutlich erkennbaren Tiermotiven finden sich in dem Skizzenbuch auch abstrahierte Formen und Landschaften. Viele der von Marc überlieferten Bildtitel kreisen, passend zu einer vom ihm geplanten illustrierten Bibel-Ausgabe, um das Thema Weltschöpfung, beispielsweise Aus den Schöpfungstagen sowie Zaubriger Moment oder Begattung der Rehe. Hier wundert man sich als Leser allerdings: Wenn die Titel der Blätter, und seien es auch nicht alle, bekannt sind, wieso sind diese in der Edition nicht zuordenbar abgedruckt (sei es als Übersichtsliste am Ende des Bandes oder auf den ohnehin leeren Rückseiten der Blätter)? Auch liefert Michael Semff zwar den kunsttheoretischen und kunsthistorischen Kontext der Skizzen, doch eine geschichtliche, auch biographische Rahmung leistet sein Nachwort nicht. Über die Extremsituation der Entstehung dieser 36 Miniaturen, jenseits auch der künstlerischen Gedankenwelt Marcs, zu ergründen, können vielleicht doch eher Marcs Briefe aus dem Felde Aufschluss geben.

Franz Marc. Zwischen Utopie und Apokalypse
Sieveking Verlag 2016
160 Seiten
39,90 €

Franz Marc:
Skizzenbuch aus dem Felde
Sieveking Verlag 2016

88 Seiten
17,90 €

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