„Das ist für alle und das von Grund auf gleich“

© Christoph Worsch (Ausschnitt des Originals)

Der Verein Tausend Taten e.V. bringt Menschen mit Unterstützungsbedarf und Ehrenamtliche zusammen. Die Vorstandsvorsitzende Susan Eisenreich spricht mit unique über das Ehrenamt und gibt einen Einblick für Interessierte.

unique: Womit beschäftigt sich euer Verein und was sind seine Grundgedanken?

Susan Eisenreich: Unser Verein fördert bürgerschaftliches Engagement, also Ehrenamt. Wir bringen Menschen zusammen – jene, die Andere gerne unterstützen möchten und jene, die Unterstützungsbedarf haben – und das in ganz verschiedenen Lebenslagen. Wir haben Projekte, bei denen Kinder unterstützt werden, z.B. beim Lesen lernen. Wir haben Projekte, bei denen Kinder und Jugendliche von drei bis achtzehn Jahren interessengeleitet in der Freizeit begleitet werden. Und wir haben Projekte in der Altenhilfe – auch hier gibt es eine klassische Besuchsdienst. Man geht zusammen raus, verbringt Zeit miteinander. Die Weiterführung dieser Freizeitpatenschaft ist dann das Projekt „Paten für Demenz“ – hier werden an Demenz erkrankte Personen und ihre pflegenden Angehörigen unterstützt. Die Grundidee unseres Vereins ist es, Menschen zusammenzubringen, Begegnungen zu ermöglichen und es Menschen durch die Strukturen und die Professionalisierung innerhalb des Vereins zu erleichtern, sowohl mit einem Ehrenamt zu beginnen als auch dabei begleitet zu werden.

Wie kam es damals zu der Gründung eures Vereins?

Früher gehörten einige meiner KollegInnen zur Bürgerstiftung, in der es beispielsweise Leseprojekte gab. Die Idee, Menschen zusammenzubringen gab es schon immer – 2011 wurde dann der Verein gegründet. Es gab den Wunsch, den Fokus mehr auf solche Projekte zu lenken und diese auch ein Stück weit zu professionalisieren und zu stärken. Man hat sich dann sozusagen ausgegründet – die Projekte in die Freiheit entlassen – und schließlich kamen nach und nach die anderen hinzu.

Wie ist euer Verein intern organisiert? Und zeichnen sich bestimmte Gesellschaftgruppen ab, die sich engagieren?

Da muss man unterscheiden zwischen den Ehrenamtlichen, die für uns unterwegs sind – das sind über 200 Menschen in Jena – und den Ehrenamtlichen, die in der Geschäftsstelle arbeiten beziehungsweise auch den Mitarbeitenden des Tausend Taten e.V. Es gibt bei uns einen Vorstand, einige wenige Festangestellte, viele sehr engagierte Studierende, aber auch RentnerInnen – die sich in ihrer nachberuflichen Phase nochmal einbringen wollen – es ist also total divers. Jedes Projekt ist dabei unterschiedlich organisiert, teils auch mit Reflexionstreffen und Stammtischen.

Die Ehrenamtlichen sind zum Großteil Studierende und RentnerInnen. Das liegt einfach daran, dass Menschen zwischen 30 und 50 Jahren andere Dinge im Leben zu tun haben – eine Familie gründen, meist eine 40-Stunden-Woche. Was man jedoch sehen kann ist, dass es überwiegend Frauen sind, die sich bei uns engagieren.

Welche Zielgruppe greift besonders häufig auf eure Angebote zurück?

Die Menschen, die unsere Angebote in Anspruch nehmen, sind ganz unterschiedlich. Bei den Projekten der Altenhilfe kommen die SeniorInnen selbst, oft aber auch ihre Angehörigen auf uns zu. Manchmal gibt es gesetzliche BetreuerInnen, die sich an uns wenden. Bei den Kindern sind es im Allgemeinen die Schule oder konkret die LehrerInnen, die sich für einzelne Kinder Unterstützung beim Lesen (lernen) wünschen; oder die Kindergärten, die es sich vorstellen könnten, dass jemand einmal die Woche vorbeikommt. Bei den Co-Piloten, also Freizeitpatenschaften, sind es meistens die Eltern – die Kinder kommen da selten. Es gibt auch kein Einstiegskriterium, zum Beispiel zu welcher Gesellschaftsschicht man gehört oder welcher Herkunft man ist; das wird auch nicht erhoben, ganz einfach, weil wir da auch keinen Wert drauf legen. Wir halten ganz stark an der Idee fest: Das ist für alle und das von Grund auf gleich.

Wie funktioniert die Vermittlung zwischen den Freiwilligen und den Programmteilnehmenden?

Wir haben auf der einen Seite die ‚Datenbank‘ der Menschen, die Unterstützungsbedarf haben und auf der anderen Seite die derjenigen, die sich engagieren wollen. Letztere können tatsächlich einfach anrufen oder vorbeikommen. Dann wird, je nach Zeitlage, ein Beratungstermin vereinbart. Je nachdem, ob man schon eine Idee davon hat, was man machen will, wird einem noch einmal die komplette Palette vorgestellt. Es wird geschaut, wo die Interessen und Präferenzen für welches Projekt liegen. Dann kann es passieren, dass man erneut an die Projektleitung weitergeleitet wird, wenn diese nicht ohnehin schon vor einem sitzt. In einem intensiven Beratungsgespräch wird dann zum Beispiel über Vorerfahrungen oder den Grund des Engagements gesprochen. Bei Projekten, bei denen es um Matching, also den Abgleich von Ehrenamtlichen und Unterstützungssuchenden, geht, werden vor allem die Interessen abgefragt. Es wird geschaut, in welchem Stadtteil man lebt – bei Studierenden sind die Grenzen oft nicht so schwierig, da sie kostenlos mit der Straßenbahn fahren können, für andere kann das ein Thema sein.

Bei denjenigen, die mit Unterstützungsbedarf auf uns zukommen, wird ein ebenso ausführliches Aufnahmegespräch geführt. Ältere Menschen werden von unseren MitarbeiterInnen auch mal zu Hause besucht. Die schauen sich dann deren Lebensumfeld an und besprechen dieselben Themen wie mit den Ehrenamtlichen, um eben dieses Matching so gut wie möglich zu bekommen. Bevor die Projekte starten, wird ganz offen darüber gesprochen, ob die oder der TandempartnerIn (die zu Beginn zusammengestellten Paare) so passt oder nicht. Es ist auch keine Beziehung auf Lebenszeit, die man eingeht.

Muss man, wenn man sich bei euch engagieren möchte bestimmte Voraussetzungen oder Kenntnisse mitbringen?

Es ist vor allem diese angesprochene Aufgeschlossenheit und Kontaktfreudigkeit, die aber aus meiner Erfahrung schon fast jeder mitbringt, der eigeninitiativ auf uns zukommt. Gerade bei einem Tandem, bei dem es ja um Freizeitgestaltung geht, sollte man auch selbst einmal etwas vorschlagen. Ansonsten geschieht die Begleitung und Reflexion durch den Verein. Das heißt, man muss keine theoretischen Modelle kennen, sondern bekommt von unseren KollegInnen in Schulungen vermittelt, wie man in einer solchen Patenschaftsbeziehung, die dadurch ja entsteht, mit Konflikten umgehen kann. Wenn man sich direkt bei uns in der Geschäftsstelle engagieren möchte, schauen wir, was die Person mitbringt– grundsätzlich ist natürlich jeder willkommen. Eine entscheidende Voraussetzung haben wir aber: Bei allen Projekten muss ein Führungszeugnis eingeholt werden; das geht aber durch uns kostenlos beim Amt.

Welche Möglichkeiten habe ich, wenn ich mich bei Tausend Taten engagieren möchte?

Wir haben zum einen die Leseprojekte. Fangen wir bei den ganz Kleinen an: Hier gibt es die Vorlesepaten, das heißt die Ehrenamtlichen gehen in Kindergärten und lesen einer Gruppe von Kindern vor. Oft bleibt es jedoch nicht nur beim Vorlesen, manchmal wird auch noch gesungen, gebastelt, eine Geschichte erzählt oder ein kleines Theaterstück gestaltet. Das ist aber nichts, was wir vorgeben. Immer wieder erzählen uns Ehrenamtliche, was die Kinder sich Schönes ausgedacht haben. Dann haben wir noch die LesementorInnen. Die gehen einmal die Woche in die Schulen – vornehmlich Grundschulen. Die Idee ist, Kindern mit einer Leseschwäche keine klassische Nachhilfe zu geben oder bei den Hausaufgaben zu helfen, sondern die Lesefreude zu wecken. Wir machen das eher spielerisch und mit lustigen Übungsaufgaben, die den Ehrenamtlichen häufig in Schulungen mitgegeben werden.

Du hast die Co-Piloten erwähnt: Welche Menschen treffen sich bei diesem Projekt?

Ja, die Co-Piloten und die Leihgroßeltern. Erstere gab es zuerst. Es handelt sich um eine klassische Freizeitpatenschaft, bei der wir Kindern zwischen drei und siebzehn Jahren einfach jemanden zur Seite zu stellen. Hier spielen natürlich die Interessen eine große Rolle. Wir haben Patenschaften, bei denen ein Junge mit einem Ehrenamtlichen klettern geht, weil sein Vater nicht mehr in der Lage dazu ist. Wir haben eine alleinerziehende Mutter mit zwei Kindern, bei der der Sohn gerne Fußball spielen will und wir finden jemanden, der mit ihm Fußball spielt. Über die Jahre hat sich dann eine ziemlich große Nachfrage nach älteren Ehrenamtlichen ergeben und deshalb haben wir das Leihgroßelternprojekt ins Leben gerufen. Im Prinzip gehört es ein bisschen zu den Co-Piloten dazu, weil die Idee die gleiche ist, aber es sind wirklich ehrenamtliche RentnerInnen. Hier ist die Idee, dass in Jena ganz viele Familien leben, bei denen die Eltern mal hier studiert haben und dann hier geblieben sind aber deren Eltern wiederum viele Kilometer weit weg wohnen, weshalb der intergenerationale Austausch fehlt. Es gibt auch große Nachfragen auf Seite der RentnerInnen, die gerne eine Gebundenheit an eine Familie mit Kindern hätten und etwas zurückgeben möchten, weil die eigenen Kinder vielleicht nicht mehr hier wohnen.

Beschreib unseren LeserInnen doch nun bitte noch eure Projekte der Altenhilfe.

Hier gibt es das Projekt NAHbarn und Paten der Demenz. Ersteres ist auch ein klassischer Besuchsdienst, es geht um die Idee des Zeitschenkens. Das kann ein gemeinsames Kaffeetrinken sein, Geschichtenerzählen, zusammen rausgehen. Ähnlich ist es bei den Paten der Demenz: Die meisten demenziell erkrankten Menschen werden in der eigenen Häuslichkeit gepflegt. Das heißt die Entlastung der pflegenden Angehörigen hat hier einen großen Stellenwert. Da geht es auch darum, mit der demenziell erkrankten Person Zeit zu verbringen. Je nachdem wie fortgeschritten die Erkrankung ist, gibt es unterschiedliche Ansätze in diesen Patenschaften.

Wenn man zum Beispiel aufgrund seines Jobs keine Zeit hat, sich persönlich zu engagieren, gibt es dann auch andere Möglichkeiten, um sozial aktiv etwas bei euch zu bewirken?

Auf jeden Fall, es kommt aber natürlich darauf an, was diese Person beitragen möchte und kann. Wir suchen beispielsweise regelmäßig Menschen, die sich in der Öffentlichkeitsarbeit engagieren oder die sich zum Beispiel mit Fundraising beschäftigen. Es gibt Aufgaben, bei denen man nicht vor Ort sein muss, sondern sie zu Hause mit den zur Verfügung stehenden Kapazitäten machen kann. Ansonsten gibt es auch immer pro bono Sachen im Ehrenamt, also das Zurverfügungstellen von Kompetenzen oder Räumlichkeiten. Natürlich kann man uns auch durch Spenden unterstützen oder dadurch, dass man Werbung für unsere Projekte macht. Es gibt also verschiedene Möglichkeiten, auch wenn man nicht viel Zeit hat, einfach MultiplikatorIn zu sein.

Wie verbindlich ist eine Freiwilligenarbeit bei eurem Verein?

Prinzipiell kann man jederzeit aussteigen. Dennoch fragen wir beim Beratungsgespräch, wie lange die oder der Interessierte noch in Jena ist und wie lange das Engagement dauern soll. Es geht bei uns ja um Beziehungsarbeit – man baut eine Beziehung auf und das ist weder für ein Kind noch für eine ältere oder demenziell erkrankte Person besonders schön, wenn es nach einem Monat heißt, man hat doch keine Zeit mehr. Das kann zwar unvorhersehbar immer passieren, dann ist das auch okay, aber zum Beispiel in den Altenhilfe-Projekten sollte man schon mindestens noch neun Monate in Jena sein, genauso bei der Freizeitpatenschaft Co-Pilot. Für die Leseprojekte sollte man mindestens ein Schulhalbjahr, eigentlich sogar ein ganzes Schuljahr, Zeit haben.

Gehen wir einmal näher auf die Paten für Demenz ein. Gibt es für die Freiwilligen eine besondere Schulung, um in verschiedenen Situationen mit so großer Verantwortung angemessen umgehen zu können?

Es gibt einen Ausbildungskurs, das sind 3,5 Tage. Da lernt man etwas über die Krankheit, übers Thema Altern und Alter in der Gesellschaft. Es ist also eine Mischung aus Input und Selbsterfahrung. Man bekommt dabei zum Beispiel auch die Möglichkeit einen Alterssimulationsanzug anzuziehen und kann sich ausprobieren. Es gibt verschiedene Methoden, um ein Verständnis dafür zu entwickeln, wie man im Alter oder speziell mit Demenz eingeschränkt sein kann. Dann kann es eigentlich losgehen.

Das Thema Verantwortung würde ich gern relativieren. Man übernimmt ja am Ende Verantwortung für das, was man gern tut und schenkt vor allem Zeit. Alles findet in ganz enger Abstimmung mit den Angehörigen oder Eltern statt. Wir vereinbaren gemeinsam, was geht und was nicht.

Die Kontaktvermeidung aufgrund der Corona-Krise stellt für alle eine Ausnahmesituation dar. Wie geht euer Verein damit um, dessen Bestreben es ist, Nähe zwischen den Menschen aufzubauen?

Wir versuchen die Nähe eben genau da aufrechtzuerhalten, wo es geht und wo es nötig ist. Zu Beginn haben meine KollegInnen auch erst einmal tatsächlich alle angerufen, haben sich erkundigt, wie es den SeniorInnen und Familien geht und ob und wie die Ehrenamtlichen gerade unterwegs sind – haben nachgefragt, ob sie sich eigentlich noch treffen und darauf hingewiesen, dass es im Moment gerade nicht angeraten ist, dass ältere Personen einkaufen gehen et cetera. Dann wurden wir in das Hilfsnetzwerk der Stadt aufgenommen, die die Einkaufshilfen koordinieren. Das sind Caritas, Diakonie, DRK und wir – wir nehmen also die Anrufe von Menschen entgegen, die Einkäufe benötigen. Das wird im Moment koordiniert – natürlich kontaktlos. Aber hier ist es auch so, dass wir die Tandems, die eh schon stehen, auch gleich aufrechterhalten haben. Daraus ergab sich, dass meine KollegInnen feststellten, dass die SeniorInnen auch Bedarf zum Reden haben – da dachten wir uns, der Kontakt in den Tandems kann ja trotzdem gehalten werden – das funktioniert sicher auch über das Telefon; so entstand tele*NAHbarn. Schon bestehende Tandems sind auf Telefon gewechselt, aber auch ganz neue sind dabei entstanden. Die Idee ist, dass aus diesen danach vielleicht auch eine physische Patenschaft entstehen kann, wenn das alles vorbei ist und wir uns wieder treffen können. In den anderen Projekten versuchen wir zu schauen, wie die Tandems trotzdem in Kontakt bleiben können. Gerade bei Jugendlichen oder Kindern in Freizeitpatenschaften liegt es nahe, auch hier die virtuellen Möglichkeiten zu nutzen, um mit den Ehrenamtlichen in Kontakt zu bleiben. Die Leseprojekte können gerade natürlich nicht stattfinden, das ist klar – Kindergärten und Schulen sind zu.

Vielen Dank für die Eindrücke!

Das Interview führte Hanna. 

 

Susan Eisenreich ist seit 2015 Vorstandsvorsitzende des Vereins Tausend Taten e.V. – im Verein selbst engagiert sie sich seit 2013, erst als ehrenamtliche Lesementorin und später als Leiterin des Projektes. Des Weiteren arbeitet sie für den Paritätischen Wohlfahrtsverband Thüringen und begleitet dort Organisationen der Sozialwirtschaft zum Thema Fachkräftesicherung, Personal- und Organisationsentwicklung.


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