A Kraut in England Von Fastfood, Bier und Co.

von Alice

Ich packe meine Tasche für England und nehme mit: Einen Regenschirm, kurze Röcke und Sommerschuhe, um nicht unangenehm zwischen den Einheimischen aufzufallen, einen Laib Mischbrot, um wenigstens die ersten Tage etwas Gutes zu essen zu haben, einen Bierhumpen des deutschen Fußballbundes, um bei den Jungs Eindruck zu schinden, ein paar Bücher für die Uni und einen dicken Pulli für die nächste nächtliche Evakuierung des Studentenwohnheims wegen Feuer(fehl)alarms.
Ich packe nicht für ein Erasmussemester oder einen Shoppingtrip nach London, ich lebe eine Fernbeziehung über 1.201 Kilometer Fußweg und reise daher so häufig auf die Insel wie manch anderer Heim zu Mutti nach Rudolstadt. Ich freue mich auf England. Führen die Autos nicht auf der falschen Straßenseite, würde ich in Birmingham sehr schnell vergessen, dass ich nicht in irgendeiner deutschen Großstadt bin. Die deutsche und die englische Seele ähneln sich im Wesentlichen sehr. Gleiches Zeitgefühl, hoher Fleischkonsum, Schnäppchenjagd, Bier und Fußball sorgen für verlässliche Konstanten während einer längeren Zeit in England. Kaffeetrinken vs. Teatime, East Enders vs. Lindenstraße, Geschenke am Heiligabend oder doch erst nächsten Morgen – das sind doch nur Unterschiede im Detail. Deichmann verkauft längst Schuhe in der Innenstadt und nachts wehen leere LIDL-Plastiktüten über die regennassen Straßen.

You know you’re English if…you love cheddar cheese
Wirklich hart trifft es einen Deutschen nur die drei Male am Tag, an denen er sich überlegen muss, was er nun essen soll. Typische Tiefkühlpizza-Cola-und-Toastbrot-Studenten dürften keinen Unterschied bemerken. Man findet eigentlich alles, was man kennt, auch in englischen Supermärkten. Zumindest sieht es so ähnlich aus. Leider ersetzt bitterfettiger Cheddarkäse den uns gewohnten, gesalzenen Käse in fast jedem Gericht. Das liegt zum einen daran, dass Engländer Cheddar irgendwie mögen. Zum anderen schmeckt es so fade, weil die Engländer bei all der ausgewogenen Kost aus Weißbrot, Frittiertem, Mayonnaise und zerkochtem Gemüse große Angst davor haben, dass Salz für ihre Herzinfarkte verantwortlich sein könnte. Darum fehlt es anscheinend gänzlich in jedem Lebensmittel. Was ansonsten im Essen steckt, kann man auf den berüchtigten Warnampeln betrachten. Dieser Markierungswahn hat aber auch seine Vorteile: Selbst Orangensaft bekommt das gut sichtbare Siegel „Für Vegetarier geeignet“ verpasst. Es gibt viele Vegetarier in England, was sicher auch an dem großen Anteil von asiatischen Migranten liegt. Dadurch bekommt man zudem an jeder Ecke ein großartiges Curry oder Sushi für wenig Geld.

…you wore and hated a school uniform
Mit der doppelten Fläche von Bayern ist England recht überschaubar, was das Reisen von Stadt zu Stadt angeht. Daher gibt es zum Zug fast immer die günstigere Alternative eines Reisebusses. Nach London per Bus zu reisen lohnt sich definitiv, denn die Fahrt durch all die Vororte ist mit einem Fensterplatz unglaublich spannend. Nachmittags kann man die Kinder und Jugendlichen von der Schule kommend in ihren Uniformen bewundern. Jede Schule hat ihre eigenen Uniformfarben, manche Uniform ist wirklich formschön, manch andere Farbkombination wäre für mich ein Grund, die Schule zu wechseln. Ich stelle es mir furchtbar vor, wenn ich meine gesamte Pubertät hindurch täglich die gleiche schlecht sitzende Bluse in Zartrosa und kurze Faltenröcke zu meinen käseweißen Stummelbeinchen hätte tragen müssen. Und an einigen Schulen herrscht für die Mädchen tatsächlich Rockpflicht – im Sommer wie im Winter.

…you call a mini skirt a skirt and a belt a mini skirt.
Was sie in der Schule nicht dürfen, leben die Engländerinnen in ihrer Freizeit exzessiv aus. Allgemein kleiden sie sich extrovertierter als die deutschen Frauen, manche mit beneidenswerter Stilsicherheit, manche mit etwas weniger. Die mutigsten Trends werden ohne Rücksicht auf Verluste mitgenommen und so richtig ernst nehmen sie sich dabei auch nicht. Welche Konfektionsgröße für welche Schnitte geeignet ist, interessiert hier niemanden. Sie sind knallhart und tragen selbst bei 6 Grad Celsius noch Flipflops. Eine Jacke gibt es nur, wenn sie zum Outfit passt. Und Regen an sich wird sowieso nur als störend empfunden, wenn er die frisch geglätteten Haare ruiniert. Die Konsequenz daraus: Man kann hier ohne böse Blicke alles anziehen was man will, Hauptsache es ist nicht normal. Indes ist die reizüberflutete englische Männerwelt zum Teil wirklich dankbar, wenn jemand langweilig und konservativ gekleidet daher kommt.

…you watch Little Britain and laugh.
Englischer Humor kann höchst unterhaltsam sein, manchmal ist er einfach nur unverständlicher Nonsens. Bisweilen ist er jedoch so dunkelschwarzböse, dass man sich für das eigene Lachen am liebsten selbst in die Ecke stellen würde. Neulich erst hinterließ ein Radiomoderator der BBC auf dem Anrufbeantworter eines 78-jährigen Schauspielers mehrere obszöne Anrufe, dass und wie er mit dessen Enkelin geschlafen hätte. Ein anderer Moderator, Jeremy Clarkson vom Automagazin Top Gear, beschrieb die Alltag von LKW-Fahrern als: „Change gear, change gear, change gear, check mirror, murder a prostitute, change gear, change gear, change gear. That’s a lot of effort in a day.“ – Und bei einem Pint Bier im Pub bekommt man als Deutsche obendrauf die Art von Juden- und Naziwitzen erzählt, für die ich es an dieser Stelle mit dem Verfassungsschutz zu tun bekäme.

…you have a pub on your campus.
Diese Pubs sehen genauso aus, wie man es sich vorstellt, nur noch schmuddeliger. Da ist es keine Überraschung, wenn der Tisch so klebt, dass man das Glas mit einem Ruck anheben muss. Aber ab dem dritten Besuch beobachtet man nur noch amüsiert, wie andere Ausländer unauffällig versuchen, mit Erfrischungstüchern der Lage Herr zu werden. Einheimische Studenten indes verbringen ihre Mittagspausen, die Teatime und Abendstunden im Pub. Denn der Weg ist kürzer als bis zum nächsten Supermarkt, draußen ist schlechtes Wetter und drinnen spielen regelmäßig all die unglaublich guten Amateurbands, die man sowieso gesehen haben muss. Mit etwas Glück kann man dann später stolz behaupten, den Abend mit dem nächsten Damon Albarn verbracht zu haben.

…you say „please“ and „thank you“ even to your dog.
Um nicht unhöflich zu wirken, sollte mindestens jedes fünfzehnte Wort „Sorry“, „Excuse me“, „Please“ oder „Thank you“ lauten. Poltert man mit deutscher Direktheit in eine Unterhaltung oder erwartet gar eine klare Antwort auf eine Entscheidungsfrage, hat man sich geschnitten. Im Land des Smalltalks ist man geübt darin, mit vielen höflichen Worten gar nichts zu sagen. Und anstatt einer direkten Bitte, gibt es einen Wink mit dem Zaunpfahl, den man richtig deuten lernen muss. „Ah, du trinkst auch Milch im Tee?“ bedeutet eigentlich, dass man gerade richtig verkackt hat, weil man den anderen in der WG-Küche Anwesenden nicht auch eine Tasse angeboten hat. Andersherum sollte man all diese höflichen Wendungen nicht allzu Ernst nehmen. Sie werden gesagt, aber deshalb noch lange nicht so gemeint. Auf „How are you?“ will kein Mensch die Antwort hören, dass du gerade vierzig Grad Fieber hast. Sie nur wollen hören: „I’m fine. And how are you?“ Da die gesamte restliche Welt in den Augen der Briten unter schlechten Manieren leidet, bieten englische Internetseiten Abhilfe. Dort wird Ausländern empfohlen, nicht in der Öffentlichkeit zu spucken, zu rülpsen, zu popeln oder gar laut zu pupsen. Hat man diese wichtigen Informationen verinnerlicht, steht einer Völkerfreundschaft nichts mehr im Wege. Solange sie auf English stattfindet. Engländer sind etwas bequem, was Fremdsprachen angeht. Überall auf der Welt spricht man ja ihre Sprache. In diesem Frühjahr verklagte ein britischer Tourist seinen Reiseveranstalter, weil in seinem Griechenlandurlaub das gesamte Animationsprogramm nur auf Deutsch verfügbar war. Und er gewann. Man muss Ihnen entgegen kommen und jede Vokabel von „Blitzkrieg“ bis „eins, zwei, vier“ als nett gemeinte Geste zu schätzen wissen. Im Grunde schlagen unsere Herzen gleich, man sieht in uns Deutschen halt nur die sozial und modisch unbeholfene Rudi-Völler-Version von David Beckham. Solltest du daher deine neuen englischen Freunde auf eine Runde Tischfußball einladen wollen, falle nicht auf das pseudoenglische Wort „Kicker“ herein – Die Engländer nennen es liebevoll „Foosball“.


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