Musik im Auftrag des Wortes

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Zu Zeiten der Globalisierung laufen kleine Sprachgemeinschaften leicht gefahr zu verstummen. Während die Isländer ihre Sprache literarisch pflegen, kamen dem weniger schreibwütigen Volk der Garifuna Musik und Gesang Andy Palacios zuhilfe.

von Katja

Was jeder will und kaum einer schafft, gelang Andy Palacio gleich in doppelter Hinsicht: Als er am 19. Januar 2008 völlig unerwartet einem Herzinfarkt erlag, hatte er sich nicht nur weltweit einen Namen als Musiker gemacht, sondern ebenso als UNESCO-Friedensbotschafter. Wegen seiner Stimme? Nein. Zwar hat Palacios musikalisches Talent viel zu seinem Erfolg beigetragen, die entscheidende Rolle aber spielte der Einsatz des Künstlers für sein Volk: die Garifuna.

Dialog nur noch mit Rentnern möglich

Wären sie nicht über ganz Lateinamerika verstreut, könnten die Garifuna geradeso eine Großstadt wie Jena besiedeln und die geringe Größe ihrer Gemeinschaft fiele kaum auf. So aber leben die meisten dieser Wenigen im Staat Belize, wo sie nur 7% der Bevölkerung ausmachen und gezwungenermaßen Englisch sprechen. Es verwundert daher nicht, dass ihre Sprache, das Igñeri, beinahe untergegangen wäre. Dass dies nicht geschehen ist, haben wir vor allem der Musik Andy Palacios zu verdanken.
Palacio war noch keine 20 als er feststellen musste, dass er zu den letzten Garifuna gehörte, die die Sprache ihrer Eltern noch erlernt hatten: Abgesehen von ihm gab es niemand unter 50, der noch in der Lage war Igñeri zu sprechen. Als er sah, welchen Hype der belizische Musiker Pen Cayetano mit seiner Rockmusik auslöste, in der auch traditionelle Garifuna-Klänge mitschwangen, kam ihm die zündende Idee zur Wiederbelebung der Kultur seines Volkes.
Wenige Jahre darauf entstand so – angestoßen durch den belizischen Produzenten Ivan Duran – in einem Gemeinschaftsprojekt mit anderen garifunischen Komponisten das Album Wátina.
Im Gegensatz zu früheren Kompositionen (wie etwa denen Pen Cayetanos), die vor allem mit dem eingängigen Punta-Rock zu überzeugen suchten und kommerziell ausgerichtet waren, ist diese Platte ausschließlich der Tradition der Garifuna verpflichtet. Dass sie dann trotzdem kommerzielle Erfolge feierte, war ein unvermeidlicher Nebeneffekt.

Sommerflair ohne Schnulz

Obwohl im Einzelnen recht einfach gestrickt, bietet die Zusammenstellung der Lieder insgesamt ein abwechslungsreiches Spektrum von rhythmischen Trommel- und Gitarrenklängen bis hin zu tragenden Melodien, die dennoch nicht schwermütig wirken. Die unverkennbar karibischen und westafrikanischen Töne zeugen von der Geschichte der Garifuna und regen mit ihren chilligen Folklore-Takten zu sommerlichen Trägheitsübungen ebenso an wie zu schwungvollen Tanzeinlagen. Lediglich Textinteressierte werden es schwer haben: Obwohl das Igñeri neben indigenamerikanischen und afrikanischen Sprachen auch vom Englischen, Französischen und Spanischen geprägt wurde, findet sich kaum ein bekanntes oder ableitbares Wort in den vokalreichen Gesängen. Der Sprachkundige (oder Besitzer des Booklets mit der englischen Übersetzung) darf sich aber freuen: Unter den Texten findet sich nicht eine Liebesschnulze. Stattdessen geht es um stehen gelassene Tramper (Titelsong: Wátina), um wütende Ehefrauen, die ihre betrunkenen Göttergatten kurzerhand vor die Tür setzen (Beiba) und um die Sorge für die Kinder, die sich auch in den zahlreichen religiösen Gesängen des Albums findet.
Den krönenden Abschluss bildet das Stück Ámuñegü, in dem Palacio nochmal einen direkten Appell an die Garifuna richtet: Our ancestors fought to remain Garifuna / Why must we be the ones to lose our culture? / Teach the children our language and our songs / our beliefes and our dances.
Sicher nicht zuletzt wegen Palacios Leistung hat die UNESCO Tanz, Sprache und Musik der Garifuna mittlerweile in die Reihe der Meisterwerke des mündlichen und immateriellen Erbes der Menschheit aufgenommen.

Andy Palacio & The Garifuna Collective:
Wátina.
Cumbancha 2007
(18,99 €)

(Foto: flickr, User bogavanterojo)

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