Spiel nicht mit dem Schmuddelkind – Die Parallelwelt eines Neurodermitikers

von Katja
Foto: Steven

Ich fühle ich mich manchmal als könne ich im Zirkus auftreten. Dabei kann ich gar nicht so gut jonglieren und trotzdem stehe ich oft, jedoch eher unfreiwillig im Mittelpunkt. Einige Leute kucken nur doof, manche lassen sich zu sinnfreien Kommentaren hinreisen – Meine Besonderheit: Ich leide an Neurodermitis und führe trotzdem ein normales Leben. Gut, ich muss zugeben, dass Bummeln in einem voll mit Spiegeln bestückten Geschäft nicht mehr zu meinen Lieblingsbeschäftigungen gehört, und dass ich trotzdem noch über Witze genauso lachen kann, obwohl ich rote Flecken im Gesicht habe, scheint für manche Leute sonderbar. Seit zwei Jahren macht meine Haut mit mir was sie will, lässt mich gut aussehen oder macht das Haus zu verlassen zur Mutprobe. Schuld, so sagen die Ärzte, seien genetische Ursachen. Schuld, so sagen meine Mitmenschen, sei einfach meine Psyche. Doch es soll in diesem Artikel nicht darum gehen, welche Ursachen oder Symptome diese Krankheit zugeschrieben werden können. Es soll darum gehen, warum die phasenweise Veränderung meiner Haut mir nur sehr flüchtig bekannte bis wildfremde Menschen dazu bewegt, den Weg zu mir zu gehen, nur um mir zu sagen, dass ich ja schrecklich aussehe, dass es schlimmer sei oder sonst eine Meinung zu meinen Hautveränderungen. Dabei liegt die Vermutung nahe, dass ich mich so gut kenne, zu wissen, dass ich in symptomstarken Zeiten nicht fotogen bin. Auch ein Grund, warum sich meine Bemühungen, in der Modelbranche Fuss zu fassen, demzufolge in Grenzen halten. Ich habe noch nie jemanden gesehen, der zu einem Rollstuhlfahrer geht, um ihm mitzuteilen, dass er ja gar nicht laufen könne. Meine Haut hat einen Schaden, nicht ich. Es ist nicht so, dass mich der morgentliche Anblick im Spiegel stolz macht, doch damit habe ich gelernt zu leben. Woran ich mich noch gewöhnen muss, sind die Fingerzeigkommentare. Im Raucherkreis wird auf mich zugegangen, dass das schädlich sei und es vielleicht „davon komme“ und zeigt zeitgleichauf eine symptomstarke Stelle meines Arms. Dass es gesundheitsschädigend ist, weiß ich, neu ist mir in diesem Rat, dass das nur mich betrifft und nicht die anderen umstehenden Raucher. Die Vermutung liegt nahe, dass es einfach Krankheiten gibt, die sozial anerkannt sind und Krankheiten, deren Betroffenen nahezu in einer Parallelwelt leben. Neurodermitis gehört anscheinend, wie auch andere Hauterkrankungen, in die zweite Kategorie. Einen gebrochenen Arm gilt es schnell einzuordnen, eine gebrochene Haut ruft Verwirrung hervor und verschiebt das Verhältnis zu seiner Außenwelt.
Die Schranken scheinen gebrochen und das, obwohl Neurodermitis weder ansteckend noch lebensgefährlich ist. Dennoch: Für manche Menschen scheint man, als sei man nicht mehr, als „die mit der komischen Haut“. Mitmenschen scheinen sich zu erheben und geben Ratschläge, wie „Geh doch mal zum Arzt“, ohne auch nur annähernd die Ärzte oder eventuell sogar Krankenhausgeschichten des Betroffenen zu kennen. Der wunde Punkt ist außen und schon neigen viele dazu, ihren Finger drauf zu drücken. Dabei ist ein Mensch doch mehr als nur sein äußeres Erscheinungsbild. Doch auf einmal meinen Menschen die Fähigkeit zu besitzen deine inneren Ängste und tiefen Sorgen auf den ersten Blick zu erkennen, zu deuten und natürlich auch kommentieren zu müssen. Ist der Neurodermitiker stark betroffen, so scheint die soziale Isolation zwangsläufig. Oft ist diese selbstgewählt und leider
viel zu oft eine selbstverständliche Konsequenz. Statt Interesse prallt Missverständnis, manchmal sogar Ekel auf den Kranken. Und dennoch, damit klar zu kommen, aus dem Rahmen zu fallen und trotzdem das innere Gleichgewicht nicht zu verlieren, sich nicht selbst darauf zu reduzieren, was einem das Spiegelbild zeigt, ist neben dem Juckreiz die größte Herausforderung eines Neurodermitikers. Diese zu meistern und zu bleiben wie man ist. Die Stärke nicht aus der Bewunderung der Außenwelt, sondern
aus der Kraft aus dem Bauch zu holen. Der Neurodermitiker kann seine eigenen Grenzen nicht ignorieren, er ist gezwungen auf seinen Körper zu hören. Übermäßiger Ehrgeiz trotzdem 120% leistungsfähig zu sein, egal was der Körper sagt. Selbsterfahrung statt blinder Aktionismus – das gewinnt
der Kranke, wenn er bereit ist, sich mit sich zu beschäftigen und sein Leiden zu akzeptieren und daraus zu lernen mit seinem Körper gut umzugehen. Stattdessen wird zu starken Medikamenten geraten, um das gesunde Erscheinungsbild krankhaft zu erzwingen. Die damit verbundenen organischen Schäden werden in Kauf genommen, um dazu zu gehören, um „normal“ zu erscheinen. Um nicht mit diesem komischen Ausschlag herumzulaufen und die Leute zum Schweigen zu bringen. Wem gilt es hier
eigentlich etwas vor zu machen, dass alles „super“ sei?
Ein Leben abseits der Norm ist nicht unbedingt ein schlechteres Leben. Da, wo die Oberflächlichkeit keinen Platz hat, geht es meist tiefer. Der Blick wird klar für das Wesentliche. Und selbst im Krankenhaus habe ich Betroffene kennengelernt, deren Haut die Krankheitsbilder aus den medizinischen Lehrbüchern weit übersteigt. Und dennoch haben ihre Augen gelacht. Das Heilmittel: die Selbstironie.
Ohne künstlicher Fassade fällt auch die Eitelkeit. Denn es spielt nunmal doch nur eine Rolle was drin ist im Menschen. Doch das sieht niemand. Das kann man auch in einem Smalltalk nicht abarbeiten. Und so folgt selten auf die Frage „Was hast denn du da?“ selten die Frage „Und wie geht es dir abgesehen von deiner Haut?“ Diese Einstiegsfrage scheint nur Menschen vorbehalten, deren Sorgen nicht im wahrsten Sinne auf die Stirn geschrieben ist. Nur wenige hinterfragen, warum die Anzahl, der an dieser Krankheit leidenden Menschen in den vergangenen Jahren so enorm zugenommen hat. Warum fallen immer mehr Menschen „aus den Rahmen“? Vielleicht liegt es daran, dass der Rahmen einfach zu eng gezogen ist.


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Kommentare

Eine Antwort zu „Spiel nicht mit dem Schmuddelkind – Die Parallelwelt eines Neurodermitikers“

  1. Avatar von Florine
    Florine

    Absolut wahr. Toller Artikel. Stimme in jedem Punkt zu. Intelligenter Autor mit einer guten Portion Humor übrigens! Viele Grüße und alles Gute. Damit meine ich auch alles Gute wegen der Haut, aber vor allem alles Gute im umgehen und verarbeiten Lernen mit den unterqualifizierten Kommentaren. Häufig sind Besonderheiten, die Menschen von der Norm abgrenzen, das Sprungbrett für höhere Erkenntnisse, wie dieser Autor sie ja längst gewonnen hat. Und für die Erhabenheit, die einem das Leben leicht und unbeschwert macht!

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