Rezension: Nationalistisch verblendet, oder: Die „monkey hangers“

Der Comic Der Affe von Hartlepool erzählt eine Geschichte von aberwitziger Lynch-Justiz, wie sie Nationalismus und Fremdenhass hervorbringen können. Eine Lese-Empfehlung.

von Frank

Wir sind im Jahr des großen Jubiläums: Im Oktober vor nunmehr 200 Jahren schlugen die Truppen Österreichs, Preußens, Russlands und Schwedens das napoleonische Heer in der Völkerschlacht bei Leipzig. Erinnert wurde daran mit einer feierlichen Wiedereröffnung des sanierten Denkmals – und der nachgestellten Schlacht. Doch um die Befreiung Europas vom französischen Joch wurde nun nicht ausschließlich auf dem Festland gerungen; Frankreichs und Großbritanniens Flotten lieferten sich immer wieder verlustreiche Seeschlachten. Dieser historische Kontext bildet die Basis für die Legende vom Affen von Hartlepool, die der Berliner Avant-Verlag nun auf den deutschsprachigen Comic-Markt gebracht hat.

Als im Jahr 1814 ein französisches Kriegsschiff vor der englischen Küste zerschellt, spülen die Fluten nicht nur Trümmer an den Strand des kleinen Örtchens Hartlepool, sondern auch einen Überlebenden: einen Affen, das Schiffsmaskottchen, in Offiziersuniform der napoleonischen Flotte. Zwar haben die Hartlepooler noch nie einen leibhaftigen „Franzmann“ zu Gesicht bekommen, doch der Uniformierte muss ganz offensichtlich einer der verhassten Franzosen sein – da sprechen Kleidung, Körperbehaarung und das seltsame Vokabular doch eine eindeutige Sprache, ganz zu schweigen vom unzivilisierten Benehmen des Gefangenen. Der Mob, wie es sich für einen solchen gehört, will das Äffchen lynchen. Doch der Bürgermeister, der praktischerweise auch noch als Richter (und Gastwirt) des Küstenstädtchens fungiert, macht dem vermeintlichen feindlichen Spion stattdessen den Prozess – einen Schauprozess freilich, bei dem Mistgabeln und Fackeln nicht fehlen dürfen.

Prädikat: Pflichtlektüre!

Die nun als Der Affe von Hartlepool vorliegende Adaption dieser Geschichte ist nicht nur eine brisante Parabel über ein Tier, das man wie einen Menschen behandelt, den man wie ein Tier behandelt (was an sich schon zeitlose Lektüre wäre). Was den 96-seitigen Comic so wertvoll macht, ist der gleichzeitig erschütternde wie banale Grund für das Verhalten der Hartlepooler: weil das Tier, der Uniformierte, der Gefangene, in ihren Augen Franzose ist. Im Umgang mit dem verachteten Feind zeigt sich dabei schnell, wer hier eigentlich das Tier ist – nicht nur, weil viele der Bewohner Hartlepools äußerlich eher tierische Züge haben. Wie viel Wahrheit letztlich in der Geschichte steckt, ist schwer zu sagen, doch es ist nicht unvorstellbar, das Nationalismus und Fremdenhass, gepaart mit einem ungebildeten Mob, solch skurril-hässliche Blüten treiben.

Wilfrid Lupano (Text) und Jérémie Moreau (Zeichnungen) sind nun zwar nicht die ersten, die damit beweisen, wie gekonnt das Medium Comic ernste historische oder gesellschaftliche Themen einem breiteren, auch jüngeren Publikum zugänglich machen kann. Doch ihr Affe von Hartlepool kann als Schullektüre – über die Auswüchse von Nationalismus in der Geschichte, aber auch heute – nur wärmstens empfohlen werden. Auch jeder erwachsene Comic-Freund mit Sinn für gesellschaftliche Botschaften sollte sich dieses Meisterwerk nicht entgehen lassen.

Die Bewohner des Örtchens Hartlepool tragen übrigens nach 200 Jahren noch immer den Spottnamen „monkey hangers“. Das eigentlich Zeitlose an der Legende von Hartlepool ist aber die Erkenntnis, dass wir uns allzu oft blenden lassen: von der Grenzziehung zwischen ‚Die’ und ‚Wir’ – zwischen Eigenem und Fremdem. Überaus treffend heißt es darum auch im Nachwort: „Grenzen sind wichtig. Sonst wissen wir nicht mehr, wen wir hassen sollen…“

Der Affe von Hartelpool
Text: Wilfrid Lupano, Zeichnungen: Jérémie Moreau
Avant-Verlag 2013
96 Seiten
19,95 €

Eine Leseprobe gibt’s HIER.

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