Literarische Rendezvous: Das verschimmelte Brot

von Zweta

Mein Großvater war sehr tapfer und fast nichts konnte ihn umstimmen, wenn er sich etwas vorgenommen hatte. Er hatte einen starken Geist. Dieser Geist holte ihn sogar aus dem Balkankrieg nach Hause zurück. Während er auf dem Schlachtfeld der kriegerischen Auseinandersetzungen unter den einfachen Soldaten war und dort den sterbenden jungen Männern in die Augen sehen konnte, verabscheute er den Krieg umso mehr.

Sie waren alle so jung, so unerfahren, fast utopisch und euphorisch im Kampf. Und das obwohl sie wussten, dass ihnen gegenüber auch junge Soldaten standen, die ebenfalls nur unerfahrene Sterbliche waren – Menschen wie wir alle. Sie alle hatten mit Tränen in den Augen ihren wartenden Müttern gesagt, dass sie zurück nach Hause kommen würden, ob nach Serbien oder Bulgarien oder anderswohin. Der Balkankrieg war grausam, denn er riss viele junge Männer nicht in den ehrenvollen Tod im Kampf gegen einen vermeintlichen Feind, sondern in den Tod durch Hunger oder den rastlosen Vormarsch von Krankheiten – ein Sterben ohne großen politischen oder ethischen Grund.

Das wusste der Großvater und er beschloss daher, den jungen Soldaten ein wenig von seiner Lebenserfahrung zu übermitteln. Es gab verschimmelten Käse zu Essen. Viele warfen ihn weg. Doch der Großvater entfernte vorsichtig die Sporenschicht grünblauen Schimmels und gab es den erkrankten jungen Männern, mit denen zusammen er auf die Schlacht warten musste. „Das hilft, statt Antibiotika, die wir garantiert nicht bekommen werden“, sagte der Großvater. Er hatte noch Reste Getreidekaffee und hausgebranntem Rakija. Darin löste er einige Brotkrümel und aß davon. Die Soldaten, die davon aßen, haben überlebt. Fast ohne Le­bensfreude waren diese Männer, das Warten auf den Krieg machte sie apathisch. So weckte Großvater mit seinem Schimmelkäse wieder die Lebensgeister der armen, ausgehungerten Kranken. Seit dieser Zeit isst bei uns zu Hause niemand Schimmelkäse, obwohl er als besonders gesunde Käsespezialität gilt.

So kehrte mein Großvater ohne Infektionskrankheit wieder nach Hause zurück, hatte danach aber immer Probleme mit dem Essen, Magen, Darm und den anderen Innereien. Um seinen Bauch herum trug er seitdem eine ganz enge Leistenstütze, wie der Eiserne Heinrich aus Brüder Grimms Märchen – nur war die Leistenstütze nicht aus Eisen. Ich habe nie gehört, wie er sich über etwas beschwerte. Er sagte immer: „Niemand ist größer als das Brot.“ Meinte er vielleicht das Schimmelbrot, das ihn vorm Verhungern gerettet hatte? Übers Essen machte er sich nie lustig. „Man spielt nicht mit dem Essen!“, das habe ich später immer von meiner Mutter hören müssen, wenn ich Brotreste wegwerfen wollte. Einmal schaute sie mich tadelnd dabei an, und ich machte es nie wieder.

Bildquelle: Martin Mikush


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Kommentare

3 Antworten zu „Literarische Rendezvous: Das verschimmelte Brot“

  1. Avatar von Daniela

    Die Pest fordert den Sold.
    Der Tod isst verschimmeltes Brot

    So schoen!!!!

  2. Avatar von Manfred

    Hi, ein wirklich sehr interessanter Artikel ist das hier. Echt gut geschrieben. Viele Grüße aus Leipzig, Manfred

  3. Avatar von Rebell

    Die Pest fordert den Sold.
    Der Tod isst verschimmeltes Brot
    Die Ratten tanzen auf Unrat und Kot
    Der Mensch ist in der Not.
    Burkhard Lüning (c)2011

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