Brief aus Krakau…

von Nelly

Kaum ging vor einer Woche mein entspanntes Gammelsemester in Kraków zu Ende, hatte ich heute meinen ersten Arbeitstag in Iasi, der kleinen rumänischen Kulturstadt direkt an der moldawischen Grenze. Schon nach drei Tagen in Rumänien sehe ich große Veränderungen auf mich zurollen: Regte ich mich in Kraków über die polnische Schickeria, die Touristenströme und alles zukackenden Tauben auf, bin ich nun mit rumänischer Armut, einer ausländerungeübten Bevölkerung und streunenden Hunden konfrontiert.


Iasi scheint mir alles bieten zu können, was ich während meines Erasmussemesters vergebens gesucht
habe: ein fremdes Flair, eine neue Kultur, den Nervenkitzel, in eine Straßenbahn zu springen und nicht
zu wissen, wohin sie fährt (wenigstens habe ich mittlerweile erfahren, dass die Bahnen hier Runden fahren
– jetzt brauche ich mich nicht mehr wundern, warum nie die selbe Nummer zurück kommt, mit der ich gekommen bin), die Aufregung, ein Foto zu schießen und von den Jugendlichen darum angefeindet zu werden und Menschen über 30, mit denen ich mich nur mit Hand und Fuß verständigen kann, weil sie
kein Englisch sprechen.

In Kraków war das Leben leicht: alle Speisekarten waren übersetzt, alle Einwohner waren aufgeschlossen
und freundlich, die Stadt war (bis auf die Taubenkacke) herausgeputzt und aufgehübscht. Die Kaffeekultur
erlaubt den Krakówern und seinen Besuchern ein relaxtes Leben. Fernab von Uni- und Alltagsstress werden die neuen Klamotten und Haarschnitte zu einer heißen Schokolade ausgeführt. Zu schnell nervte mich diese Puppenwelt – doch bevor mir die Pobacken beim Anblick der langweiligen Innenstadt einschliefen, stieß ich auf Nowa Huta, die ehemalige Sozialistenhochburg am Rande Krakóws. Nowa Huta wurde nach dem Zweiten
Weltkrieg aus dem Boden gestampft, um den Arbeitern in dem neu errichteten Eisenwerk genügend Wohnraum zu geben.
Nach der Wende entwickelte sich der Stadtteil zu einer No-Go-Area; bevor ich das erste Mal raus fuhr, wurde ich ständig über die Gefährlichkeit des Viertels „aufgeklärt“. Was ich tatsächlich fand, als ich nach halbstündiger Bahnfahrt endlich ankam, war ein begrünter Erholungsort, in dem die Zeit stehen geblieben ist. Fernab von den Kringelverkäufern, lackbeschuhten Mädchen und stylischen Klamottenläden, treffen sich hier
die Rentnerinnen zum Plauschen auf der Parkbank, die Opas zu einer Runde Schach oder Poker, Mütter
und Kinder zu einem Bummel durch die riesigen Second-Hand-Läden. Lesend in meinem neuen Lieblingspark inmitten der monumentalen Bauten (oder wie mein Opa es ausdrückte: „Sieht ja aus wie Eisenhüttenstadt!“), konnte ich doch noch meinen Frieden schließen mit dem großen, sauberen Kraków.
Und so kullerten vor sieben Tagen die Abschiedstränen, die sich vor meinem Abflug nach Rumänien in
Angstschweiß verwandelten. Kurz vor der Ankunft in Bukarest fiel mir auf, dass ich gar keine Vorstellung
von diesem Land hatte: alles Wissen hatte ich mir mit einem Reiseführer angeeignet. Als ich aus dem Flugzeug stieg, raffte mich erst einmal die Hitze dahin.

Natürlich hatte ich auch darüber gelesen, aber theoretisch hören sich durchschnittliche 30° in den Sommermonaten nicht so schlimm an. Ich sammelte mein Gepäck ein und buckelte mit den schweren
Taschen zu einer Bushaltestelle. Es traten die ersten Sprachschwierigkeiten auf: Niemand konnte mir
sagen, wo mein Bus fuhr. Fahrpläne gibt es hier generell nicht, mit etwas Glück sind die Bus- und Bahnnummern an den Wartehäuschen vermerkt. Nachdem ich eine halbe Stunde in glühender Hitze an einer
falschen Station gewartet hatte, zeigte mir jemand, wo mein Bus tatsächlich fuhr. Nach zwei weiteren
Entgleisungen (ich sprang erst in den Bus, der in die falsche Richtung fuhr, dann schaffte ich es mit meinen
unzähligen Taschen nicht, an der richtigen Haltestelle auszusteigen (denn der Fahrer lässt dafür ca. sieben Sekunden Zeit) kam ich endlich im Hostel an und brach auch schon wieder zum Hauptbahnhof auf, um mir das Zugticket nach Iasi zu kaufen. Einen Tag, einige Anfeindungen wegen Fotogeknipse und eine sexuelle Belästigung später fuhr ich in einem bis zu 52° C aufgeheizten sechs-Mann-Abteil durch die Lande, um 6,5 Stunden später in Iasi anzukommen.
Nun bin ich seit einem Tag hier, habe schon ein Jazzfestival, einen Arbeitstag und eine Bahnfahrt quer durch die Stadt miterlebt und glaube, endlich ein großes Abenteuer zu erleben.


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