An einem deutschen Tatort – Barack Obama in Buchenwald

von Martin Müller

Der Besuch des amerikanischen Präsidenten regte zum Nachdenken über den Umgang mit der deutschen Vergangenheit an. Als Barack Obama am 5. Juni das ehemalige Konzentrationslager Buchenwald besuchte, durfte eine Gruppe von Gedenkstätten-Mitarbeitern und Geschichtsstudenten der FSU Jena den Besuch des amerikanischen Präsidenten vor Ort miterleben.

Wir hatten die Chance, einen Blick hinter die Kulissen zu werfen und die Planungen im Vorfeld zu verfolgen – wenn auch aus einiger Distanz. Wir erlebten, wie sich die amerikanische Präsidentenadministration und das Bundeskanzleramt bis zum letzten Tag harte Diskussionen lieferten, wie ein solches Medienereignis zu planen und zu inszenieren sei: Zu Besuch war immerhin der Nachfahre des amerikanischen GIs, der im Jahre 1945 ein Außenlager von Buchenwald mit befreit hatte.

Sturmfrisuren, Winkelemente und Geschichtsdeutung
Es wurde erörtert, wo Frau Merkel unbemerkt von Kameraobjektiven das Haar gerichtet werden könne, sollte der Wind auf dem Ettersberg doch zu stark wehen – es geschah zwischen dem Eintrag ins Goldene Buch der Stadt Weimar und dem Gang zum Lagergelände. Überlegt wurde auch, an welcher Stelle die Studenten fürs Fernsehen als „Winkelemente“ zu platzieren seien – wir waren dann doch nicht nur Erfüllungsgehilfen, sondern durften Obama, Merkel und Elie Wiesel begrüßen und uns kurz mit Ihnen unterhalten. Auch eine wichtige Frage: Welche Personen dürfen den Präsidenten und die Kanzlerin während der Führung durchs ehemalige Lager begleiteten? Der thüringische Ministerpräsident zum Beispiel durfte nicht.
Es war eine Debatte, bei der Wahlkampf, Geschichtsdeutung und die Suche nach dem richtigen Umgang am konkreten Ort bis zum letzten Moment eine wichtige Rolle spielten. Am Abend zuvor waren wir nach Buchenwald gefahren, erst dort erfuhren wir: Es werde doch keine Diskussion mit dem Präsidenten geben, wie sie von deutscher Seite vorgeschlagen worden war. Stattdessen würden wir einen ganzen Tag mit Bertrand Herz und Floréal Barrier verbringen können, zwei Buchenwald-Überlebenden. Für Obama, Merkel und Wiesel gab man uns fünf Minuten Zeit.

Erste Höhepunkte
Der folgende Tag sollte spannend werden. Klar war das Zusammentreffen mit Obama für uns der Tageshöhepunkt, in Erinnerung bleiben aber wohl die ausführlichen Gespräche mit Herz und Barrier, die wir mittags im „Hotel Elephant“ in Weimar führen durften und nach einer hastigen Fahrt in der Eskorte hoch zum Ettersberg – vorbei an mehr als 3.000 sichtbaren und versteckten Polizisten (ein Anblick, der skeptisch stimmen konnte und sicher nur durch wenige Fotos bezeugt wurde) – fortführten.

Generationen im Gespräch

Mit Barrier und Herz sprachen wir über Vieles: Über ihre Erfahrungen im Lager, über ihr Leben nach Buchenwald, ihren Zugang zur eigenen Vergangenheit und über die an den Besuch von Obama geknüpften Erwartungen, aber auch über ihr alltägliches Leben in Frankreich und ihre Familien – eben über Dinge, die ganz und gar nicht zur Situation und zum Ort, an dem wir waren, passten. Oder vielleicht doch? Beide sprachen jedenfalls davon, wie wichtig es ihnen sei, dass mit Barack Obama ein amerikanischer Präsident Buchenwald besuche. Das geschehe eben nicht nur um des Ereignisses willen, vielmehr eröffne sein Besuch eine Reihe von Möglichkeiten, diesen Ort des Gedenkens zu einem Ort zu machen, der von den Gästen Weimars und den Weimarern genauso besucht werden sollte wie die ehemalige Kulturhauptstadt selbst. Gleichermaßen war es den beiden sehr wichtig, diesen Moment gemeinsam mit uns teilen zu können, da wir die Vertreter einer Generation seien, die die Form des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus und die Art der Erinnerung zukünftig mitbestimmen würden.
Das Treffen mit Obama, Merkel und Wiesel vor dem Eingang zum Lagergelände nahm nur einige wenige Minuten in Anspruch. Jedoch blieb Zeit genug, ein paar Worte zu wechseln. Ein „It’s good to see the youth involved here!“ des Präsidenten genügte, die Spannung war nun sichtlich gelöst, es blieb nicht viel mehr, als dem Präsidenten ein „Glad that you are visiting that place!“ zu entgegnen …

Wahlkampf auf dem Ettersberg
Dass der thüringische Ministerpräsident den Besuch für eigene Wahlkampfzwecke zu nutzen versuchte, indem er sich mit Barrier und Herz ablichten und der Thüringer Kultusminister sich ohne Akkreditierung hoch zum Ettersberg fahren ließ, nur um Obama und Merkel möglichst medienwirksam die Hand schütteln zu können, wurde von Barrier und Herz nur müde belächelt. Und so flüsterte Barrier beim Eintreten von Althaus scherzhaft, wer das denn sei. Kurzum: Das Zusammentreffen mit Obama und Merkel war aufregend und ein einmaliges Erlebnis, sich im Rampenlicht von Obama zu sonnen, ein kurzer Genuss. Wichtiger jedoch waren andere, und mit ihnen verbrachten wir einen wundervollen Tag.

[Martin Müller (25) ist Student der Osteuropäischen Geschichte und der Politikwissenschaft an der FSU Jena. Er ist Mitglied bei ACOTO, weil es auf die Frage „Was ist das? – A-CO-TO?“ viele Antworten gibt.]


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