Akwaba en Côte d’Ivoire – Land der Brüderlichkeit und der sozialen Extreme

von Juliane Börner

Das sind die bekannten Fakten. Manch einer mag sich außerdem an den Bürgerkrieg erinnern, der 2002 begonnen hat und bis heute noch nicht so richtig beendet wurde. Naja, Bürgerkrieg und Afrika gehören eben zusammen. Genauso die korrupten und machtbesessenen Regierungsapparate, die sich mit Hilfe von Pseudowahlen gegenseitig die Klinke in die Hand drücken, um sich dann am Elend der hungernden Bevölkerung zu bereichern, indem sie westlichen Industrien gegen eine entsprechende Aufwandsentschädigung das Monopol für Benzin, Medikamente und Holz überlassen.

Zwiespältiges Verhältnis zu westlichen Einflüssen
Da passiert es auch mal, dass man in Abidjan im Restaurant an der Ebrie-Lagune chinesischen Fisch isst und im Land des Kakaoexportweltmeisters die einzige ivorische Schokolade Mambo in vier Geschmackssorten erst an der Kasse findet – für 820 Francs CFA pro Tafel. Das entspricht ca. 1,25 Euro. Im Vergleich: Eine Tafel Schoghetten gibt es im Teegut schon ab 55 Cent. Die Globalisierung hat auch in der Elfenbeinküste längst Fuß gefasst. Allerdings ist man dank Barauszahlungen von Löhnen und Gehältern bzw. in Ermangelung von Bankkonten und EC-Karten der Wirtschaftskrise zumindest in ihren direkten Auswirkungen entgangen. Indirekt äußerte sie sich schon im Vorfeld durch die achtzigprozentige Verteuerung von Lebensmitteln wie Reis und einer vierzigprozentigen Steigerung des Benzinpreises. Aber derartige Hiobsbotschaften stürzen die Ivorer nicht in Depressionen. Vielleicht sind die Straßenmaquis mal ein bis zwei Tage weniger gut besucht sein – wie an jedem Monatsende, wenn das Geld nicht mehr für eine Flasche Guinness, Tuborg oder ein „Drogba“-Bier reicht. Vielleicht sind die Straßen eine Weile leer, weil die Taxifahrer für eine Woche in Streik treten oder ein paar Flüge verschieben sich wegen des Streiks der Flughafenbeamten (auch wenn das Verhältnis zur ehemaligen Besatzungsmacht Frankreich eher zwiespältiger Natur ist, werden gewisse Eigenschaften doch ganz gern übernommen – selbst wenn es die französische Streikkultur ist). Nachtragend sind die Ivorer deshalb nicht, resignieren käme ihnen nicht in den Sinn. Sicher, von den tüchtig arbeitenden Deutschen könnten sie noch etwas lernen. Einen gut funktionierenden Busfahrplan wünscht sich mancher Aufsteiger der Bourgeoisie schon hin und wieder.

Hoffnungsträger: die ivorische Mittelschicht
Die ivorische Mittelschicht. Arm genug, um die wirtschaftlichen Zustände zu missbilligen. Wohlhabend genug, um sich an der oberen gesellschaftlichen Klasse und allem, was westlichem Einfluss entspricht, zu orientieren. Gebildet genug um zu wissen, was politisch in diesem Land schief läuft. Aber vielleicht zu unerfahren daran um etwas zu ändern? Irgendwie hat jeder von ihnen Kontakte ins Ministerium. Und jeder hat mindestens einen Bruder oder einen Cousin, der mit einer Europäerin verheiratet ist oder für ein paar Monate in Europa war. Zumindest war das zu Zeiten einer afrikafreundlicheren Außenpolitik Frankreichs ein kleineres Problem als heute. Solange man sich die Betonmauer mit Stacheldrahtzaun und den Gardien, einen bezahlten Wachposten, vor seinem Grundstück mit Haus und Swimmingpool leisten kann, geht es einem ja auch gar nicht schlecht. 1 000 000 Francs CFA Miete „c’est rien“. Um die politischen Probleme kümmern sich doch die Europäer mit ihren NGOs und unterschiedlichsten Hilfsprojekten. Die haben sie schließlich in Kolonialzeiten auch verursacht. Und wozu sollte ein europäischer Freund sonst gut sein, wenn er keine finanzielle Unterstützung oder zumindest Kontakte ins industrialisierte Ausland verspricht? Schließlich zücken die Weißen doch bei jedem bettelnden Kind mit zerschlissenen Klamotten sofort ihre Hundert-Francs-CFA-Jetons und kaufen das Adidas-Plagiat auch zum dreifachen Preis – ohne zu handeln. Anders als mit schlechten Gewissen lässt sich ein solches Verhalten kaum erklären …

Erklärungen leicht gemacht
Und da haben sie ja auch recht, die Ivorer, nicht wahr!? Selbst wenn wir die Schuhe nicht für zwei, sondern sechs Eurp kaufen, sind sie doch wesentlich billiger als in Deutschland. Einem Gehbehinderten 100 Francs CFA (also fünfzehn Cent) zu geben, bringt uns doch nicht um. Mag sein, dass er simuliert, aber auf jeden Fall besitzt er wesentlich weniger Geld als wir. Selbst als Student mit 200 Euro BAföG im Monat ist man wesentlich reicher als so manche ivorische Großfamilie. Und überhaupt haben die Ivorer aufgrund ihres geringen Bildungstands (das ivorische Abitur steht vermutlich in keinem Verhältnis zum deutschen) doch gar nicht die nötigen Voraussetzungen sich aus ihrer misslichen Lage zu befreien. Wenn man trotz Palu (Malaria) einen sechzehnstündigen Arbeitstag auf sich nimmt – zeugt das nicht großer finanzieller Not? Und der Grund dafür? Europa unterdrückte den „schwarzen Kontinent“ Jahrhunderte lang, beutete seine Rohstoffe, kulturellen Werte und Güter aus und stülpte afrikanischen Staaten demokratische Regierungen über ihre monarchischen Herrschaftssysteme. Vergeblich versuchte man damit rivalisierende Volksstämme zu vereinen.
Aber so einfach ist es dann doch nicht. Dass ein Brunnen in einem afrikanischen Dorf wenig nützt, solange niemand damit umzugehen, geschweige denn ihn in Schuss zu halten weiß, lehrte uns nicht erst die Anekdote darüber. Deutsche Organisationen und Institutionen arbeiten seit Jahren nach diesem Prinzip: Anstelle von Geld wird Know-how vermittelt. Um ehemalige Rebellen zu resozialisieren, werden Maschinen und Gerätschaften zur Verfügung gestellt.
Sollte es 2009 wirklich wie geplant zu Neuwahlen kommen, reicht es nicht mehr, Entschuldigungen und Erklärungen mit kulturellen Unterschieden zu begründen. Es ist an der Zeit, die Ivorer in die Verantwortung zu nehmen, ihnen mehr zuzutrauen, sie zu ermuntern und zu fordern. „Le pays de la fraternité“, das sie doch so sehr lieben, muss aus eigener Kraft wieder in neuem Glanz erstrahlen. Dann könnte sich die Elfembeinküste auch wieder so nennen wie einst: „Schweiz Westafrikas“.


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