„Deutschlands Verantwortung wächst“: Steinmeiers „Flugschreiber“

Deutschland hat einen neuen Bundespräsidenten. Vor kurzem hatte Frank-Walter Steinmeier – noch als Außenminister – ein Buch veröffentlicht. Was sagt es über sein Denken?

von Frank

In der Politik brauchen die Dinge oft Zeit. Darum war vermutlich Frank-Walter Steinmeiers Buch Flugschreiber schon längst fertig und im Druck, bevor klar war, dass er der neue Bundespräsident werden würde. Dennoch bietet der 240-seitige Band eine Reihe interessanter Eindrücke in die Praxis deutscher Außenpolitik (die wohl gerne auch etwas weniger ereignisreich sein dürfte) und die Gedanken Steinmeiers dazu.
Sein Buch erzähle „vom Reisen und vom Reden“, so Steinmeier im Vorwort; das eine ist in seinem Falle die Vorraussetzung des anderen, jedenfalls wenn man die Außenpolitik als zwischenmenschliche Praxis begreift, mit persönlichen Treffen und Vieraugengesprächen. Dass Steinmeier dies tut, daran lässt er in Flugschreiber keinen Zweifel.
Das Buch versammelt zehn ausgewählte Reden der Jahre 2013 bis 2016, jeweils mit den Informationen zu Zeit, Ort und Anlass – etwa die UN-Vollversammlung in New York im Oktober 2015 oder das Deutsch-Polnische Forum in Warschau im April 2016, am Jahrestag des Ghetto-Aufstands. Hingeführt wird dazu mit Kapiteln zum generellen Thema der Rede, mit Anekdoten, Beispielen, Reiseberichten. Über allem steht die Frage „Was kann deutsche Außenpolitik leisten – und was nicht?“

„Ein Vierteljahrhundert nach Ende des Kalten Krieges ist die Welt nicht mehr bi-polar und (noch) nicht multi-polar, sondern non-polar.“

Inzwischen sei in der Weltpolitik die „Krise zum Normalfall geworden“, so Steinmeier; basierend darauf geht es in seinen Ausführungen immer wieder um das Thema „Ordnung“ – um deren Schaffung, deren Wandel, und nicht zuletzt Deutschlands Rolle bei beidem. Hierbei gehe es nicht um Machtwille oder Machtfantasien deutscher Politiker, sondern die „wachsenden Erwartungen an unser Land“ – vielleicht gibt er damit auch einen Vorgeschmack auf das, was wir von ihm als Bundespräsident erwarten sollten?

Bedacht und höflich, mitunter floskel-lastig
Natürlich werden in den einzelnen Kapiteln eine ganze Reihe bilateraler Beziehungen ausbuchstabiert – zu Russland, Israel, Polen, den USA und, wie könnte es anders sein, zu Frankreich. Steinmeier geriert sich als ruhiger Erklärer; fast nie liefert er Wertung der Gesprächspartner oder Kollegen, und wenn, dann sind diese positiv. Flugschreiber ist geschrieben, wie Steinmeier Reden hält; man hat unweigerlich seine sonore Stimme im Kopf. Er wählt die Worte mit Bedacht. So sehr das bei einem wie Steinmeier selbstverständlich scheint, so wenig ist es das doch eigentlich, schaut man auf andere Politiker (auch Staatsoberhäupter) unserer Zeit. Dabei beschreibt er dennoch teils sehr eingängig – etwa den Terror-Abend im Stade de France im November 2015.
Steinmeiers Buch liefert Einblicke in den Diplomatenalltag, in dessen Rituale und Routinen, was meist recht unterhaltsam, manchmal ein bisschen banal ausfällt. Auch vor Phrasen ist der (Ex-)Außenminister nicht gefeilt, sei es die „Welt aus den Fugen“, das „Ringen um zukünftige Ordnung“ auf der „großen weltpolitischen Bühne“ – oder der im Buch eines Sozialdemokraten unvermeidliche Willy Brandt.

„Die Frage, die mir über das Reisen wohl am häufigsten gestellt wird, ist, wie oft ich morgens in einem Hotelzimmer aufwache und nicht weiß, in welcher Stadt und welchem Land ich bin.“

So manches, was dem Leser in Flugschreiber begegnet, kennt man bereits: vom Bundeskanzlerkandidaten Frank-Walter Steinmeier, vom langjährigen Außenpolitiker. Die Betonung der deutsch-franzöischen Partnerschaft etwa, die deutsche Verantwortung – für Europa, für den Frieden, aus der eigenen Geschichte. Als Fraktionschef in der Opposition zeigte sich Steinmeier manchmal angriffslustiger, hier nicht: Themen der Außenpolitik, so zeigt er unterschwellig, stehen über den Parteien – ein politisches Talent, das ihn für sein neues Amt als Staatsoberhaupt wohl hilfreich sein kann, ähnlich wie der Umstand, dass er viele wichtige Akteure aus seiner Zeit als Außenminister noch persönlich kennt.

Vorzeichen für die Amtsführung?
In einem der Kapitel von Flugschreiber heißt es: „Gegen Ideologisierung hilft nur Differenzierung. Gegen Ideologie hilft nur Aufklärung! Und Aufklärung, das bedeutet, einen eigenen Standpunkt zu haben. Das bedeutet, Unterschiede zu erkennen und zu benennen.“ Zwar bezieht sich Steinmeier hierbei auf Ideologien und Feindschaften im internationalen Bereich. Aber auch in seiner Antrittsrede vor der Bundesversammlung mahnte er: „Der Ängstliche ist anfällig für die Lockrufe jener, die immer mit ganz einfachen Antworten zur Stelle sind“ – dabei könne man doch wissen: „Die einfachen Antworten sind in der Regel keine Antworten.“
Er wolle als Staatsoberhaupt kein „Vereinfacher“ sein, hatte Steinmeier an anderer Stelle bereits gesagt. Dass er ein Erklärer sein kann, zeigt Flugschreiber bereits, für das Feld der Außenpolitik jedenfalls – nun muss er sein Talent noch in seinem neuen Amt beweisen.

Frank-Walter Steinmeier:
Flugschreiber: Notizen aus der Außenpolitik in Krisenzeiten
Propyläen Verlag 2016
240 Seiten
24,00 €

Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert