Ein Ort des Scheiterns – und der Hoffnung

(Foto: flickr-User Still Burning)

Im Gefängnis werden Häftlinge auf dem Weg zurück in die Gesellschaft von Sozialarbeitern betreut. unique hat mit zwei von ihnen über ihre schwierige Arbeit gesprochen.

von Lena

Wir befinden uns mitten im gesellschaftlichen Aus, umgeben von hohen Mauern, Kilometern von Stacheldraht, zwischen schmalen Gängen und Gitterfenstern. Die Schlüssel klirren alle paar Meter und eine Tür nach der anderen fällt ins Schloss. Es ist ein kleiner Ort mit vielen Menschen und es liegt in jeder Minute Hoffnungslosigkeit und Frustration in der Luft.
In der Strafvollzugsanstalt findet sich nicht nur der geballte Wegschluss von Kleinkriminellen und Schwerverbrechern, sondern auch der komprimierte Optimismus der Sozialarbeiter. Jeden Tag müssen sie diesen Ort wieder mit neuer Motivation beleben und jeden Tag ist mit neuen Rückschlägen zu rechnen. Es wird Telefonate mit resozialisierten Exsträflingen geben, die von ihrem neuen Leben erzählen, von den Jobs, die ihnen vermittelt, den Wohnungen, die ihnen verschafft wurden, oder von den Entzugskliniken, die sie erfolgreich verlassen konnten. Es wird aber auch Neuankömmlinge geben, die man bereits mit Namen begrüßt, und Häftlinge, die ihre endlich begonnene Ausbildung im Gefängnis doch wieder abbrechen, und Paragraphen, die eine wichtige Maßnahme wieder nicht gestatten. Es wird Drohungen von enttäuschten Tätern geben, die mehr von ihren Sozialarbeitern erwartet haben, und deprimierte Kollegen, die bei ihrer Arbeit einfach nicht weiterkommen. „Der Sozialarbeiter hat quasi ein Dreifachmandat: seine eigene Einstellung und Perspektive, das System an sich und der Gefangene“, erklärt Janine Sporschill, Sozialarbeiterin mit Erfahrung aus verschiedenen Vollzugsformen. Aber was genau macht die Arbeit eines Sozialarbeiters im Gefängnis aus? Welche Faktoren wirken unterstützend und welche Ursachen kann ein Misserfolg haben?

Halligalli-Drecksau-Party
„Ooh, das ist total geil hier, das ist ja wie im Ferienlager, das ist hier Halligalli-Drecksau-Party“, beschreibt Frau Sporschill die Einstellung der jugendlichen Straftäter zum Gefängnis. Gedanken über Fehler der Vergangenheit oder Gefahren der Zukunft schieben sie weit von sich. Doch das Gefängnis ist keine „Halligalli-Drecksau-Party“, sondern ein Einschnitt im Leben der Häftlinge. Sie sind am Ort des Scheiterns angekommen. Bewusstsein für die Vergangenheit und Hoffnung für die Zukunft zu schaffen, das ist die grundlegende Aufgabe eines Sozialarbeiters. „Das Problem liegt hier in der fehlenden sozialen Kompetenz“, erklärt Frau Sporschill, „es gibt keine innere Auseinandersetzung mit den Dingen, keine Reflektion, keine Selbstverantwortung.“ Dabei ist jeder Jugendliche anders, jede Persönlichkeit, jede Entwicklung, jeder Reifegrad braucht individuelle Betreuung. Betreuung, um die Fähigkeiten für ein Leben in sozialer Verantwortung ohne Straftaten zu erlangen. Danach strebt das Gesetz – die Wirklichkeit ist allerdings nicht so einheitlich und deutlich wie die Vorschriften.
„Ich würde es vielleicht nicht chaotisch nennen, aber es ist abwechslungsreich“, beschreibt Frau Sporschills Arbeitskollege Michael Petersen seinen Arbeitsalltag. Einzelgespräche mit Gefangenen, Schreibtischarbeit, Sitzungen mit Kollegen, Betreuung von Freizeitgruppen, Kommunikation mit verschiedenen Ämtern – die Liste ist lang. Lang sind auch die Gesichter der Gefangenen, wenn ihnen bewusst wird, dass Selbstinitiative ihrerseits trotz der umfangreichen Tätigkeiten der Sozialarbeiter unabdingbar ist. „Na ich werde in einem Monat entlassen, da müssen Sie mir mal ´ne Wohnung besorgen!“, wurde Frau Sporschill schon entrüstet aufgefordert. Das ist aber nicht ihre Aufgabe. Sie nimmt „nur“ eine Helferrolle ein. Der Häftling kann Anträge stellen, Unterstützung fordern und in Zusammenarbeit mit seinem Helfer an einer Zukunft, in Form von Wohnung und Arbeit, feilen. Die Gefangenen müssen sich an diesen vorgegebenen Rahmen anpassen. Gerade jugendliche Straftäter haben Anpassung nicht gelernt. Es fällt ihnen schwer, Regeln zu akzeptieren. „Sie brauchen den Knast“, fasst Frau Sporschill zusammen. „Keine andere Wohnform, keine Schule, kein Lehrer, keine Eltern können das, was der Knast kann. Das ist leider einfach so.“ Aber was ist am Gefängnissystem so andersartig? Was ist der ausschlaggebende Punkt, der es von den Systemen der Außenwelt unterscheidet? „Zwang. Wir sind ein Zwangssystem. Wir arbeiten mit Zwangsmaßnahmen. Wir haben den Schlüssel für ihre Zelle. Ohne kommen sie nicht raus“, erklärt Herr Petersen das Vorgehen im Gefängnis. „Ansonsten wird mit Sanktionen gearbeitet.“
Diese Struktur bringt die strauchelnden Jugendlichen zum Laufen. Die Sozialarbeiter begleiten diesen Weg. Dabei sehen sie einige fallen und manche weitergehen. „Es gibt Entlassene, die Stabilisierung in sehr positiver Form erfahren haben, die immer wieder Kontakt halten, anrufen und vom neuesten Stand der Dinge berichten“, erzählt Frau Sporschill. Aber es gibt auch Fälle, die nach langer Betreuung trotzdem erneut inhaftiert werden. Frustration, Zufriedenheit, Wut, Freude, Enttäuschung – ein Wechselbad der Gefühle gehört zur Tagesordnung. „Wir lassen unsere Emotionen nicht an der Pforte zurück“, meint Herr Petersen, „daher ist es für uns erforderlich, eine innere Stabilität aufrechtzuhalten.“ Viele spätere Sozialarbeiter absolvieren den Studiengang „Soziale Arbeit“, lernen dort viel Theorie und entwickeln in wenigen Wochen Praktika Ideale, die sie in ihrem Beruf verwirklichen wollen.
Über die Jahre des Berufsalltags weicht dieser massive Idealismus einem pragmatischen Realismus. Die Wirklichkeit, die im Gefängnis herrscht, und die Probleme, die sich durch System oder Häftlinge ergeben, holen die motivierten Absolventen auf den Boden der Tatsachen zurück. Anteilnahme und Unterstützung für sich selbst finden die Sozialarbeiter bei ihren Kollegen. Probleme, die durch emotionale Belastung entstehen, werden oft miteinander aufgearbeitet oder einfach geteilt. Dabei sind Männer und Frauen gleichermaßen betroffen.

Bessere Betreuung als im Altersheim?
Körperliche Unterlegenheit kann in wenigen, brenzligen Situationen eine Rolle spielen. „Da gab es mal eine Situation“, erinnert sich Frau Sporschill, „da hat sich ein Strafgefangener vor mir aufgebaut. Er redete halb russisch auf mich ein, kam immer näher. Das wurde zu einer massiven Bedrohungssituation. Als das Ganze fast eskalierte, kamen andere Gefangene dazu und haben eingegriffen.“ Dieser Vorfall geschah in einer Strafanstalt für Erwachsene – eine solche Situation hätte es mit Jugendlichen wahrscheinlich nicht gegeben. Jugendliche agieren zwar schnell laut und körperlich gegen ihre Mitgefangenen, ihr Handeln entbehrt aber meist der Ernsthaftigkeit. Dagegen sehen die älteren Häftlinge das Gefängnis nicht mehr als „Halligalli-Drecksau-Party“, sondern als verpatzte Chance, seine Lebenspläne zu verwirklichen. Auch darauf müssen sich die Sozialarbeiter einstellen. Die Erwachsenen agieren viel verhaltener und weniger emotional als Jugendliche. Viele versuchen aktiv, ihr Leben wieder herzustellen. Natürlich trifft das nicht auf alle zu. Frau Sporschill erzählt von einem über 80-Jährigen, der sein halbes Leben im Gefängnis zugebracht hat und dort seinen Lebensabend verbringen wollte. „Der fand das im Vollzug klasse, eine bessere Betreuung hätte er im Altersheim nicht haben können.“ Dieses Beispiel demonstriert einmal mehr, wie viele Altersklassen und Persönlichkeiten einem Sozialarbeiter entgegentreten.
Dieser Facettenreichtum prägt die Tätigkeit im Gefängnis. Es ist eine Arbeit im gesellschaftlichen Aus. Eine Arbeit, bei der viele Türen schwer ins Schloss fallen. Aber manchmal, da geht eine Tür auf – und lässt Mauer, Stacheldraht und schmale Gänge vergessen.

Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert