„Schreibt ja nicht, ich wäre gegen Gewalt!“

Ein Interview mit Lothar König.

Wofür kämpfst du?

An und für sich soll es ja keine blöden Fragen geben. Wofür ich kämpfe, womit ich kämpfe… Mit meiner Müdigkeit, mit meiner Lahmarschigkeit vielleicht auch. Ansonsten kämpfe ich, hoffe ich, beim Fußball. Da halte ich das auch für sinnvoll und wichtig, dass man da rangeht und alles dran legt und die Zähne zusammenbeißt. Um das Leben, da sollte man nicht kämpfen, Leute. Das ist einfach unsere Dummheit. Das Leben ist einfach da und es kommt wie es ist. Da scheint die Sonne und morgen regnet es und das ist wunderschön. Mein Leben ist unser Leben, geschenktes Leben, und da brauch‘ ich nicht zu kämpfen….

Politisches oder gesellschaftliches Engagement würdest du nicht als Kampf bezeichnen?

Nein, das gehört zum Leben mit dazu… was ist ein Mensch? Es gibt den arbeitenden Menschen, den feiernden Menschen, den politischen, sozialen und religiösen Menschen. Es gibt eigentlich für mich nur drei, vier wirklich wichtige Sachen, die anderen ordnen sich da mit ein. Insofern, wenn ich jetzt irgendwas mache, ob das politisch einzustufen ist… Was die Frage ist, ob es aus dem Leben herauskommt. So wie sich unser Leben gestaltet, mein Leben, euer Leben, unser Leben, das sind ja alles Verbindungen und Zusammenhänge. Und wenn ich jetzt alles machen will, würde ich mich verlieren. Ich bin ja nur einer von Millionen, von Milliarden. Ich versuche, meine Aufgabe in diesem Ganzen zu finden und zu sehen, das wird nie 100%ig sein, aber so in die Richtung … Ich bin ja der festen Meinung, ob ich mich nun im Politischen engagiere oder in anderen Bereichen, das hängt alles zusammen. Eine Sache alleine geht sowieso nicht, weil alles zusammenhängt. Insofern bin ich mal politisch, mal theologisch. Wie ich mich selber sehe… wie sehen mich Andere? Die sehen mich dann plötzlich nur als Politiker oder als Aktivist. Und wenn ich dann z.B. faul rumliege, will keiner wahr haben, dass ich das auch mache. Wenn ich mal sehr weise sein sollte, wird dieses „Kämpfen“ überhaupt nicht mehr sein, weil alles zusammengehört. Dann gibt es vielleicht doch mal ein Fußballspiel und dann muss man wieder ran. Aber da, wo ich nicht allein bin, da braucht man eigentlich nicht zu kämpfen.

Es gibt kaum eine Demo in Jena, wo man dich nicht mit einem Lautsprecherwagen sieht. Was motiviert dich, immer wieder auf die Straße zu gehen?

Nur mal so eine kleine Episode: 30. Januar 1993, da hatte ich die fünfte Demo im Jahr und hatte einfach keinen Bock mehr. Demos sind ja auch Rituale, die sich immer wieder wiederholen. Wo nicht nur ich,
sondern auch Andere sagen „Das bringt hier gar nichts, die Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus.“. Und umgekehrt: Wenn Faschos eine Veranstaltung ansetzen und wir gar nichts dagegen machen, wäre das genau so ein Fehler. Aus Verantwortlichkeit oder Pflichtbewusstsein nehme ich immer wieder an Demos teil. Es ist die Aufgabe, immer wieder diese Gradwanderung mitzumachen, in den Aktivismus/Aktionismus reinzukommen und nicht immer das Andere zu sehen. Diese Selbstkritik oder Systemkritik: Da waren wir in den 70er Jahren sowieso weiter. Systemkritisch heißt: Was für eine Rolle nehme ich da wahr in dem Ganzen und was macht wiederum die Gruppe in der ich bin und was hat das für ein Sinn? Bringt das was? Wenn Faschos aufmarschieren, dann stehen wieder alle da und ich kann dir genau sagen, was passiert und was danach sein wird.

Was ist deine Antwort auf die Frage, was das bringt?

Bestimmte Sachen müssen gemacht werden. Ob das was bringt oder nicht, ist erstmal jenseits davon. Wenn z.B. Faschos sich zu einer Demonstration oder Kundgebung zusammenfinden, hier in Jena oder woanders, muss es zumindest ein paar Leute geben, die auf der Straße stehen und sagen: „Das ist hier aber nicht in Ordnung.“. Gerade in der Sozialarbeit gibt es ein paar Sachen, die ich für gar nicht blöd halte. Wenn ein Jugendlicher über die Strenge schlägt, was man ihnen auch zugestehen muss und sollte, weil sie noch nicht sehr eingebunden sind um sich zu probieren, dann brauchen sie auch einen Gegenüber, der sagt: „Das finde ich nicht in Ordnung.“. Ich kann es zwar nicht verhindern, aber ich will dir klar sagen, dass ich das nicht OK finde. Der Andere muss dann überlegen, was er damit macht. Die Meisten setzen sich damit dann nicht auseinander. Aber letzten Endes ist es ja da, es tut ja jemand was. Ob das was bringt oder nicht, ist erstmal scheißegal. Wenn Faschos hier auf die Straße gehen, dann bin ich der Überzeugung, muss ich da irgendwas machen. Da hab ich gar keine Chance.

Ist Rechtsextremismus für dich hier in Jena oder Deutschland das zentrale Problem?

Nein, ach, kein zentrales Problem. Völlig nebensächlich.

Warum engagierst du dich dann gerade dort?

Viele Probleme die wir hier in der Welt haben, laufen da zusammen und das Ergebnis ist eben Rechtsextremismus. Das Grundproblem ist, dass wir „Linken“ – ich weiß nicht ob ich das so sagen soll – in den 80ern die Meinungsführerschaft abgegeben haben. Was soziale, gesellschaftliche und politische, also insgesamt die Probleme in der Welt anbelangt. Dass wir diese Meinungsführerschaft verloren haben und dass heute die Rechten die Aufgaben übernehmen, die zu meiner Zeit, 60er, 70er und 80er Jahre, für uns völlig selbstverständlich waren. Auf Verwerfungen aufmerksam machen, die unter uns Menschen völlig normal sind. Es gibt keine Gesellschaft die ideal ist, wo alles gut läuft. Es wird immer Probleme geben. Genauso wichtig ist, dass es immer wieder Menschen gibt, und nicht nur einzelne, sondern Gruppen, die den Finger drauf legen. Das ist das, was die Rechten seit den 90er Jahren machen und wir haben es faktisch aufgegeben. Ich seh‘ mich manchmal schon fast zum großen Verteidiger dieser Demokratie geworden und die Rechten legen den Finger auf die Probleme, die diese Gesellschaftsform bringt. Und da ballt sich was zusammen. Es sind ja nicht nur einfach Wirrköpfe, das wäre zu einfach gesagt. Umgekehrt ist es so, dass es keinen großen Streit der Ideen darüber gibt, was denn eine sinnvolle Gesellschaftsform wäre. Ich bin zu 60 oder 70% der Meinung, dass die Demokratie die beste Gesellschafts- oder Regierungsform ist, aber es gibt auch andere. Gestern Abend war ich im Stadtrat. Also diese Chaosveranstaltung… Wahnsinn, was da abläuft. Du hast keinen Überblick mehr über dieses Parteipolitische und nächstes Jahr sind Wahlen… Die machen das ja nicht bewusst, die Leute. Das Wenigste geschieht bewusst. Was sagt Berthold Brecht: „Die wenigsten Menschen
sind böse, das ist viel zu anstrengend.“. Und gestern: Die Grünen fordern einen Bürgerhaushalt, wo die Bürger mitbestimmen sollen und sagen, was sie gern hätten. Ob mehr Geld in die Rücklagen, die Zinstilgung oder den Straßenbau fließt. Diese Geschichte ist ja erstmal völlig OK. Das Problem ist, dass sich dann bestenfalls 5% der Bevölkerung daran beteiligen. Aus der Soziologie wissen wir, wir brauchen ungefähr 38% Prozent, dann hast du 100%. Und wenn wir uns dieser Zahl nicht wenigstens nähern – und der Haushalt ist in Jena das Wichtigste was wir zu entscheiden haben – dann stimmen 5000 oder 10000 Menschen per Mausklick ab und wollen ein neues Stadion. Dass aber so ein Stadion mindestens 40 Millionen kostet, die Stadt das gar nicht bezahlen kann und dass das Land gerade mehr oder weniger bankrott ist… Was bedeutet denn Bürgerbeteiligung, wenn alle schön auf Carl-Zeiss tippen? Alle Parteien gestern haben durch die Bank weg gesagt, sie sind für Bürgerbeteiligung. Die haben doch Angst, wenn sie das Gegenteil sagen, dass die Leute es nicht richtig verstehen. Aber fast alle wissen auch, dass es ganz schöne Augenwischerei ist. Ich war glaube ich der einzige der dagegen gestimmt hat, weil ich kein Bock mehr habe auf diese Verdummung. Also nicht die Bürgerbeteiligung an sich ist die Verdummung, sondern die Ebene auf der wir uns da bewegen. Und wir müssen wenigstens 20-25% Beteiligung erreichen, um wirklich einen Bürgerhaushalt hinzubekommen. Ansonsten heißt das: „Hier, beschäftigt euch!“. Und wie heißt es bei den ganz Linken? Basisdemokratisch. Alles wird unten entschieden. Das ist die größte Verarschung, die ich bisher miterleben durfte. Aber genial. In Gorleben, bei der Sitzblockade zwei Tage lang… Und alle paar Stunden haben sie erklärt: „Alles wird von unten bestimmt“, aber in einem Topf, der ziemlich klar umrandet war. Da drinnen wird die Suppe gekocht. Dass da ein ziemlich fester Rahmen war, wo nicht drüber abgestimmt wurde, das hat natürlich niemand gesagt und wollte auch niemand wissen. Von der Sprechergruppe zur Bezugsgruppe und wieder zurück. Den ganzen Tag beschäftigt, wunderbar, basisdemokratisch, alle haben sich wohl gefühlt. Eine ideale
Verarschung. So kann ich die Leute beschäftigen und die wirklich wichtigen Entscheidungen trifft dann eine kleine Gruppe.

Apropos Haushalt: Manche sind der Meinung, dass der Einfluss der JG auf die Jugend in den letzten Jahren abgenommen hat…

Ja, auf alle Fälle hat der abgenommen. Man muss ja sehen, dass es die JG überhaupt gibt, ist ja wie so ein kleines Wunder. Als wir 1990 wieder angefangen haben, da war ja ein Jahr Pause. Die Leute sind auf die Straße gegangen, hier war tote Hose und die engagierten Menschen haben das Kassa aufgebaut, Karl-Liebknecht-Straße, TWG und Kommunen. Es sind ja wirklich gute Sachen dabei herausgekommen. Es ist gut, dass es das Kassa gibt, bei allen Problemen, die man da auch sehen mag. Und wenn es solche Orte nicht gäbe, wo man auch rumnörgeln kann, dann wären wir ja dran. Dass es uns nun gelungen ist, die JG wieder
aufzubauen und die „linke Szene“, oder was man darunter versteht, wieder zusammenzuhalten und ein Zentrum zu schaffen, ist ja um 90/91 fast schon einmalig gewesen. In Erfurt ist das alles aufgeflogen. Da gab’s vier linke WGs und die haben sich eher miteinander und gegeneinander beschäftigt, als zusammen was hinzubekommen. Insofern die 90er Jahre, wo wir hier weitestgehend Zentrum waren, für mehr oder weniger alle linken Gruppierungen. Die Zeit ist vorbei und das kriegen wir auch nicht wieder hin. Wichtig scheint mir im Moment, dass – bei all den Sachen die in der linken Szene momentan so ablaufen wenn es einem gut geht – dass wir ein Stück Korrektiv sein können. Konkreter: Als 2000 die Antideutschen aufkamen. „Links“ ist ja traditionell, wenn es um Israel und Palästina geht, mehr auf der Seite der Palästinenser wegen Israel als großer Ableger der USA, als Vertreter des Imperialismus…

Kannst du sagen, wie du persönlich zu den Positionen stehst?

Ach, die Antideutschen haben ja bei uns nicht viele Chancen gehabt. Wir waren schon längst in Israel, da wussten die noch nicht mal, wo das liegt.

Aber sie sind ja schon sehr präsent. Es gibt kaum eine Anti-Nazi-Demo wo man nicht aufpassen muss, plötzlich vor einer Israelflagge zu stehen…

Die größte Israel-Fahne haben wir. Wir sind schon für Israel gewesen, da wussten die noch gar nicht, dass es dieses Land gibt. Ich kenn‘ ja auch Annett, die da schwer dran gearbeitet hat. Schau mal, es gibt hier
ganz selten ein Ding, wo nur Scheiße gebaut wird. Und die Antideutschen vertreten ein ganz wichtiges Anliegen, das in der linken Szene jahrzehntelang einfach verdrängt worden ist. Weißt du, diese Schwarzweißmalerei. Ich sehe nur eine Gefahr bei den Antideutschen, dass sie umgekehrt auch wieder diese Schwarzweißmalerei betreiben. Ich könnte auf gut deutsch sagen: da sind ganz schöne Spinner dabei, aber ich spinn auch oft genug. Dass das in Israel und Palästina, wenn du dort hinfährst, alles viel komplizierter ist und dass wir als Linke und als Deutsche einfach mal die Schnauze halten sollten und nicht schon wieder wissen, was dort das Beste wäre für die Leute, das ist eigentlich das Wichtigste. Wir fahren ja da regelmäßig hin und halten Kontakt zu Israelis und Palästinensern. Und wir haben Kontakte, da können andere vielleicht nur von träumen. Das muss bis ins Persönliche und ins Politische hineingehen dürfen, auf beiden Seiten. Ich halte das erstmal für eine große Gefahr in der linken Szene, wenn eine Dynamik aus einer Gruppe herausgeht, kommt Etwas ins stocken und es staut sich auf und dann geht’s nicht mehr nach vorne, sondern es geht in die Breite. Da sind dann die einen und da die anderen und dort noch eine Abspaltung. Das ist das Problem, was wir in Jena auch haben und das ist normal für die linke Gruppierung.

Ist also der heutige Einflussbereich der JG durch die Abspaltung innerhalb der Gruppen beeinträchtigt?

Wir sind hier ein ganz kleines Ding, ein kleines Jugendzentrum, nichts besonderes. Schau dich doch um: Das bisschen Platz, den die Mitarbeiter haben. Zu 75% können wir sie anstellen, mit all den Kürzungen. Und dass sich in den 90er dann unterschiedliche Leute hier gruppiert haben, sich auseinandergesetzt haben, das ist die Ausnahme. Jetzt sind wir sozusagen in der Normalität angelangt. Je kleiner eine Gruppe ist, desto höher und steiler die Ideologie und umso weniger gesellschaftlicher Einfluss. Willst du mehr gesellschaftlichen Einfluss, musst du dich mehr auf Kompromisse einlassen. Umso unschärfer wird es und du siehst die Problematik viel deutlicher. Wieder diese Schwarzweißmalerei. Das geht eigentlich nicht, wenn ich mich diesem Problem insgesamt breiter öffne. Nur Jugendliche, in ihrem „Radikalitätsalter“ haben es natürlich auch gerne mal schwarz-weiß. Und dazwischen diese Gradwanderung hinzubekommen, dass ich mich auf der einen Seite ideologisch nicht auf so eine steile Kante stelle und eigentlich nur noch zwei, drei Leute erreiche und gleichzeitig, dass ich, wie soll ich sagen, identifizierbar bleibe und mich nicht auflöse in diesen unzähligen Konflikten und Problemen.. Da irgendwo eine Stellung finden… Wir haben hier eine schwere Scheidung gehabt. Schau Luther an, der hat da 1517 was auf den Punkt gebracht, was bestimmt schon 150, 200 Jahre schwelte und es gab einen großen Zulauf, und eine Dynamik kam rein, die nach vorne ging. Und dann war die erste große Scheidung, also was man später Protestanten genannt hat und die Humanisten. Die waren sehr zerstritten, Luther und Erasmus von Rotterdam, die zwei großen Wortführer. 1524 dann Bauernkrieg, eine weitere schwere Scheidung. Ob der Luther damals alles richtig gemacht hat, das bezweifele ich. Es führte zumindest zu der nächsten großen Scheidung. So hat der Einfluss der Reformation abgenommen, die Anhänger Erasmus‘ waren längst schon bei den Katholiken, nicht weil sie damit einverstanden waren, sondern weil sie sich dort vielleicht mehr zuhause fühlten. Trotzdem ist die Reformation ein wichtiges Ereignis, auch wenn es nicht mehr alle so vereint hat wie am Anfang. Ich hoffe, dass – solange es uns gut geht – wir ein bisschen Einfluss nehmen können auf die linke Szene in Jena. Zur Zeit gibt es ja einen schweren Streit in Weimar, dabei wird die ganze Gerber-Straße drüber kaputt gehen. Da haben wir das Problem, dass da zwei Gruppen gegenüberstehen (Gerber 1 und Gerber 3), deren Einfluss ich für
ungefähr gleich stark halte. Und die Chance, dass sie sich gegenseitig so zerfleischen, dass am Ende gar nichts mehr übrig bleibt, ist sehr groß. Im Moment hat das überhaupt keinen Sinn, sich dort öffentlich
einzumischen, weil du sofort zur einen oder der anderen Gruppe „gestellt“ wirst. Für die Grautöne ist mal wieder kein Platz. Konflikte gibt es immer, problematisch ist es nur, wenn diese Konflikte so Überhand nehmen, dass sie faktisch eine ganze Arbeit kaputt machen. Dann ist das kleinere Übel, wenn eine dieser Gruppen gewinnt und die Arbeit selber kann weiterleben. Aber wenn ich sage „gewinnen“, meine ich natürlich, dass diese Gruppe auch verliert. Es gibt kein Gewinnen in dem Sinne, da wären wir wieder beim „Kampf“ vom Anfang. Was sagt Christa Wolf? „Wenn du Leben gewinnen willst, höre auf zu siegen“, oder so ähnlich…

Erzähl uns doch bitte etwas über deinen persönlichen aktivistischen Werdegang…

(lacht) Was heißt denn aktivistisch?

Wie bist du zum Beispiel zur JG gekommen?

Wisst ihr, mein großes Glück als Jugendlicher in der 68er Zeit war, geprägt durch die Musik usw. und zwischen uns Langhaarigen, dass wir es so wahrnahmen, als ob eine Tür aufging, um uns den Weg zu zeigen, den wir gehen sollten. Dass wir nur Wenige waren, hat uns nicht interessiert, denn wir haben zusammengehalten. Man hat sich ja sofort erkannt. Wenn jemand eine bestimmte Haarlänge hatte, hast du sofort gewusst, der hat soundso viele Probleme und dass er trotzdem so lange Haare hat, ja … ganz irre. Du bist irgendwo hingefahren, Rostock, Berlin, Dresden, ganz egal, hast so einen Typ gesehen, hast „Hallo“
gesagt, und warst sofort auf einer Wellenlänge. Eben eine richtige Bewegung. Das ist verführerisch, aber es hat natürlich auch Spaß gemacht. Stasi und so, die hatten da überhaupt keine Chance, die kamen da nicht ran. Das ist für mich heute hilfreich, wenn ich mit Rechten zu tun habe. Die kann ich nur als Bewegung verstehen. Ich hatte damals mit 15 ein Grunderlebnis mit der Stasi. Das kann man natürlich auch überbewerten, aber es war mein erster Kontakt mit der Staatsmacht und von da an hat das eine Eigendynamik entwickelt. Ich wurde so halb von der Schule geschmissen, bin dann in politische Gruppen reingekommen, in Thüringen. Dann später, `73, war diese „Langhaarigen-Bewegung“ tot, Regierungswechsel von Ulbricht zu
Honecker und „Entspannungspolitik.“ Ausreiseanträge waren erstmals möglich und viele Anhänger sind in den Westen gegangen. Manche sind zurück ins „bürgerliche“ Leben, andere abgesackt ins Kriminelle und in die Alk-Szene. Ein Teil ist zur Kirche abgewandert. Da hab ich mit dazu gehört, weil ich mich fragte: „Wie geht es weiter?“. Dann also wieder Ausbildung, weitere „Politisierung“ und der Aufbau dieser „Offenen Arbeit“, wie man das in Erfurt damals nannte. Das hatte sich ja über die ganze DDR hinweggezogen, wie so ein Netzwerk könnte man sagen, das davon gelebt hat, dass sich die Leute kannten. Also bis `89 war das
eine durchgehende Geschichte. Was wir damals gelernt haben, das stand auch schon bei Bummi Baumann `66 – er nannte es den Beat. Also auf dieser Bewegung schwimmen und nicht nur ideologische Schneisen
schlagen: das war auch wichtig, aber dieses „Miteinander“, das war das Irre. Und mit dem Jesus dazu, da hast du eigentlich alles, was du brauchst, um durchs Leben zu kommen. Vielleicht mal eine „Grundgeschichte“: Jesus ist im Zug unterwegs nach Jerusalem, ins Reich Gottes, wo also Kommunismus und Revolution ausbrechen sollen und während sie in dieses Zentrum unterwegs sind, um es zu probieren, sitzt da ein Mensch am Wegesrand und schreit um Hilfe. Was macht der Jesus? Er sagt nicht: „Hey du musst jetzt mal warten, wir müssen erst den Kommunismus oder das Reich Gottes aufbauen, dann haben wir auch für dich Zeit.“. Nein. Er stoppt den Zug und sagt: – ich übersetz‘ dann immer für unsere Leute – „Revolution muss warten! Erst wird dem Menschen geholfen, dann können wir weiterziehen!“. Das ist eine wichtige Geschichte. Ganz anders als bei Hitler, Stalin oder Lenin. Um vor diesen Unheilsbringern und Rattenfängern ein bisschen Schutz zu haben, ist es wichtig, dass wir den einzelnen Menschen nicht aus dem Blick verlieren. Das ist, was die JG auch versucht, in die Antifa-Szene mit einzubringen und ich hoffe, dass das noch eine Weile geschehen kann. Also nicht gefühlsduselig werden und Thüringer Bratwurst essen, sondern schon klar wissen, was sie will (die Antifa; Anm. d. Red.), aber auf der anderen Seite die Mitmenschlichkeit und die Barmherzigkeit nicht aus den Augen zu verlieren. Wenn uns das ab und zu gelingt da einzubringen, dann haben wir schon viel erreicht.

Die JG war in der Vergangenheit öfters Ziel von Nazi-Überfällen. Hast du manchmal Angst vor den Konsequenzen deines Engagements?

Es ist komisch: Ich habe wenig Angst, aber das macht mir schon manchmal Angst, dass ich keine habe. Ich denke, es hat damit zu tun, dass wir hier in einer Gruppe auftreten, dass sie schon eine funktionierende Gemeinschaft ist, in der Hinsicht, dass es hier zwar schon Zoff und Streit gibt, aber darüber hinaus immer auch etwas Verbindendes ist. Wenn man nur „nett“ zueinander wäre, würde ich keinen Pfifferling drauf geben. Aber hier gibt es schon auch ne Menge Streit und die Gruppe zeigt, dass sie tragfähig ist und was aushalten kann. Und wenn einer aus der Gruppe angegriffen wird, ist er nie alleine. Angst bekommt man, wenn man unsicher ist, was deine Leute anbelangt. Wir haben hier eine gute innere Verfassung, da haben Faschos keine Chance.

Trotz eures Engagements und das von Anderen hier in Jena kann man sagen, dass die Nazis schon einige Erfolge in der letzten Zeit verbuchen konnten. Das Braune Haus wurde fest etabliert, das „Fest der Völker“ findet – zumindest meistens – statt. Was meinst du, woher der Auftrieb für „die Rechte“ kommt?

Das ist diese wichtige Frage, die ich vorhin schon versucht habe, zu beantworten. Es ist den Faschos gelungen, diese Meinungsführerschaft in Bezug auf Probleme unserer Gesellschaft aufzugreifen und zu übernehmen. Sie benennen Sachen, die schlicht und einfach nicht hinhauen, die wir auch selber wissen. Eigentlich müssten wir aus der Konsequenz heraus sagen: „Hey, dieses kapitalistische System geht nicht mehr, es muss abgeschafft werden.“.

Das sagen ja die Faschos auch…

Eben. Aber ich sage das nicht – oder viel, viel leiser, weil ich weiß, das kapitalistische System geht mit unserer Schlechtigkeit, Neid und Missgunst, so geschickt um und vermittelt den Eindruck: „Wenn du hier
mitmachst, kommst du nach Oben oder mit dem Arsch an die Wand.“. Und das machen viele. Diese gesellschaftliche Unverantwortlichkeit unserer gesellschaftlichen Verantwortungsträger, das ist doch das
Haarsträubende. Diese Bankenkrise, das ist kein Problem unserer Zeit, das geht bis in die 80er Jahre zurück. Der eine bekommt vier, der nächste acht Prozent. Der nächste fliegt für 15 Euro nach Frankreich – absolut unmoralisch. Wir sind da alle mit dabei.

Aus der „Fascho-Ecke“ kommen ja immer mal etwas unmoralische Angebote. „Wir kämpfen doch gegen dieselben Sachen, warum schließen wir nicht ein Zweckbündnis?“…

Das ist ja gar nicht so falsch. Viele von den Forderungen die sie aufstellen, sind ja völlig OK. Aber ich sag auch hier: Mit ihrem ganzen rechten Zeugs, Schlesien und so weiter, haben die bei mir keine Chance, weil ich das noch viel schärfer benenne als die. Was da in Ost-Preußen für Ungerechtigkeiten passiert sind… Das muss man auch mal den Linken beibringen, unangenehme Sachen mit aufzunehmen, auch wenn’s nicht direkt ihr Ding ist. Ob man die Vertriebenen nun Vertriebene nennt, ist doch erstmal egal, aber dass das nicht OK gewesen ist, das könnte doch eigentlich jeder wissen. Und dass der Zweite Weltkrieg mit dem Ersten Weltkrieg zu tun hat, also mit dem Versailler Vertrag, das ist für mich jedenfalls unbestritten. Jetzt
mal da rangehen und das freizuschaufeln von revanchistischen…. Schau mal, was da in der alten Bundesrepublik passiert ist. Adenauer und so sind doch nur an die Macht gekommen, weil sie sich das Recht der Vertriebenen auf die Fahnen geschrieben haben. Machtprofit. Ein Anderer wäre nie ohne die Vertriebenen an die Macht gekommen. Schuhmann war nur eine Stimme hinter Adenauer. Ist doch Wahnsinn, was damals los war. Auch in der Alten Bundesrepublik schon Potential für Neues. Jedenfalls wussten doch alle, auch Adenauer, dass wir Schlesien nicht wiederkriegen, auch nicht in zehn Jahren. Aber sie haben so getan als ob. Und das ist das Problem. Wenn menschliches Leid geschieht, dann soll ich den Finger drauf legen und dann gibt es kein Rechts oder Links, aber das machen die nicht. Und wenn die Faschisten dann Ost-Preußen zum Thema nehmen, dann sag ich: völlig zu Recht. Ich kann dir Geschichten erzählen von Königsberg, die haarsträubend sind. Wir wissen aber auch, dein ideologischer Papa, der hat uns diese Suppe eingebrockt. Wenn man das alles ein bisschen zurechtrückt, dann stehen die plötzlich mit leeren Händen da. Da ist natürlich auch klar, dass die nicht „Hurra“ schreien, wenn ein Linker daherkommt. Und wenn dann aber
unsere Linken im Februar wieder nach Dresden fahren und sagen, dass das alles recht wahr… (seufzt) Also eine halbe Gehirnwindung könnte ruhig mit reingenommen werden, um mal nachzudenken, was die da sagen. Um auf den Zweiten Weltkrieg zurückzukommen: Natürlich haben wir den angefangen. Aber ich sage, es hat auch was mit dem Versailler Vertrag zu tun. Das ist doch verständlich, wenn der Deutsche sagt: „Tut mir leid, ich hab noch keine Lust mich erschießen zu lassen.“. Diese Überlegung mal mit rein nehmen… Und wenn du so willst, ist das unsere Aufgabe, das so ein bisschen in die linke Szene mit einfließen zu lassen. Man muss natürlich auch vorsichtig sein, sonst bist du gleich wieder ein Revanchist oder so, weil der Sachverhalt schon wieder zu komplex ist. Aber ich meine, ruhig auch hin und wieder mal ein falsches Wort sagen als nur „ideologisch sauber.“

Was glaubst du denn, wie die Entwicklung in Jena, zwischen „engagiert“ und „unengagiert“, „Links“ und „Rechts“, weitergeht?

Das wird alles so weitergehen. 5 – 15% Rechte sind völlig normal in unserer Zeit. Auch diese Beängstigung durch die Globalisierung. Wie ein großer Pflug wird hier alles umgeschaufelt und damit verbinden sich viele Ängste. Es wird also auch wieder vermehrt diese Rattenfänger geben. Die einen suchen bei den Rechten den Halt, die anderen bei den Linken. Und so wird das alles weitergehen. Wie genau, das weiß doch keiner.

Anfang des Jahres gab es einen Überfall auf Ralf Wohlleben, bei dem unter anderem sein Auto in Flammen aufging. Auch gegen das Medley gab es mehrere gewaltsame Aktionen. Welche Mittel siehst du im „Kampf“ gegen Rechts als legitim an?

„Wer zum Schwert greift, wird durch das Schwert umkommen“, sagt der Herr Jesus. Nach wie vor das Genialste und Wichtigste. Ich muss wissen, wenn ich zur Gewalt greife, dass ich davon verändert werde – und zwar im Negativen. Auch Brecht schreibt: „Das Schreien nach Ungerechtigkeit verzerrt das Gesicht.“. Meine Sorge ist, die Leute die so etwas machen, machen sich zu wenig bewusst, was mit ihnen selber geschieht. Es gibt noch mehr Gefahren. Allerdings bin ich keiner, der sich hinstellt und sagt: „keine Gewalt!“, jetzt 20 Jahre später. Als wir ’89 dastanden und sagten „keine Gewalt“, mit Kerzen in der Hand und scheinbar PC-mäßig (political correctness, Anm. d. Red.), das war nicht PC-mäßig, denn gegenüber standen die Kampfgruppen mit MPs in der Hand und dahinter stand die Armee, auch mit Knarren in der Hand. Das war schon ein hartes Ding.

Als erstes: Ich habe absolut kein Recht, einen anderen Menschen in seinem Leben zu schädigen oder gar umzubringen. Das steht mir nicht zu. Aber: Bonhoeffer wollte den Hitler umbringen. Und wenn ich mich dazu entscheide, so etwas zu tun, das nimmt fast den Atem. Ganz, ganz gefährlich, für den anderen und für mich selber. Aber nicht nur einfach hinstellen und „keine Gewalt“ rufen und die Hände sauber halten, das geht nicht. Da gibt es strukturelle Gewalt, usw., alles sehr komplex.

Auf der einen Seite sagst du: „keine Gewalt!“, auf der anderen Seite sagst du, „Das ist auch keine Lösung.“. Wie ist das zu vereinen?

Ich kann es auch so sagen: Sobald ich als Mensch auf dieser Erde bin, übe ich Gewalt aus. Ich komme aus dieser Problematik nicht heraus. Ich bin allein durch mein Dasein gewalttätig und sei es, dass wegen mir eine Kuh geschlachtet wird oder dass bei der Geburt meine Mutter schwer verletzt wird. Ich habe mein ganzes Leben lang mit Gewalt zu tun und wir verniedlichen das Problem, wenn wir sagen, die einen wären gewalttätig, die anderen nicht. Wenn der Straßenverkehr hin und her braust und die Oma kommt nicht über die Straße, dann ist das auch Gewalt, und keinen interessiert es. Ich kann mich doch nicht hinstellen und sagen „Ich finde das gut, dass Gewalt ausgeübt wird.“. Erst einmal nein, keine Gewalt. Und wenn sich jemand zur Gewalt entschließt, dann hoffe ich, dass der eine Gruppe hat, in der er aufgefangen wird, sonst verzehrt es mich, macht mich kaputt. Ich hab’s aber auch erlebt, wenn in den 90ern die Punks draußen vor der JG saßen und sich über Gott und die Welt gefreut haben, da sind die Faschos richtig rein. Da saßen 20, 30 Leute und da sind die zu dritt, kampferprobt und schrankförmig, einfach rein. Allein ihr Auftreten hat alles verändert. Wer nicht abgehauen ist, hat eins in die Fresse gekriegt und wenn sie abhauen, ist das vorbei, was ihnen wichtig ist. Sie konnten machen, was sie wollten. Damals hatten wir eine große Diskussion über „gewalttätig sein“ oder nicht. Da sind dann Leute gewalttätig geworden und haben die Faschos angegriffen. Aber ansonsten hat es auch niemanden interessiert. Und ich stell mich nicht hin und sag‘: „Das darf man nicht!“ usw.. Die, welche zur Gewalt greifen, sind in der Regel hilflos und wissen nichts Anderes zu machen, weil zu viele sich um das eigentliche Problem nicht kümmern.

Du bist ja nicht nur Aktivist sondern auch Pastor der JG. Bedeutet für dich der Glaube an Jesus, sich zwangsläufig politisch einzumischen oder siehst du da Konflikte zwischen diesen Aufgaben?

Lobgesang der Maria: „Er wird den Mächtigen vom Thron stürzen.“, Punkt. Ich bin ja völlig unpolitisch und der Jesus haut mir ständig solche Dinger vor den Latz. Und ich weiß nicht mehr, was ich damit anfangen soll. Gleich die Leute vom Thron zu stürzen? Aber wenigstens so ein wenig und dabei nicht zu viel Mist bauen; im Sinne von Jesus. Ich erschieße niemanden, ich stürze niemanden vom Thron, aber so ein bisschen… versuche ich Christ zu sein, so gut es halt geht.

Was sagst du zu den Leuten in Jena, die dich wohl eher scherzhaft als „Hassprediger“ bezeichnen?

Dann wissen sie nicht, wovon sie reden. Vater sei barmherzig, denn sie wissen nicht, was sie tun oder so. Komm, das sind auch nur Menschen.

Das Interview führten fabik und Bergi


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Kommentare

3 Antworten zu „„Schreibt ja nicht, ich wäre gegen Gewalt!““

  1. Avatar von Sesam Brötchen
    Sesam Brötchen

    Ich finde König fetzig, diesen Menschen sollte man völlig unkommentiert zu Wort kommen lassen. 😉

  2. Avatar von sachse
    sachse

    wenn ihr weitere interview´s mit könig plant, solltet ihr nicht auf einen drogentest verzichten.
    allein die anzahl der hier abgegebenen kommentare zeigt doch schon das es nichts zum kommentieren gibt.unglaublich

  3. Avatar von wooosa

    Ich bin ja völlig unpolitisch und der Jesus haut mir ständig solche Dinger vor den Latz.

    geil. einfach nur geil der spruch 🙂

    cooler pfarrer, den ihr da habt

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