Ich muss immer dichten

Maik (rechts) zusammen mit Martin Hünniger auf ihrer Lesetour „Dialoge“ (Foto: André Helbig)
Maik (rechts) zusammen mit Martin Hünniger auf ihrer Lesetour „Dialoge“ (Foto: André Helbig)

…sagte einst der junge Brecht. Heutzutage ist für Kunstschaffende Produktivität bei Weitem nicht die einzige Sorge.

von Robert

Der Traum vom süßen Künstlerleben schwebt manch einem vor Augen. Dem Leben exzentrischer Gestalten, wie Hemingway oder Dalí, die mit ihrer Kunst reich und berühmt wurden. Ihnen gegenüber stehen Fälle wie der van Goghs, der Zeit seines Lebens arm war und dessen Ruhm sich erst nach seinem Tod begründen sollte. Doch was bedeutet es heutzutage, Künstler zu sein? Was ist Realität und was nur romantische Verklärung?
In Deutschland gibt es unter den Selbstständigen momentan um die 7.000 Schriftsteller, 9.000 bildende Künstler und 2.600 Musiker und Komponisten, Tendenz steigend. 60 Prozent von ihnen verdienen jährlich maximal 50.000 Euro, in der Regel weniger. Das durchschnittliche Jahreseinkommen eines in der deutschen Künstlerkasse Versicherten liegt bei ca. 14.000 Euro – im Jahr. Nicht gerade ideale Einstiegsaussichten.
Trotzdem hat Maik Pevestorff aus Jena vor Kurzem den Schritt in die Selbstständigkeit als Künstler gewagt. Der 27-jährige Cottbusser entschloss sich nach seinem Lehramtsstudium an der FSU, nicht wie die meisten seiner Kommilitonen ins Referendariat zu starten, sondern seinen künstlerischen Interessen zu folgen. Anfangs noch ohne eine genauere Vorstellung, aber mit einem Traum, den er von klein auf hegte, machte er sich auf zur Behörden-Odyssee. „Machen Sie mal besser Ihr Referendariat“, sagte ihm die Sachbearbeiterin bei der Bundesagentur für Arbeit, als er ihr von seinen Plänen berichtete. Ein sicherlich gut gemeinter Vorschlag, doch wo innere Neigungen einen treiben, ist guter Rat fehl am Platz.

Die Kunst der Kundenakquise
Was folgte, war eine Palette von kaufmännischen Weiterbildungen. Man ist eben nicht nur Künstler, sondern vor allem eins: selbstständig. Das kreative Denken musste vorerst zurückgestellt werden, stattdessen hieß das Zauberwort nunmehr Businessplan. Es galt, sich in Workshops und Beratungen all das Wissen anzueignen, das den Schlachtplan für die nächsten Monate und Jahre vorgeben sollte: Kundenakquise, Marketing, Buchführung. Wie kriege ich mein Produkt an den Mann, ohne dabei pleite zu gehen? Nach all dem ist der Quereinsteiger Maik jetzt offiziell „freier Autor und Theatermacher“.
Das Feld ist hart umkämpft. Für Schriftsteller ohne Beziehungen oder Nachwuchspreise ist es extrem schwer, einen Verlag zu finden. Rowohlt oder Diogenes erhalten jährlich 3.000 unverlangte Manuskripte. Der durchschnittliche deutsche Lektor hat täglich 25 neue auf seinem Tisch. Werke unbekannter Autoren werden vermutlich oft gar nicht oder nur sporadisch gelesen, um dann im Papierkorb zu landen.
Was bleibt, ist die Eigeninitiative. Maik zog die letzten Monate mit seiner Lesung Dialoge, musikalisch unterstützt von Martin Hünniger, durchs Land. Sein Theaterstück Konter-Konter-Revolution entstand im Rahmen des diesjährigen Kurztheaterspektakels. Der Kurzfilm Ophelia wird durch Unterstützung der freien Szene und durch eigene Mittel finanziert. Die Arbeit fernab vom offiziellen Theaterbetrieb bietet zwar die Möglichkeit, alternative Arbeitsmethoden anzuwenden und künstlerisch zu experimentieren. Sie hat allerdings auch einen wesentlichen Nachteil. „Man kommt halt nie über bestimme Szenen hinaus. Auf den Lesungen oder bei den Aufführungen war bisher noch nie jemand von einem großen Verlag, der dann im Nachhinein gemeint hätte: ‚Das ist genau das, was wir wollen‘“, berichtet Maik mit einem ironischen Lächeln.

Kein illusorischer Spinner
Verhungern muss er trotzdem nicht. Während der ersten zwei Jahre der Selbstständigkeit wird man weiter von jenarbeit gefördert. Es erfolgt jedoch lediglich eine Aufstockung auf Höhe des Hartz IV-Regelsatzes und das auch nur gegen Nachweis der Abrechnungen. Dies erfordert einen konstanten Fluss von kreativen Tätigkeiten wie Lesungen und kleineren Theaterprojekten. Was Bürokraten und Ämter freut, frisst allerdings Zeit, die Maik lieber in die Verwirklichung von längerfristigen Projekten investieren würde. Momentan arbeitet er an den Theaterstücken Das Drecksstück und Die Fischer sowie an seinem Kurzfilm Ophelia. Nebenher ist er in einer Schule als Theaterpädagoge tätig und sitzt in der Jury des Jakob-Michael-Reinhold-Lenz-Preises für Dramaturgie. So ist Maik zwar recht gut eingespannt, doch ist ihm der Sprung auf die Bühnen der etablierten Literatencafés und des Theaterhauses noch nicht gelungen. Die Freie Bühne e.V. bietet aber bisher die Spielstätten und Möglichkeiten, um seine Stücke aufzuführen.
Die Frage, ob er nicht neidisch auf seine ehemaligen Kommilitonen sei, die jetzt im Referendariat sind, beantwortet Maik mit einem souveränen „Nein“, um dann nach einer kurzen Pause hinzuzufügen: „Wenn ich an die Schule denke und die ganzen Schülermassen, die da auf einen zuströmen… Ich denke nicht, dass ich da weniger Stress hätte.“ Wie sich seine finanzielle Situation in den nächsten Jahren gestalten wird, bringt ihn öfter ins Grübeln. Trotz Businessplan und Weiterbildung ist es schwer, langfristig zu planen. Wann wird er seine Krankenkasse selbst bezahlen, und wie wäre es eigentlich mal mit einer Altersvorsorge? Es hat schon etwas Ironisches, dass sich seine Sorgen ums Geld drehen und nicht um das Versiegen seiner kreativen Ader.
Was seine Zukunft angeht, ist Maik kein illusorischer Spinner, der den Weltruhm an der nächsten Straßenecke vermutet. Für die nächsten Jahre hofft er darauf, seine Texte endlich verkaufen zu können und mit einer Theatergruppe seine Stücke aufzuführen. Eine Regieassistenz oder eine Hospitation am Theater sind bereits angedacht. Sollte sich das alles als vergeblich erweisen, wird er unter Umständen doch den Rat seiner Sachbearbeiterin berücksichtigen und „mal lieber sein Referendariat machen“.

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